o56. Der Verfolgungswahn

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In meinem Apartment angekommen, setzte ich alles daran, die Pistole vorsichtig in die zweite Schublade meiner Kommode zu legen. Dabei war ich darauf bedacht, dass die Schusslinie schön in Richtung Wand zeigte. Man konnte ja nie wissen.

Jetzt wo Warrin nicht mehr da war, hatte ich das Gefühl, dass ich noch mehr zitterte. Da blieb bloß zu hoffen, dass Thane nie wieder auftauchte.

Als mein Handy plötzlich vibrierte, zuckte ich so heftig zusammen, als wäre ein Schuss losgegangen. Ich hielt mir die Hand an die Brust und versuchte mich zu beruhigen. Das war definitiv nicht gesund.

Ich holte mein Handy aus der Hosentasche und blickte aufs Display. Maisie hatte mir eine Nachricht geschrieben:

»Hey, wo warst du heute? Wir haben dich vermisst :-(«

Ich presste die Lippen zusammen und ließ mich auf meiner Couch nieder. Der Kunstkurs. In dem Stress um den Aquamarin hatte ich ihn vollkommen vergessen. Aber Warrin war heute eindeutig wichtiger gewesen.

»Sorry, brauchte die Zeit für die Designs«, schrieb ich zurück, »Aber nächste Woche bin ich hoffentlich wieder dabei.«

Ich schloss die Augen. Auch diese Lüge musste sein. Was sollte ich Maisie denn sonst erzählen?

Außerdem musste ich wirklich an den Entwürfen weiterarbeiten. Ich hatte nur noch sieben Tage Zeit. Zwei eher mittelmäßige Oberteile waren fertig. Genauso wie ein Rock. Ich hatte keine Ahnung, was ich sonst machen könnte. Ein ganzes Kleid würde ich nicht mehr schaffen.

Ich lehnte mich zurück und schüttelte den Kopf. Nein, ich konnte nicht an meinen Designs weiterarbeiten. In meinem Kopf ging es die ganze Zeit nur um Revas und Thanes bösen Machenschaften, Warrins Wunde und diese blöde Schusswaffe. Mir war bereits jetzt klar, dass ich nicht eher Ruhe geben könnte, bis die ganze Sache vorbei war. Die Frage war nur, wann es endlich soweit war? Wann würde Thane das nächste Mal an diese Tür klopfen und aufs Neue beschließen, dass es für ihn nichts Anderes als die Böse gab? Wann müsste ich nach dieser Waffe greifen und vielleicht mich und mein Leben beschützen?

Ich wünschte mir, es wäre jetzt. Denn ich konnte nicht mehr warten. Ich wollte ein Ende sehen. Ich wollte, dass dieses fiese Spielchen endete und sich hoffentlich nicht wiederholte.

Plötzlich klopfte es wirklich an der Tür. Entsetzt hielt ich die Luft an und wurde mir bewusst, dass ich doch nicht wollte, dass Thane kam. Ich war gar nicht bereit, ihm wieder unter die Augen zu treten.

Das Klopfen wurde lauter. Genauso wie das meines Herzens. Scheiße, hatte ich Angst.

Mit wackeligen Beinen ging ich auf die Tür zu. Meine Hand zitterte, als ich die Klinke herunterdrückte. In den Spion zu schauen, traute ich mich nicht. Denn ich war mir sicher, dass ich bei Thanes Anblick in Ohnmacht fallen würde.

Ich riss die Tür auf und atmete erleichtert aus, als ich Caitlyn erblickte. Direkt hinter ihr stand Maisie. »H-hey«, stotterte ich. Ich hatte wirklich nicht gedacht, dass die beiden so schnell vorbeikommen würden.

Maisie schenkte mir ein Lächeln. »Sorry, für den spontanen Besuch. Wir wollten mal nur nach dir sehen. Deine Nachricht hat sich nicht so glücklich angehört.«

Ich nickte und stieß die Tür weiter auf, damit die beiden eintreten konnten. Hoffentlich bemerkten sie nicht, dass ich ein absolutes Wrack war und das ein besonders ungünstiger Moment war. Ich war fertig mit den Nerven. Schließlich hatte ich stundenlang in der Kanzlei gesessen, Warrin genäht, bin vor Sorgen fast gestorben und dann war da noch die Pistole in meiner Kommode.

»Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen«, witzelte Caitlyn und setzte sich auf die Couch. Maisie nahm neben ihr Platz.

Ich fuhr mir durchs Haar. »Genauso fühle ich mich auch...«, stöhnte ich und hatte eigentlich gar keine Lust auf Besuch. Ich wollte nur noch in mein Bett.

»Wo sind deine Designs? Ich bin so gespannt!«, sagte Maisie mit einem Lächeln auf den Lippen, das mir eher halbherzig vorkam.

»Die Designs...«, krächzte ich, »...die sind noch nicht fertig. Und ich bin mir eigentlich fast schon zu hundert Prozent sicher, dass ich sie nicht rechtzeitig fertig kriegen werde.«

Die beiden Freundinnen sahen mich mitleidig an. »Wenn du willst, können wir dir helfen«, bot Maisie ihre Hilfe an.

Ich schüttelte den Kopf, der mir mittlerweile schwer auf dem Körper lag. »Ist schon gut. Ich kriege das schon hin. Irgendwie.«

Ich wechselte schnell das Thema: »Wie läuft's mit Linden?«

Maisie senkte den Blick und atmete tief ein und aus. »Er...«, fing sie an, brachte es aber nicht zu Ende.

Caitlyn legte ihre Hand auf Maisies Rücken. »Er hat sich vom Kurs abgemeldet, hat Melanie uns heute erzählt«, sagte sie wütend, »was für ein Loser!«

Oh. Das war... überraschend? Ich kannte Linden nicht sonderlich gut, aber sich direkt abmelden? War das nicht übertrieben?

»Ich verkrafte das schon...«, flüsterte Maisie und sah mich mit ihren dunklen Rehaugen an, »Wie läuft es bei dir und Hanson?«

Eigentlich gut. Wir waren seit gestern ein Paar, aber komischerweise fühlte sich das überhaupt nicht so an. Solange ich vor ihm Geheimnisse hatte, konnte ich nicht glücklich sein. »Naja«, war das Einzige, was ich über die Lippen brachte, bevor erneut jemand laut an die Tür klopfte.

Regungslos starrte ich Caitlyn und Maisie an und traute mich nicht, auch nur eine Bewegung zu machen. Wenn das Thane war, war ich erledigt. Mein Herz fing augenblicklich an zu rasen. Panik durchflutete meinen eiskalten Körper. Könnte ich ihn wenigstens wahrnehmen, dann wäre das kein Problem. Aber er konnte kommen und gehen und ich würde es nicht bemerken.

»Willst du nicht aufmachen?«, fragte Caitlyn irritiert.

Ich schluckte schwer. »D-doch«, stammelte ich, »n-natürlich.«

Das Klopfen wurde lauter. Genauso wie das Dröhnen in meinem Kopf. Meine Beine zitterten so sehr, dass ich dachte, ich würde gleich in Ohnmacht fallen. Plötzlich ging die Zeit quälend langsam. Caitlyns und Maisies Blicke in meinem Rücken machten es nicht besser. Es war als würde ich gezwungen werden, bis zum Rand des Dachs zu laufen und mich dann ins Verderben zu stürzen.

Mit stockendem Atem riss ich die Tür auf. Als ich sah, wer vor mir stand, konnte ich mich nicht mehr auf den Füßen halten. Ich kippte weg und wäre fast zu Boden gefallen, wenn Hanson mich im letzten Moment nicht festgehalten hätte.

»Verena!«, sagte er erschrocken und zog mich wieder auf die Beine.

»Oh, Gott!«, hörte ich Maisie sagen. Sofort eilte sie zu mir.

Ich nahm alles nur verschwommen wahr. Ihre erschrockenen Gesichter. Die Panik. Mein Brustkorb hob und senkte sich in heftigen Bewegungen. Ich hatte das Gefühl zu ersticken. Die Panik schnürte mir förmlich die Kehle zu.

Im nächsten Moment fand ich mich auf meiner Couch liegend wieder.

»Soll ich einen Krankenwagen rufen?«, fragte Maisie panisch. Allein bei dem Wort Krankenwagen wurde mich schlechter zumute.

»Nein, Verena will das nicht«, erwiderte Hanson bestimmt.

Tränen füllten meine Augen. Meine Atmung wurde von Schluchzern unterbrochen.

»Alter, sieh sie dir mal an! Sie hat einen Panikattake!«, schrie Caitlyn jetzt.

Aufhören! Ich wollte, dass das Gefühl in meiner Brust aufhörte, aber das tat es nicht. Alles drehte sich. Ich wollte keinen Krankenwagen! Bloß keinen Arzt!

Blazing HeartWhere stories live. Discover now