o40. Zwei gebrochene Herzen, eins aus Eis

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Eine Ewigkeit verharrten Hanson und ich in dieser Position. Noch zitterte er am ganzen Leib.

Mit meinen Fingern fuhr ich ihm durch das helle Haar. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, um ihn zu trösten. Miss Stone war mir die ganze Zeit, bevor Hanson kam, auf die Nerven gegangen. Ich hatte sie als Schreckschraube bezeichnet. Ich hatte das Gefühl, wenn ich jetzt nur Gutes über sie verlor, dann wäre das heuchlerisch. Obwohl die alte Frau mir doch niemals absichtlich auf die Nerven gehen wollte. Sie hatte sich wahrscheinlich nur Sorgen gemacht, weil ich Nacht für Nacht völlig fertig nach Hause getorkelt war. Ich hatte die arme Frau im Glauben lassen, ich würde mich jede Nacht betrinken, aber eigentlich war ich auf heimlichen Missionen gewesen. Geholfen die Welt ein Stückchen besser zu machen. Und jetzt war sie weg. Für immer.

Ich spürte keine Tränen mehr an meinem Hals. Hanson war ruhiger geworden, sein Herz raste nicht mehr so.

Ich schloss die Augen und drückte ihn fester an mich. Es war schwer jemanden zu verlieren. Das musste ich am besten wissen.

Nach einer Weile löste sich Hanson von mir. Ich blickte ihn seine blauen Augen, die einen stürmischen Ozean in sich trugen. »Es tut mir leid...«, sagte ich, weil ich sonst keine Worte fand.

Hanson ließ den Blick sinken. Er war ganz blass. Mit unruhiger Hand fuhr er sich durch das Haar, welches wirr in alle Richtungen abstand. »Schon gut«, erwiderte er knapp.

Ich biss mir auf die Lippe. Ich wollte mehr für Hanson tun, aber ich wusste nicht wie. Mittlerweile hatte ich in meinem Leben so viele Tode miterlebt, dass ich eine Mauer um mich aufgebaut hatte. Ich gab mir für jeden Toten einen Tag zum trauern, dann konzentrierte ich mich auf das nächste Verbrechen, wo erneut ein Mensch um sein Leben bangen musste. Ich war in einem ewigen Kreislauf gefangen. Ich hatte versucht zu entkommen, aber das war unmöglich. Menschen starben, wurden getötet. Das Leben war nicht fair.

Ich blickte in Hansons Augen. Sie waren glasig. »Es tut mir so leid...«, sagte ich wieder, als wäre es fast schon meine Schuld gewesen, dass Miss Stone nicht mehr unter den Lebenden weilte.

Hanson presste mit leidendem Blick die Lippen zusammen. »Kannst du bitte aufhören dich zu entschuldigen?«, fragte er verbittert.

Ich fuhr mir durchs Haar. »Tut mir Leid, ich bin einfach so schockiert. Sie war meine Nachbarin und...« Ich brach ab, ich hatte es schon wieder getan.

Hanson erwiderte nichts. Er nickte nur leicht und schien noch immer in einer anderen Welt gefangen zu sein. Seine blauen Augen trugen solch eine Verzweiflung in sich, dass ich überfordert war.

»Hey, alles wird wieder gut...«, versuchte ich ihn zu besänftigen und legte meine Hand auf seinen Arm.

Daraufhin schloss Hanson die Augen und atmete einmal tief ein und aus. Sein Unterkiefer zitterte noch leicht. »H-hoffentlich...«, brachte er leise hervor.

Natürlich würde alles wieder gut werden. Irgendwann würde er sich mit dem Tod seiner Großmutter abfinden. Irgendwann würde sich sein zerbrochenes Herz von alleine zusammenflicken. Irgendwann würde es aufhören so höllisch wehzutun. Irgendwann wäre nur noch eine Narbe übrig. Oder auch nicht. Vielleicht würde er auch für immer leiden. So wie ich. Wegen Dad.

Hansons öffnete die Augen wieder. Einen Moment ruhte sein Blick auf mir. »Danke...«, sagte er dann, »...danke, dass du für mich da bist.«

Ich schenkte ihm ein leichtes Lächeln, was er nur schwach erwiderte. Er sah dennoch so unendlich traurig aus. Es musste schwer sein, sich in der Wohnung der Frau zu befinden, die man für immer verloren hatte. Allein der Gedanke war irgendwie beängstigend.

Meine Finger wanderten wie von allein zu Hansons Gesicht. Behutsam strich ich ihm über seine Wange und machte mir in dem Moment keine Sorgen über die Kälte, die er bemerken könnte. Hansons Wohl stand jetzt an erster Stelle.

»Für dich würde ich alles tun...«, flüsterte ich und wollte, dass er wieder grinste und voller Lebenslust war. Ich wollte sein strahlendes Lächeln zurück.

Der gequälte Junge nahm meine Hand in seine und drückte sie ganz fest. Als wäre sie der letzte Halt in seinem Leben. »Ich auch...«, erwiderte er dann. 

Ein leichtes Kribbeln machte sich in meinem Magen bemerkbar, als er mich plötzlich näher an sich heranzog. »Du weißt gar nicht, wie sehr...«, brachte er kaum hörbar hervor.

Die Worte, die er ausgesprochen hatte, veranlassten mein Herz dazu, doppelt so schnell zu schlagen. Ich verlor mich in dem Blau seiner Augen und fragte mich, ob er das wirklich so meinte.

Ob er für mich wirklich alles tun würde...

Erst als er seine Lippen auf meine legte, wurde mir klar, dass er es in der Tat so meinte.

Hansons Lippen waren warm und schmeckten nach salzigen Tränen. Ein Teil von mir war überwältigt von den Gefühlen, die in meinem Magen lostraten, der anderer Teil konnte sein Glück nicht fassen.

Aber das Glück währte nicht sonderlich lange. Denn im nächsten Moment löste sich Hanson von mir und schenkte mir einen undefinierbaren Blick. Ich hätte mir nichts dabei gedacht, wenn er mich nicht so lange so merkwürdig angeschaut hätte, aber er tat es und auf einen Schlag fühlte ich mich unwohl in meiner Haut.

Als er seine Lippen berührte, wusste ich ganz genau, was ihm da gerade durch den Kopf ging. Ich verkrampfte. Er fragte sich, warum meine Lippen so unheimlich kalt waren. Er war irritiert. Genauso wie jeder andere, den ich jemals geküsst hatte. Es war so oft vorgekommen und jedes Mal war spätestens danach Schluss. Ich war ein Eisblock und niemand wollte einen Eisblock küssen.

Zitternd erhob ich mich von meinem Platz. »T-tut mir leid!«, stammelte ich und fühlte mich schlecht dafür, dass ich ihm nicht erklären konnte, wieso meine Haut so kühl war.

Hanson wollte etwas sagen, aber ich wollte es nicht hören. > Gott, du bist eine grausame Küsserin! < hatte mir nicht nur ein Kerl gesagt. Oder > Irgendwie ist das Einzige, was ich zwischen uns beiden spüre, Kälte. Ich glaube, das ist ein Zeichen. Wir sollten uns nicht mehr sehen. <

»Ich... ich muss gehen.« Ich lief zur Tür raus und stürmte in mein Apartment, wo ich mich einschloss.

Verzweifelt fuhr ich mir durchs Haar. Erst dann realisierte ich richtig, was ich soeben getan hatte. Ich weitete die Augen. Ich hatte Hanson nicht nur einmal, sondern gleich doppelt enttäuscht.

Einmal, in dem ich eine grausame Küsserin war und zweimal, in dem ich ihn zurückgelassen hatte, obwohl seine Großmutter von uns geschieden war. 

Verbittert ließ ich mich an der Tür heruntersinken. Was war, wenn er jetzt nichts mehr mit mir zu tun haben wollte? Was war, wenn zwischen uns beiden jetzt alles kaputt war? Oder schlimmer noch: Was war, wenn Hanson hinter mein Geheimnis kam?

Blazing HeartWhere stories live. Discover now