o72. Der Wahrheit entgegenlaufen

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Auch jetzt blieben die Tränen aus. Ich zwang mich, mich aufzusetzen. Verbittert blickte ich auf das Opfer, das wir heute bringen mussten. »Sie hat Mr. Ronnoc geliebt«, brachte ich keuchend hervor und suchte Warrins Augen, »Du warst ihr Held.«

Sie hatte den Superhelden bewundert, wollte genauso wie er die Welt retten. Sie wollte allein wegen ihm Anwalt werden. Doch jetzt war sie tot.

Ich ballte die Hände zu Fäusten. Sie hatte doch noch so viel vor sich gehabt. Reva hatte ihr Leben kaltblütig beendet. Mein ganzer Körper bebte.

Warrin kam auf mich zu. Die Sirenen wurden lauter. »Sie werden Fragen stellen«, sagte er und kniete sich zu mir hin. Sein Blick war voller Trauer. Zum ersten Mal sah ich ihn nicht wütend, sondern wirklich traurig. Der Schmerz, der sich in Augen widerspiegelte, verstärkte das unheimliche Stechen in meiner Brust. »Elianas Eltern müssen erfahren, was passiert ist«, flüsterte Warrin und fuhr sich über das Gesicht, »Das sind wir ihr schuldig.«

Er hatte Recht. Wir konnten es unmöglich vertuschen. Ich wollte das nicht. Ich wollte, dass jeder wusste, was Reva getan hatte. Die Hexe sollte nicht damit davonkommen. Sie sollte für das, was sie getan hatte, büßen.

Erneut wurde ein Mensch einfach aus meinem Leben gerissen. Mom. Dad. Und jetzt Eliana. Ich kannte sie zwar nicht allzu gut, aber sie hatte in meinen Augen immer wie ein guter Mensch gewirkt. Sie hat mich an jemanden erinnert, den ich zu gut kannte. Sie hatte mich, an mich selbst erinnert. Sie hatte sich genauso wie ich damals in einen Helden verliebt. Sie hatte die aufbrausende Art des Anwalts immer wegstecken müssen, aber gleichzeitig hatte sie immer zu ihm aufgesehen. Ich hatte das Gefühl, dass mit ihrem Tod auch etwas in mir starb.

»Die ganze Welt muss es erfahren«, brachte ich gepresst hervor.

Warrin nickte stumm. Dann setzte er sich an den Rechner.

»Was tust du?«, wollte ich wissen und setzte mich langsam auf.

Warrin klickte sich in das System der Videoüberwachung. »Etwas, was ich hätte längst tun müssen«, gab er kopfschüttelnd zu. Er klickte auf eine Taste, die einen Ladebalken auf dem Bildschirm erscheinen ließ. 1 %. 2 %. 3. %.

Er wandte den Kopf in meine Richtung. »Ich habe nicht nur Eliana in Schwierigkeiten gebracht, sondern auch dich. Aber das ist jetzt vorbei.« Er erhob sich von seinem Platz und blieb dicht vor mir stehen. »Bald ist mein Geheimnis kein Geheimnis mehr. Bald wissen alle, dass ich Mr. Ronnoc bin. Es gibt nichts mehr, das dich belasten kann. Nichts mehr, mit dem dich Thane erpressen kann. Nichts, das irgendein Mensch auf dieser Welt gegen dich halten kann. Verena, du bist frei.«

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Warrin gab sein Geheimnis auf, um mich zu beschützen? Er lud die Aufnahmen der Überwachungskamera im Internet hoch, damit ich in Sicherheit war? Damit alle wussten, was Reva Eliana angetan hatte. Tränen traten in meine Augen.

»Hanson«, hauchte ich, »Ich habe es ihm nie anvertraut und jetzt erfährt er es so.«

Ich spürte Warrins Hand auf meiner Schulter. »Geh«, hauchte er mir zu, »Sag es ihm. Noch hast du Zeit. Wenn du ihn wirklich liebst, dann lauf.« Der Ladebalken stand bei 34%.

Ich blickte in Warrins grünen Augen, dann nickte ich. Er hatte Recht. Noch konnte ich es Hanson persönlich sagen. Noch war Zeit, um ihn einzuweihen, bevor es die ganze Welt wusste. Ich drückte mich einmal fest an Warrin, dann rannte ich los.

Ich nahm die Sirenen unmittelbar wahr, als ich die Tür nach draußen aufstieß. Ich sprintete weiter, wandte meine aller letzte Kraft auf, um mich nach Hause zu bringen. Um Hanson endlich die Wahrheit zu sagen.

Mein Herz raste bei dem Gedanken, ihn einzuweihen. All die Zeit hatte ich mir nichts sehnlicher als die Wahrheit gewünscht und jetzt war es soweit. Alle meine Sinne spielten verrückt, ich war immer noch vollkommen aufgewühlt. Dennoch beschleunigte ich mein Tempo. Denn die Wahrheit war meine Sonne. Die Wärme, nach der ich mich sehnte. Die Hitze, die mich wieder mit Energie erfüllen sollte.

Blazing HeartWhere stories live. Discover now