o48. Die unaussprechliche Wahrheit

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»Wenn du das tust«, schrie Thane mich an, »Drehe ich dir höchstpersönlich den Hals um!«

Ich zitterte am ganzen Leib. »Ist mir egal!«

Thane machte einen Schritt auf mich zu, wofür ich die Kette tiefer hinabsinken ließ.

»Stopp! Verdammt!«, fluchte er und sah mich bitterböse an, »Du denkst, ich meine das nicht ernst? Du muss ich dich enttäuschen.« Seine Stimme wurde zwar leiser, aber bedrohlicher.

Ich spürte, wie sich meine Nackenhaare aufstellten.

»Wenn du die Spülung jetzt betätigst«, Thanes Augen leuchteten in beängstigendem Ton, »Dann kannst du dich nicht nur darauf gefasst machen, dass ich dich verletze, sondern auch deinen kleinen Freund.«

Hanson.

Mir klappte der Mund auf. Nein, das konnte er nicht tun!

»N-nein!«, stotterte ich, »Er hat nichts damit zu tun.«

Plötzlich drehte sich alles in mir. »Du kannst Hanson nicht da reinziehen!«, schrie ich Thane an.

Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Und wie ich das kann. Sieh's ein! Du hast verloren.«

Ich wusste nicht, was ich erwidern sollte. Das konnte er doch nicht einfach tun! Ich zog den Aquamarin in zitternden Bewegungen zurück. Hanson litt doch wegen seiner Großmutter schon genug. Er hatte das nicht verdient.

Thane machte einen Schritt auf mich zu, wofür ich zusammenzuckte. »Gib's auf...«, sagte er jetzt ruhiger, »...es war von Anfang an klar, dass du keine Chance gegen mich hast.«

Ich starrte ihn verbittert an. Er hatte Recht. Dafür wusste er einfach zu viel über mich und konnte es zu jeder Zeit gegen mich verwenden. Er konnte Hanson sagen, dass ich anders war, ihn verletzen und so viel mehr. Ich war machtlos.

Thane stand nun direkt vor mir. Er griff nach dem Aquamarin. Im ersten Moment wehrte ich mich, dann ließ ich den Edelstein einfach los. Es hatte keinen Zweck mehr zu kämpfen.

»Geht doch«, sagte Thane mit einem fiesen Lächeln und machte ein paar Schritte zurück.

»Ich komme wieder«, hörte ich ihn noch sagen, als er zur Tür ging, »Es ist noch nicht vorbei, Eisprinzessin.«

Als er die Tür hinter sich schloss, brach ich in Tränen aus. Ich hatte kläglich versagt. Ich hatte ihm den Aquamarin einfach gegeben.

Verbittert sank ich an der Wand herunter und zog meine Knie an mich, um mein Gesicht tief in ihnen zu vergraben. Ich schrie auf. Tränen der Verbitterung rannten meine Wangen herunter. Mein Brustkorb bebte.

Warrin hätte mir den Edelstein niemals anvertrauen dürfen. Und Thane hätte niemals herausfinden dürfen, wo ich wohnte. Wie konnte ein Mensch nur so böse sein? Was war bei Thane bloß falsch gelaufen, dass er solch eine finstere Persönlichkeit entwickelt hatte? Ich hatte das Gefühl, dass er keine Gefühle hatte. Dass er tief in sich drin ein Herz aus Eis besaß.

»Verena?«, hörte ich eine vertraute Stimme plötzlich sagen.

Hanson.

Ich hörte, wie er die Haustür aufmachte und mein Apartment betrat. Ich wollte mir die Tränen aus dem Gesicht wischen und so tun, als wäre nichts passiert. Doch Hanson betrat das Bad und ich saß noch immer zusammengekauert neben dem Klo. Einen Tränenschleier bedeckte mein Gesicht.

»Oh«, stöhnte er, »Ich habe diesen Kerl gesehen und wusste sofort, dass etwas nicht stimmt! Was ist passiert? Wer war das?« Sofort kam er auf mich zu und kniete sich zu mir herunter.

Er hatte Thane also gesehen. Das machte es schlimmer – viel schlimmer. Ich schluchzte heftiger. Was sollte ich Hanson denn jetzt sagen? Dass ich Thane einen Edelstein gegeben hatte, den Warrin gestohlen hatte?

Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Meine Brust hob und senkte sich in unregelmäßigen Bewegungen. Diese Lügen machten mich krank. Diese ganze Sache, die für Thane nur ein Spiel zu sein schien.

Ich spürte, wie Hanson seine Arme um mich legte und mich an sich heranzog. »Schon gut...«, flüsterte er und strich mir über den Rücken, »...was auch immer er getan hat, er ist jetzt weg. Er kann dir nichts mehr anhaben. Nicht, wenn ich bei dir bin.«

Wenn es denn so einfach wäre.

Ich musste ausziehen und mir eine neue Wohnung suchen, war mein erster Gedanke, als Hanson mich aus der Umarmung zog und mir mit dem Daumen die Tränen aus dem Gesicht wischte. Nicht nur, weil ich mich vor Thane fürchtete, sondern auch, weil ich Angst vor Warrins Reaktion hatte, wenn er herausfand, dass ich Thane den Aquamarin einfach gegeben hatte.

Ich zitterte am ganzen Leib und starrte Hanson angsterfüllt an. Besorgt musterte er mich.

»Ich rufe die Polizei«, sagte er plötzlich, »Das geht so nicht weiter. Erst dieser komische Mann, der dich verfolgt, und jetzt dieser Typ. Du bist in Gefahr.«

Sofort rutschte mir das Herz in die Hose. Ich fasste Hanson an den Schultern. »Nein!«, weinte ich, »Nicht die Polizei!«

Er schien es vollkommen ernst zu meinen. »Bitte!«, flehte ich und sah ihn mit neuen Tränen in den Augen an.

»Wieso darf ich nicht die Polizei rufen?«, fragte Hanson verwirrt, »Verena, sieh dich an, was dieser Kerl mit dir angestellt hat! Ich kann nicht dabei zu sehen und nichts tun! Verstehst du das denn nicht? Ich bin krank vor Sorge.«

Ich stieß Hanson von mir weg. »W-wenn du die Polizei rufst«, stotterte ich, »dann bin ich erledigt.« Ich lehnte den Kopf an die Wand. Ich wäre dann nicht nur erledigt, sondern für immer weggesperrt.

»Was redest du da?«, fragte Hanson irritiert.

Ich raufte mir das Haar und wollte seine Stimme nicht länger hören. Denn je mehr Sorgen er sich um mich machte, desto größer wurden die Gewissensbisse. Ich hasste es ihn anzulügen.

»Verena, was ist hier eigentlich los?«, seufzte Hanson und griff nach meiner Hand, »Manchmal habe ich das Gefühl, dich besser als jeder andere zu kennen und dann passieren solche Dinge. Du verschwindest ohne jeglichen Grund, triffst merkwürdige Kerle, kommst erst spät Abends nach Hause, bist manchmal wie vom Erdboden verschluckt... ich will wissen, was los ist. Kannst du mich bitte aufklären?«

Ich kniff die Augen zusammen und konnte die neuen Tränen nicht stoppen. »Ich kann nicht!«, sagte ich mit gebrochener Stimme, »Ich kann einfach nicht!«

Denn wenn ich die Wahrheit sagte, dann wollte Hanson nichts mehr mit mir zu tun haben wollen. Er würde mich für das, was ich war, verstoßen.

Ein anderer Grund, wieso ich schwieg, war Dad. Ich hatte sein Gesicht genau vor Augen. Nein, ich konnte das nicht tun. Denn mit Dads Tod hatte ich mir geschworen, es niemals wieder jemanden zu erzählen.

Hanson sah mich einen Moment stillschweigend an, dann nickte er. Ich sah in seinen Augen, dass er unzufrieden mit meiner Antwort war. »Ich zwinge dich nicht, es mir zu sagen...«, flüsterte er, »...wenn du nicht willst, dann ist das in Ordnung.«

War es das wirklich?

Ich ließ mich erneut von Hanson umarmen und vergrub mein Gesicht tief in seiner Brust. Obwohl seine Großmutter vor einer Woche verstorben war, war er stets noch in der Lage, sich um mich zu kümmern. Er war so stark. So gut zu mir. Vielleicht sogar zu gut.

Hanson umarmte mich fest und für einen Moment hatte ich das Gefühl, dass ihm egal wäre, dass ich anders war, dass er mich trotzdem so nehmen würde, wie ich eben war. Doch dann kamen wieder die Zweifel, Ängste und alte Versprechen hoch.

Hanson strich mir über den Rücken. Ich umklammerte ihn fester. Denn ich hatte das Gefühl, dass, wenn ich ihn jetzt losließ, er für immer gehen würde...

Blazing HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt