o90. Ein neuer Plan der Helden

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Ein modriger Geruch lag in der Luft, als Warrin und ich uns einer kleinen Hütte in der Nähe des Waldes näherte. Ich hatte keine Ahnung, wo genau wir waren, aber eigentlich interessierte mich das nicht. Ich dachte nur noch daran, wie wir Reva heute Nacht aufhalten könnten. Warrin hatte Recht. Vielleicht war das überstürzt, aber wir hatten keine andere Wahl. Morgen wäre es nämlich bereits zu spät. Die Polizei würde in frühestens vier Tagen etwas unternehmen. Sie verstrickten sich so sehr in ihrem Plan über das taktische Vorgehen, dass sie wertvolle Zeit verloren. Wir mussten es selbst in die Hand nehmen.

Ich spürte, wie es allmählich immer schwerer wurde, über die kleinen Hügel und den unebenen Boden zu laufen. In mir steckte praktisch keine Kraft. Ich fragte mich, wie ich es überhaupt bis hier vor die Hütte geschafft hatte. Es musste der Wille, das Böse zu besiegen, sein.

Keuchend stützte ich die Hände in die Hüften, als wir vor der heruntergekommen Tür Halt machten. Ich spürte die Kälte bis in die letzte Faser meines Körpers. Meine Lunge war praktisch am Einfrieren, so fertig war ich. Aber ich ließ mich davon nicht unterkriegen. Ich schüttelte meine Arme durch, dann nickte ich Warrin zu, der mich kurz besorgt gemustert hatte.

Er nickte, dann hob er die Hand und klopfte an die marode Tür. Einmal, zweimal, einmal. Er klopfte in einem bestimmten Rhythmus und ehe ich mich versah, wurde die Tür einen Spalt aufgemacht und ein allzu bekanntes Gesicht erschien mir.

Jeffrey. Der Mann, der auf der Straße lebte. Zumindest hatte ich das gedacht. Er schien doch ein Dach über dem Kopf zu haben. Seine Miene erhellte sich, als er mich erblickte. Sofort machte er die Tür ganz auf und ehe ich reagieren konnte, nahm er mich in den Arm.

Ich war so überrascht, dass ich ihm ersten Moment nicht reagierte, aber dann war die Umarmung schon vorbei und Jeffrey begegnete mir mit einem gutherzigen Lächeln. »Ich bin glücklich, dass du zurück bist«, sagte er und trat dann einen Schritt zur Seite, »Kommt rein.«

Er blickte Warrin an, der leicht nickte. Ich wusste nicht, woher er Jeffrey kannte, aber irgendetwas sagte mir, dass ich das früh genug erfahren würde. 

Gemeinsam betraten wir die kleine Holzhütte. Überrascht musste ich feststellen, dass sie doch nicht so klein und heruntergekommen war, wie ich zuerst angenommen hatte. Sie war recht nett eingerichtet mit den antiken, roten Teppichen. Ich sah eine kleine Küchenzeile, die gerade für eine Person reichte und zwei gemütliche Sessel in der Ecke des Raumes. Jeder andere Fleck zierte ein Regal gefüllt mit Büchern. Auf einem braunen Tisch lagen Skizzen und Malereien, die mir irgendwie bekannt vorkamen. Außerdem sah ich mehrere Stapel Zeitungen. MR. RONNOCS IDENTITÄT AUFGELÖST war eine Schlagzeile. Eine andere: DER HELD OHNE MASKE: WARRIN CHALMERS. Jeder wusste es. Einfach jeder.

Neben einer Tür, die vermutlich ins Bad führte, gab es eine Treppe. Jeffrey ging in langsamen Schritten vor. »Wir habe nicht mehr viel Zeit«, sagte Warrin und stieg die Stufen hinab.

Jeffrey seufzte auf. »Das habe ich mir fast schon gedacht.«

Ich musste mich am nicht mehr ganz so stabilen Geländer festhalten, um nicht vollkommen ineinander zu fallen. Jeder Schritt war mittlerweile eine richtige Qual. Ich brauchte nach Gefühl fast eine Minute für nur zwei Stufen.

Warrin wollte mir helfen, aber ich schüttelte nur den Kopf. Ich musste das alleine schaffen, wenn ich mir Reva heute Nacht vorknöpfen wollte. Noch wusste ich nicht, wie, aber auf jeden Fall aus eigener Kraft.

Ich kam am Ende des Treppenansatzes an, wo Warrin und Jeffrey bereits auf mich warteten. Sie standen beieinander, als würden sie sich schon eine Ewigkeit kennen. Ich stöhnte einmal auf, dann folgte ich ihnen durch die schwere Eisentür, die Jeffrey mit überraschend viel Kraft aufstieß. Diesen Mann durfte man wirklich nicht unterschätzen.

Als ich Stimmen hörte, hielt ich kurz inne. Hier waren noch mehr Menschen? Ich trat in den Raum, der von noch mehr Regalen und Büchern gefüllt war. In der Mitte war ein großer Tisch. Kerzen erhellten den Raum nur spärlich. Ich machte drei Silhouetten aus.

Und dann erkannte ich sie. Pfarrer Larry. Linden. Und Caitlyn.

Letztere sprang sofort auf, als sie mich erblickte und stürzte förmlich in meine Arme. Überrascht erwiderte ich die Umarmung des blonden Schopfs und konnte nicht glauben, wer hier alles versammelt war. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht!«, gab Caitlyn von sich und drückte mich so fest, dass ich kaum Luft zum Atmen hatte. Mir fiel dennoch ein Stein vom Herzen. Man hatte an mich gedacht.

Caitlyn löste sich von mir und packte mich an den Schultern. »Ich hasse dich dafür, dass du mir nicht gesagt hast, was mit dir los ist! Maisie und ich waren krank vor Sorge«, Caitlyns blauen Augen trugen Trauer in sich.

Ich spürte ein Ziehen in der Brust. Maisie.

Ich fragte mich, was Linden hier machte, aber kaum hatte Caitlyn wieder ihren Namen erwähnt, trübte sich seine Miene. Ich dachte daran zurück, wie er rot geworden war, als ich ihm erzählt hatte, dass Maisie total in ihn verknallt war. Vielleicht hatte ich mich geirrt und er hat die ganze Zeit doch etwas für sie empfunden?

Pfarrer Larry erhob sich von seinem Stuhl und kam nun auch zu mir, um mich einmal in den Arm zu nehmen. »Gott, sei Dank, dass du noch am Leben bist«, sprach er und ich fühlte einen Funken Wärme in meiner Brust. Wie er mich hielt. Wie ein fürsorglicher Vater, der sein Kind in den Arm nahm. Auch jetzt erkannte ich ein bisschen von Dad in ihm wieder.

Ich schenkte ihm ein schwaches Lächeln, dann wandte ich mich Jeffrey und Warrin zu. »Was ist das hier?«, wollte ich wissen und fragte mich, warum all die Menschen, die ich kannte, in diesem Raum versammelt waren.

»Nachdem du verschwunden bist und mein Geheimnis an die Oberfläche gekommen bist, haben sich Larry, Caitlyn und Maisie an mich gewandt«, berichtete Warrin, »Mit Maisies Entführung kam Linden dazu. Er hat mir Jeffrey vorgestellt und wir haben gemeinsam an einem Plan gearbeitet, um dich und deine Freundin zu retten.«

Ich verstand, aber eine Sache erschloss sich mir nicht. Ich blickte Linden an. »Woher kennst du Jeffrey?«, fragte ich irritiert.

Dieser Kerl lief herum, wie ein Spießer und trug teure Markenkleidung. Er konnte niemals einen Mann von der Straße kennen. Wie ich ihn kennengelernt hatte, würde er nämlich jeden Obdachlosen ignorieren oder mit Hochnäsigkeit dran vorbeilaufen.

Lindens Augen waren getrübt. Er senkte den Blick. »Er ist mein Onkel.« 

Ich zog die Augenbrauen zusammen. Sein Onkel? Jeffrey war Lindens Onkel? Aber wie war das möglich? Linden war immer so schick angezogen und Jeffrey lief draußen barfuß herum. Wie sollte jemand, der locker als Reich durchgehen konnte, der Neffe eines armen, alten Mannes sein?

Plötzlich erinnerte ich mich wieder an die Skizzen und Malereien aus dem Wohnzimmer. Es waren also Lindens gewesen! Ungläubig starrte ich ihn an.

Sein Blick war voller Trauer. Augenblicklich fiel mir wieder ein, was Jeffrey mir eines Nachts an der Brücke erzählt hatte. Sein Bruder hatte Selbstmord begangen. Und wenn Jeffrey wirklich Lindens Onkel war, dann hatte Linden seinen Vater verloren. Augenblicklich hatte ich ein schlechtes Gewissen. Ich hatte ihn immer als jemanden komplett anderen eingeschätzt als er war, doch jetzt machte es Sinn, wie er mir immer begegnet war. Distanziert, pessimistisch und unnahbar. Kein Wunder. Er hatte einen bedeutenden Menschen verloren.

Und nun schwebte Maisie in Gefahr. Ich hatte es nicht gesehen, aber er musste doch etwas für sie empfunden haben.

»Es tut mir so leid«, brachte ich unsicher hervor und blickte Caitlyn an, die den Kopf gesenkt hatte. Sie fühlte sich wahrscheinlich am schlechtesten. Schließlich hatte sie Linden immer als Loser bezeichnet.

Ich spürte Warrins Hand auf meinem Rücken. »Wenn die drei Tage wirklich stimmen, dann müssen wir uns beeilen«, sagte er nun und blickte alle im Raum an, »Wir weihen Verena in den Plan ein und dann machen wir uns auf den Weg. Genauso wie abgesprochen. Niemand wird heute Nacht sterben.«

Alle im Raum nickten und ich fühlte mich leicht überfordert. Ich wusste nicht, was genau sie geplant hatten, aber der Gedanke, dass sie alle helfen wollten, war mir nicht gerade behaglich zu Mute. Ich fürchtete mich so sehr davor, noch einen Menschen sterben zu sehen. Und gerade waren in diesem Raum die einzigen Menschen mit Maisie, die mir überhaupt noch etwas bedeuteten. Wenn der Plan schiefging, dann würde in den nächsten Stunden keiner mehr von ihnen übrig sein. Eingeschlossen mir.

Blazing HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt