o94. Zwischen gut und böse

1.2K 107 35
                                    

Ich war unfähig mich zu bewegen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich war geschockt, obwohl wir uns eigentlich hätten denken können, dass es so war. Nur zwei Polizisten, die vor dem Lager postiert waren? An der Sache war doch schon seit unserer Ankunft etwas falsch gewesen.

Wahrscheinlich wusste das Polizeipräsidium in Wahrheit nichts von der Geiselnahme oder Revas Standort, weil Warrin sich nur mit einem verräterischen Miststück getroffen hatte. Ich biss mir auf die Lippe. Natürlich war es so. Denn wenn das Polizeipräsidium oder die Stadt Bescheid wüsste, hätte man sich auf der Stelle darum gekümmert. Wir waren so dumm gewesen.

Ich hörte ein schmerzhaftes Stöhnen, was eindeutig von Linden ausgehen musste. Er hatte ihn getroffen! Der Polizist hatte ihn mit seiner Kugel getroffen.

Maisie schluchzte auf, das kühle Metall ruhte an ihrem Kopf. Reva hielt immer noch Warrin die Schwerter entgegen. Mit zu Fäusten geballten Händen schwebte er an der Decke und warf dem Polizisten finstere Blicke zu. Die Geiseln am Boden waren erstarrt. Genauso wie Caitlyn, die sich unheimliche Sorgen um ihre beste Freundin machte. Ihre mutige Fassade bröckelte.

Gerade wollte sie zum Schuss ansetzen, da reagierte der Polizist bereits. Der zweite Schuss war mir wie ein Dorn im Auge. Caitlyn johlte laut auf und fiel ohne Umschweife zu Boden. Die Waffe schlitterte von ihr weg hinter einen der Kartons. Blut schoss aus ihrem Bein.

»NEIN!«, schrie Maisie entsetzt.

Reva drehte sich zu mir um. Obwohl so viel Abstand zwischen uns herrschte, wich ich einen Schritt zurück. »Wenn du willst, dass deiner anderen Freundin nichts passiert, dann setz jetzt auf der Stelle diesen Stein in die Maschine«, gab sie verschwörerisch von sich.

Ich starrte auf den Juwelen, der das Licht der Deckenleuchte brach und ein Muster auf die Wand projizierte. Ich sollte den Edelstein einsetzen? Ich sollte dafür verantwortlich sein, dass die Welt ins Chaos stürzte?

Warrin wollte zu mir fliegen, aber Reva ließ es nicht zu. »Eine Bewegung«, drohte sie und führte ihre Worte nicht einmal aus.

Ich starrte Maisie an, die nur den Kopf schüttelte. Ich sollte es nicht tun. Ich sollte sie sterben lassen. Aber ich wollte das nicht. Ich wollte Maisie retten. Und alle anderen Menschen in diesen Raum. Oder da draußen. Ich wollte, dass niemand zu Schaden kam.

Mein Leben lang hatte ich für das Gute gekämpft. Aber jetzt in diesem Moment wusste ich nicht mehr so genau, was das Gute überhaupt war. Maisie das Leben retten, aber den Menschen da draußen schaden oder die Menschen da draußen retten und Maisie sterben lassen? 

Ich verfestigte den Griff um den Juwel. »Keine Sorge«, flüsterte ich mit schwacher Stimme und drehte mich Reva zu, »Ich tue es.«

Ich beugte mich ihrem Willen. Ich konnte nicht zulassen, dass Maisie jetzt direkt vor meinen Augen starb. Ich würde mir für den Rest meines Lebens Vorwürfe machen. Ich würde mich für diese Tat hassen. Denn in Maisie sah ich eine Freundin. Sie war nicht so wie Hadrian. Sie war mir immer auf die Art und Weise begegnet, wie sie wirklich war. Sie hatte mir nie etwas vorgespielt. Sie hatte sich wirklich Sorgen um mich gemacht. Sie war eine wahre Freundin, die ich um keinen Preis verlieren wollte.

Ich bewegte mich auf die Maschine zu und blickte auf die Einlassung für den Diamanten hinab. Ich war mir bewusst, dass diese Maschine für Chaos Sorgen würde, aber wie könnte ich das Leben einer Freundin auf das Spiel setzen?

Kurz warf ich Warrin einen Blick zu. Er stand der Sache skeptisch entgegen, aber solange niemand den Startknopf betätigt hatte, würde die Maschine nicht einfach losgehen, oder etwa doch?

In dem Moment, wo ich den Diamanten auf die Einlassung zuführte, wünschte ich mir, ich hätte es geschafft eins der Kabel zu durchschneiden. Dann wäre mir die Entscheidung eindeutig leichter gefallen.

»Wieso?«, fragte ich mit heiserer Stimme und verharrte in meiner Bewegung. Ich wandte mich Reva zu. »Wieso tust du so etwas Furchtbares?« Ich verstand es einfach nicht. Warum all diese Diebstähle? Diese Maschine? Hasste sie die Welt etwa so sehr?

»Es gibt eben Menschen, die alles dafür tun würden, eine neue Weltordnung herzustellen«, erwiderte Reva eiskalt. Das waren ihre Absichten? Macht? Ich konnte und wollte es nicht verstehen.

»Lass Maisie gehen!«, forderte ich sie auf, »Sie hat mir der Sache nichts zu tun.« 

Revas grauen Augen leuchteten auf. »Wie ich sehe liegt dir viel an ihr. Was ist mit den anderen?«

Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, ertönte ein weiterer Knall, das mir das Trommelfell beinahe zum Zerreißen brachte. Mit weitaufgerissenen Augen starrte ich den Polizisten an, der einfach abgefeuert hatte. Blut schoss aus dem Kopf einer der Geiseln. 

Und dann war da ein zweiter Schuss und ein dritter. 

Drei der verbliebenen fünf Geiseln waren durch einen Schuss in den Kopf sofort tot. »HÖR AUF DAMIT!«, schrie Maisie lauthals und weinte auf.

Caitlyn hockte stöhnend am Boden und konnte nicht glauben, was da passierte. Genauso wenig wie ich. Nein. Nein. Nein. Ich wollte, dass niemand starb.

»Aufhören!«, stöhnte ich jetzt, »Ich tue es ja schon!«

Ohne einen weiteren Moment zu zögern, steckte ich den Diamanten in seine Einlassung. Als er aufleuchtete, wich ich zurück. Das Licht der fünf Edelsteine funkelte so hell, dass ich die Augen zusammenkneifen musste.

Ich starrte Reva hasserfüllt an. »Zufrieden?«, fragte ich bebend vor Wut.

Als mein Herz wieder von einer unheimlichen Hitze erfasst wurde, wusste ich, dass ich einen Fehler begangen hatte. Die Hitze, die durch meinen Körper brach, war so heiß, dass ich aufschrie und auf die Knie fiel. Mit verzerrten Gesicht hielt ich mir die Brust.

Reva lachte auf: »Natürlich nicht!«, erwiderte sie amüsiert. Und dann ertönten zwei weitere Schüsse und auch die letzten beiden Geiseln waren tot.

Warrin schwebte entsetzt zu Boden. Seine Fäuste waren geballt, er starrte Reva verfeindet an. »Du wirst damit nicht durchkommen!«, gab er bitter von sich.

Reva warf den Kopf nach hinten. »Doch, das bin ich doch bereits.«

Kaum hatte mich die Hitze wieder verlassen, wandte sie sich mir wieder zu. »Verena, du wirst jetzt schön, den Startknopf betätigen, sonst stirbt deine letzte Freundin auch noch.«

Maisie schüttelte den Kopf. Ihr ganzes Gesicht war verheult. Ich presste die Lippen zusammen. Die ganze Zeit hatte ich angenommen, dass wir heute Nacht ohne Tote davonkommen würden, aber ich hatte mich geirrt. Es waren schon so viele Menschen gestorben. Reva war eine Hexe. Sie konnte nicht anders als hinterlistig sein und lügen. Ich hätte nicht auf ihr Wort vertrauen dürfen. Jetzt waren fünf unschuldige Menschen tot, Caitlyn verblutete womöglich und was mit Linden, Jeffrey und Larry war, wusste ich nicht.

Ich blieb am Boden sitzen und warf Warrin einen verbitterten Blick zu. Wir schafften das nicht. Nicht, wenn Maisies Leben davon abhing. Würde es um kein Menschleben gehen, wäre es so viel einfacher gewesen. Aber es ging um eins. Und dann war es sogar eins, das mir unheimlich wichtig war. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich fühlte mich so machtlos. So unheimlich machtlos.

Als wieder ein Knall ertönte, weinte ich auf. »Nein!«, schrie ich und starrte zu Maisie, die die Augen geweitet hatte. Nein. Nicht auch noch das. Das durfte nicht sein. Reva war ein Monster. Und dieser Polizist, der ihr half ebenfalls.

Doch ich hatte die Lage falsch eingeschätzt.

Es war nicht Maisie, die getroffen wurde, sondern der Polizist selbst. Ehe ich mich versah, löste er seinen Griff um Maisie und fiel samt Waffe zu Boden.

Alle waren überrascht.

»Das ist dein Ersatz für mich?«, ertönte urplötzlich Thanes harsche Stimme. Er stand hinter den aufgestapelten Kisten und hielt Caitlyns Waffe fest im Griff. Auf seinem Gesicht lag ein tiefer Schatten, als er Revas Blick suchte.

Blazing HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt