o67. Ein eiskalter Unfall

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Vor Schreck konnte ich den Mund nicht geschlossen halten. Mit geweiteten Augen beobachtete ich Linden dabei, wie er sich hinkniete und mit den Fingern über die glatte Eisfläche strich. Hinter seinen Brillengläsern leuchteten seine Augen vor Kuriosität. »Wie hast du das gemacht?«, fragte er erneut.

Mein Hals war ganz trocken. »Ich weiß nicht, was du meinst«, erwiderte ich heiser und richtete mich auf. Etwas Besseres als Abstreiten fiel mir nicht ein. Mein Gehirn war bei dem Versuch eine Lösung für diese Situation zu finden schlichtweg überfordert. Was machte Linden überhaupt hier? Ich dachte, er hätte sich vom Kunstkurs abgemeldet!

Der schlaksige Kerl erhob sich. »Du weißt ganz genau, was ich meine!«, er war vollkommen aus dem Haus. Mehrmals deutete er auf die Eisfläche. »WIE zum Kuckuck hast du das angestellt?«

Es war eine furchtbare Idee gewesen, das Haus zu verlassen! Ich hätte nicht hierherkommen dürfen! Was sollte ich Linden denn nun sagen? Er war nicht dumm. Er würde nicht lockerlassen. Außer ich sagte ihm die Wahrheit.

Die Wahrheit.

Ehe der Gedanke sich in meinem Kopf geschlichen hatte, sprach ich ihn bereits aus. »Maisie ist voll in dich verknallt!«, schoss es aus meinem Mund.

Linden zog die Augenbrauen zusammen. »Was?«, fragte er so, als hätte er nicht verstanden, was ich soeben von mir gegeben hatte.

Das war der Moment, in dem mein Kopf vollkommen auf Durchlauf setzte. »Maisie himmelt dich schon seit Monaten an. Sie hat nur Augen für dich! Im Kurs beobachtet sie dich heimlich. Bzw. hat sie dich beobachtet. Sie steht volle Kanne auf dich. Du bist der Kerl ihrer Träume«, ich konnte die Worte nicht daran hindern meinen Mund zu verlassen. Sie kamen und das in einem Tempo, das die Menschheit noch nicht gesehen hat. »Aber dann haben wir diese blöde Wette gemacht und sie musste dich nach einem Date fragen. Du hast sie abserviert. Daraufhin war sie am Boden zerstört.« Ich atmete schwer.

Lindens Augen waren geweitet. Innerhalb von Sekunden waren seine Wangen puterrot.

Ich wartete gar nicht erst auf seine weitere Reaktion, sondern trat voller Hysterie auf die Eisfläche, damit sie zusammenbrach. Dann rannte ich weg. So schnell ich konnte. Mit hastigen Schritten suchte ich das Weite und wollte mich am liebsten dafür ohrfeigen, dass ich nicht besser aufgepasst hatte. Dann hätte ich Maisies Geheimnis nicht verraten müssen. Aber was hätte ich Linden sonst sagen sollen, um ihn aus dem Konzept zu bringen?

* * *

Aufgewühlt stürmte ich das Treppenhaus hoch. Ich war so eine Vollidiotin. Was sollte Linden jetzt von mir denken? Hoffentlich begegnete ich ihm nie wieder. Im Fachbereich merkwürdige Dinge erklären war ich nämlich nicht die Begabteste. Was mich zum nächsten Problem brachte: Hanson.

Die letzten Stufen sprintete ich nicht mehr hoch, sondern schlich sie. Ich wollte ihm nicht unter die Augen treten. Vor allem nicht, nachdem sich meine Fähigkeit zu den einer Hexe verwandelt hatten. Vielleicht war Melanie Husk doch im Atelier umgefallen. Man konnte ja nie wissen!

Ich wollte zu meiner Haustür, stolperte aber beinahe über einen mittelgroßen Karton. Wann hatte ich denn etwas bestellt? In Eile legte ich ihn mir unter den Arm und schloss die Tür auf. Als ich einen genaueren Blick auf die Adresse erhaschte, fiel mir auf, dass es gar nicht meiner war. Der Karton war auch nicht für Hanson bestimmt, sondern für Miss Stone.

Ich erstarrte in meiner Bewegung. Nicht das auch noch! Unweigerlich musste ich an die Zeit nach Dads Tod denken, wo ab und an noch Dinge von der Post kamen, die für ihn bestimmt waren. Wenn man einen Toten nicht überall abgemeldet hatte, dann kam das vor. Ich biss mir auf die Lippe. Ich wollte nicht, dass Hanson an seine verstorbene Großmutter erinnert wurde! War es falsch, wenn ich den Karton in meine Wohnung nahm und vor ihm versteckte?

Anscheinend ja, denn Mina fing an, wie eine Verrückte zu zischen. Keine drei Sekunden war sie oben, zeigte sie mir, wie sehr sie mich hasste und fuhr dabei die Krallen aus.

Ich stöhnte auf. »Freunde werden wir wohl nie werden«, gab ich murrend von mir und machte einen Schritt in mein Apartment.

Minas Miauen wurde lauter. Plötzlich stand sie direkt vor meiner Tür. Entweder die kleine Katze hatte heute extra schlechte Laune oder auch sie merkte, dass ich mich verändert hatte und nun wirklich eine Bedrohung darstellte. Ich tippte auf Letzteres.

Genervt stellte ich den Karton ab und wollte die Tür schließen, möglichst ohne dabei Mina zu zerquetschen.

»Chhhhh«, ihr Fauchen wurde lauter.

Ich presste die Lippen zusammen. Das durfte jetzt doch nicht wahr sein.

Plötzlich hörte ich, wie unten die Tür aufgestoßen wurde. Verdammt. Das musste Hanson sein. 

Alarmiert versuchte ich Mina mit dem Schuh zur Seite zu schieben, aber die kleine Katze ließ sich auch davon nicht beeindrucken. 

Die Schritte wurden lauter. Panik durchströmte meinen Körper. Das passierte gerade doch nicht wirklich! Diese blöde Katze zwang mich förmlich, Hanson wieder unter die Augen zu treten.

Ich biss die Zähne zusammen und bückte mich. Ich nahm das Tier gegen seinen Willen in meine behandschuhten Hände. Dabei rastete Mina vollkommen aus und zerkratzte meine Jacke. Ich wollte sie ganz schnell auf Hansons Fußmatte ablegen und dann in mein Apartment eilen, doch dann passierte etwas, was ich eigentlich hätte hervorsehen müssen. Mina verstummte und gab einen letzten wehleidigen Ton von sich, bevor sie einfach in meinen Händen einfror. Scharf zog ich die Luft ein. Was hatte ich getan?

Plötzlich fühlte sich ihr Fell nicht mehr weich an, sondern steinhart. Ich schüttelte sie durch. »Nein, nein, nein«, gab ich verbittert von mir, »Wach sofort wieder auf!«

Die Schritte wurden lauter. Hektisch sah ich mich zu allen Richtungen um. Was sollte ich denn jetzt tun?! Ich hatte soeben Hansons Katze getötet! Oh, Gott! Das arme Tier!

Hanson würde mich hassen, wenn er sah, was ich angestellt hatte! Ich rannte mit Mina in den Händen sofort in mein Apartment und schloss die Tür hinter mir. Leider nicht so leise, wie ich mir das erhofft hatte. Die Wand vibrierte, so laut hatte ich sie in meiner Panik zu gedonnert.

Sofort stellte ich Mina auf den Boden ab und presste die Hand aus meinem Mund. Scheiße. Scheiße. Scheiße. Ich konnte sie nicht hierbehalten. Hanson würde spätestens heute Abend merken, dass sie verschwunden war. Und dann würde er bei mir vorbeischauen.

Sofort stellte ich mich an den Spion. Hanson kam nichts wissend die letzte Stufe hoch und verschwand in seinem Apartment. Verdammt, er hatte doch schon seine Großmutter verloren! Und nun hatte ich ihm auch noch seine Katze genommen.

Mit zusammengebissenen Zähnen drehte ich mich zu dem Tier um, das jetzt mehr aussah wie eine Statue. War es verrückt, wenn ich ernsthaft mit dem Gedanken spielte, sie in die Mikrowelle zu stecken? Ich raufte mir das Haar. Natürlich war das verrückt! Verbittert lachte ich auf und spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen. Was sollte ich dieses Mal bitte tun?

Ich fing an, hektisch in der Wohnung herumzulaufen. Ich hätte mein Apartment nicht verlassen dürfen. Ich hätte einfach drinnen bleiben müssen. Dann hätte Linden mich nicht erwischt und ich hätte nicht aus Versehen die Katze meines Freundes umgebracht. Ein Schluchzer entwich meiner Kehle. Wieso musste mein Leben so verrückt sein? Konnte ich nicht einfach ein normaler Mensch sein? Ich hatte dieses ganze Spiel satt. Ich konnte nicht mehr.

Wimmernd ließ ich mich neben Mina an der Wand auf den Boden gleiten. Ich hatte das alles nie gewollt! Wieso mussten Dad und Mom unbedingt ein Kind haben, wenn sie wussten, dass es ein Risiko war?! Mom hätte niemals sterben dürfen. Sie hätte ihr Leben einfach genießen müssen. Bis zum letzten Atemzug. Dann hätte Dad sich keinen Tag den Kopf darüber zerbrechen müssen, wie er seine Tochter beschützen sollte. Er hätte mit Mom ein glückliches Leben führen können. Eins mit so viel weniger Tränen.

Schluchzend vergrub ich das Gesicht in meinen Händen. Ich war so am Ende. Das Einzige, was ich wollte, war eine Erlösung von all dem Leid und Kummer. Ich biss mir so fest auf die Lippe, dass ich Blut schmeckte. Aufgelöst strich ich mir das Haar aus dem Gesicht. Mein Blick wanderte von Mina zur Couch, unter welcher sich noch immer die Pistole befand. Verräterisch leuchtete sie im Licht der untergehenden Sonne.

Blazing HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt