o96. Du musst das nicht tun

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Für einen Moment vergaß ich, wie man atmete. Mehrere Schauder durchfuhren mich. Ich konnte es nicht glauben. Kein einziges Wort.

Warrin senkte den Blick. »Ich war genauso wie Thane. Warm... und wenn ich das Böse spürte eiskalt«, beendete er seinen Satz und blickte mich dann wieder an. »In gewisser Weise so wie du.«

Atemlos starrte ich Warrin an. Alles drehte sich. Er war mal genauso wie Thane und ich gewesen? Er hatte all die Zeit gewusst, wie furchtbar ich mich gefühlt haben musste, aber es schamlos ausgenutzt? Obwohl er wusste, dass es nicht schön war in so einem Körper zu stecken?

Wut und Verzweiflung stiegen in mir auf. Das war eine Lüge. Ich glaubte ihm nicht. Kein Wort.

Doch die Tatsache, dass Warrin bei unserem ersten Treffen genau wusste, worauf er achten musste, bewies mir, dass seine Worte der Wahrheit entsprachen. Sie zeigten, dass er mir zwei Jahre lang etwas verheimlicht hatte. Dass er mich angelogen hatte. Ich hatte angenommen, dass er schon sein ganzes Leben lang fliegen konnte, aber es war nicht so. Nichts war so gewesen, wie er es mir erzählt hatte. Alles eine bittere Lüge. Und das Schlimmste: Er hatte irgendwie einen Weg gefunden, anders zu werden. Und obwohl er wusste, dass ich litt, hatte er mich weiterleiden lassen. Jeden verdammten Tag.

Ich spürte, wie mein Brustkorb sich hob und senkte. Mit zusammengebissenen Zähnen unterdrückte ich den Drang zu weinen. Ich durfte jetzt nicht weinen, nur weil ich mich betrogen fühlte. »Wieso?«, fragte ich stattdessen mit zugeschnürter Kehle. Verdammt nochmal wieso.

Ich hatte das Gefühl, mich in dem größten Albtraum meines Lebens zu befinden, aber je fester Thane die Waffe in meinen Nacken drückte, ich wachte einfach nicht auf. Obwohl ich es so sehr wollte. Aus dem Albtraum erwachen, der sich mein Leben nannte.

Warrin atmete tief ein und aus, dann befand er sich auf dem Boden. »Ich konnte es dir nicht sagen, Verena«, er brachte die Worte gepresst hervor, als wäre es etwas gewesen, das er mir am liebsten für immer verschwiegen hätte. Ich zitterte am ganzen Körper. Genau das hätte er womöglich getan.

»Keine rührseligen Geschichten«, schnaubte Thane, »Ich will wissen, was dich verändert hat! Wie bist du zu deinen Fähigkeiten gekommen?«

Ich stöhnte auf, als Thane fester zupackte und mir das Messer beinahe aus der Hand fiel.

Jetzt drückte sich die Schusslinie so tief in meine Haut, dass mir das Blut in den Adern gefror. »Spuck's aus oder ich töte sie vor deinen Augen.«

Warrin schüttelte den Kopf, seine Augen trugen so viel Leid in sich, dass sich meine Brust zusammenzog. »Ich kann es nicht aussprechen«, hauchte er, »Es geht einfach nicht. Ich habe es so oft versucht. Es ist unmöglich.«

Ich wusste nicht, was diese Worte bedeuteten, aber Warrin sprach die pure Wahrheit. Ich sah es an den Tränen, die sich in seinen Augen bemerkbar machten.

»Lüg mich nicht an!«, zischte Thane und verfestigte den Griff um mich. Warrin machte einen Schritt auf uns.

»Ich lüge nicht!«, schrie er, »Verdammt, ich wollte es Verena schon so oft sagen, aber es ging nicht! Sobald ich die Worte ausspreche, versagt meine Stimme. Egal, was das in mir ist, es möchte nicht, dass ich mein kostbarstes Geheimnis preisgebe. Es hindert mich daran. Tag für Tag.«

Stumm lief Warrin eine Träne über die Wange und ich glaubte, ihn zum ersten Mal weinen zu sehen. »Tu Verena nichts. Sie hat mit der Sache nichts zu tun. Glaubst du nicht, ich hätte sie von ihrem Leid befreit, wenn ich es gekonnt hätte?«

Warrin flehte Thane an. So sehr, dass es in meinem Herzen schmerzte. Ich war nicht mehr wütend, sondern unfassbar traurig. Traurig, dass ich Warrin so viel bedeutete und es erst jetzt bemerkte. Dass er sein Leben aufs Spiel setzte, um mich zu retten. Dass die Tatsache, dass er es nicht konnte, ihm zum Weinen brachte.

Blazing HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt