o76. Folgenschweres Wiedertreffen

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Plötzlich schien sich die ganze Luft im Raum gegen mich zu drängen. Mein Brustkorb wurde so schwer, dass ich stöhnend nach Luft ringen musste. Das konnte nicht sein. Das war unmöglich. Dad und ich waren nur wegen diesem Arzt mehrere Bundesstaaten weggezogen und jetzt tauchte er plötzlich wieder auf und schien der Kopf dieser verrückten Sache zu sein. Mein Verstand sträubte sich dagegen, dass alles hier zu glauben. Ich träumte nur. Das war nicht real.

Doch Hadrian fieses Lächeln, das mir ins Auge stach, zeigte mir, dass es kein Albtraum war, sondern die bittere Realität. Ich lag wirklich auf diesem Stuhl und da neben mir stand auch wirklich der Arzt, der vor Jahren beinahe mein Leben beendet hätte, weil er mich für ein Monster – nein, ein Alien – gehalten hatte!

Dr. Gifford zog meinen Kittel wieder zurecht. Doch seine Hand verharrte an meinem Hals. Er strich über meine Haare und nahm mein Gesicht genauer in den Blick.

»Du hast dich gut gemacht«, seine Worte ließen mich beinahe würgen, »Nur ein wenig mehr Sonne würde dir guttun.«

Ich wandte den Kopf zur Seite und wollte, dass er die Finger von mir nahm. Selbst wenn er diese Latexhandschuhe trug, ich wollte, dass er mich nie wieder berührte. Ich wollte nicht an die Vergangenheit und den Schmerz erinnert werden. Nur wegen ihm mussten wir die Stadt verlassen, in der Mom aufgewachsen war. Nur wegen ihm, war Dad vor Sorge fast ohnmächtig geworden. Ich hasste diesen Mann. Er war in meinen Augen der pure Abschaum.

Dr. Gifford bewegte sich auf den Bildschirm. »Nach all den Jahren«, staunte er, »hat mein Sohn dich durch Zufall gefunden.« Anerkennend klopfte er Hadrian auf die Schulter.

Mein Magen zog sich zusammen. Allein der Gedanke, dass ich den Sohn des Arztes, der mich fast umgebracht hatte, geküsst hatte, erfüllte mich mit Ekel. Der Gedanke überhaupt einen Verräter als Freund gehabt zu haben, löste Hass in mir aus.

»Ich bin froh, dass wir uns wiedersehen, Verena«, gab Dr. Gifford von sich und schaltete plötzlich den Bildschirm an. Zu sehen war eine Röntgenaufnahme. Aber es war nicht nur irgendeine, sondern eine bestimmte. Meine eigene, die vor exakt neun Jahren entstanden war.

Sofort blieb mein Herz stehen. Ich dachte, Dad hätte die Aufnahme mitgenommen. Wie konnte es sein, dass sie noch existierte?

»Glaubst du wirklich, wir hätten keine Kopien«, fragte Dr. Gifford mit leuchtenden Augen, als hätte er meine Gedanken gelesen. Er blieb vor dem Bildschirm stehen. »Damals konnte ich nicht glauben, was ich sah. Ein menschlicher Körper, der über ein weiteres Organ verfügt. Ein Organ, das keinem anderen ähnelte.« Er deutete auf die Stelle am Bauch. »Unter dem Dickdarm.«

Ich wusste ja, dass meine Anatomie nicht der eines normalen Menschen ähnelte, aber dass da ein weiteres Organ sein sollte, überraschte selbst mich. Obwohl es mich eigentlich nicht überraschen sollte. Denn schließlich hatte Reva Warrin genau an der Stelle getroffen. Genau dort hatte ich ihn genäht. Jetzt schien sich auch langsam die Frage zu lösen, warum er nicht mehr fliegen konnte. Reva hatte ihn da verletzt, wo seine Kräfte den Ursprung hatten.

»Damals habe ich dich für ein Alien gehalten. Doch als dann vor zwei Jahren Mr. Ronnoc – ein Mensch, der in der Lage ist zu fliegen – aufgetaucht ist, wusste ich, dass du – dass ihr etwas ganz Anderes seid. Keine Aliens. Keine Monster.«

Dr. Gifford drehte sich um. Sein Blick war stechend. »Sondern höher entwickelte Menschen. In dem Moment war für mich klar, dass ich herausfinden muss, was für ein Organ das ist, das euch so besonders macht. Und jetzt habe ich endlich jemanden vor mir, an dem ich genau das herausfinden kann.«

Ein Schaudern durchfuhr meinen Körper. Meine größte Angst wurde Realität. Er wollte mich aufschneiden! Wie einen Frosch sezieren!

Hektisch bewegte ich mich in meinem Stuhl von Seite zu Seite und versuchte mich zu befreien. Erneut stellte ich fest, dass ich keine Chance hatte. Selbst, wenn ich mich befreien könnte, Hadrian würde mich schnappen. Und wenn nicht er, dann sein durchgeknallter Vater oder die dutzend anderen Menschen, die sich hier herumtrieben.

Blazing HeartWhere stories live. Discover now