o26. Eine Modedesignerin ist geboren

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Verzweifelt kramte ich in meinem Schrank herum und versuchte ein Kleid zu finden. Ich war mir eigentlich sicher, dass ich eins besaß, aber es war unauffindbar. Warrin hatte mir gestern gesagt, dass ich eins für diese blöde Versteigerung brauchte. Ich konnte nicht in Pullover und Stiefel aufkreuzen. Es herrschte ein strickter Dresscode, vor dem ich mich jetzt schon fürchtete. Allein die Vorstellung von nackten Armen ließ mir alle Nackenhaare zu Bergen stehen.

Verbittert setzte ich mich auf mein Bett. Ich musste shoppen gehen. Schon wieder! Ich betrachtete den Stapel an Kleidung, der sich auf meinem Bett türmte. Aber ich wollte nicht shoppen gehen! Ich war wahrscheinlich das einzige weibliche Wesen auf Erden, dass es hasste Shoppen zu gehen, aber so war es. Schon beim letzten Mal mit Maisie hatte sich meine Begeisterung in Grenzen gehalten.

Ich zog meinen Lieblingspullover aus dem Stapel, doch das brachte den Turm aus Kleidung nur zum Schwanken. Ehe ich mich versah, lagen alle meine Kleidungsstücke auf dem Boden verteilt. Ganz toll!

Schlecht gelaunt setzte ich mich auf den Boden und faltete jedes Stück wieder zusammen. Dabei fiel mir das Skizzenbuch, das ich letzte Woche gekauft hatte, wieder ins Auge. Ich räumte die Kleidung wieder in den Schrank und holte es dann hervor. Ich schlug die erste Seite auf. Furchtbare Bleistiftkritzeleien kamen mir entgegen. Da hatte ich ja noch null Inspiration gehabt.

Ich blätterte auf die nächste Seite und hielt inne. Plötzlich hatte ich Visionen von meinem Traumkleid vor Augen. Eins, das schön war, aber trotzdem warm hielt. Am besten mit Spitze! Und langen Ärmeln! Ja, das war es! Ich designete mir mein Kleid einfach selbst!

Hastig warf ich mich aufs Bett, kramte einen Bleistift hervor und fing an zu zeichnen. Eine Stunde später hielt ich den ersten Entwurf in meinen Händen. Jetzt musste ich es nur noch irgendwie umsetzen.

Ich kramte den Karton mit alten Klamotten aus dem Schrank und holte die verstaubte Nähmaschiene wieder aus ihrem Versteck. Man, ich hatte echt lange nicht mehr genäht. In der Vergangenheit hatte ich oft Oberteile mit ein bisschen Stoff verdickt, aber auf die Idee, meine eigene Kleidung zu designen, war ich nie gekommen.

Ich legte meinen Entwurf auf die Fensterbank und holte eine Schere hervor. Dann wurde das ja mal Zeit! 

* * *

Vor nicht allzu langer Zeit

»Verena?« fragte eine Stimme, »Verena?« Leicht wurde ich wachgerüttelt.

Müde gähnte ich auf und rieb mir die Augen, bevor ich in die besorgten Augen meines Vaters blickte. »Dad...«, murmelte ich und setzte mich auf, »...wie viel Uhr ist es?«

Ein paar Sonnenstrahlen schlichen sich durch die Löcher in den Jalousien und erfüllten den Raum mit ein wenig Licht. »Du kommst zu spät zur Schule«, sagte mein Vater und zog die Rollläden komplett hoch.

Ich hielt mir die Hand vors Gesicht. »Ich fühle mich schlecht!«, murrte ich, »Ich will nicht zur Schule!«

Mein Dad ging vor mir in die Hocke. Behutsam nahm er meine Hand in seine. »Verena, ich konnte dich schon letzte Woche vom Unterricht befreien, aber jetzt ist Schluss mit dem Blaumachen. Du musst hin und etwas für deine Zukunft tun.«

Ich starrte wie hypnotisiert an ihm vorbei und blickte zur Münze, die das Sonnenlicht hell zum Leuchten brachte. Eine Woche war das nun her, dass ich sie erhalten hatte. Dass der fremde Junge mir das Leben gerettet hatte. ...Komm nach Hause... In meinem Kopf hallten seine Worte wieder. Diese dunklen Augen könnte ich niemals vergessen. Ich wollte mich bei ihm bedanken, aber ich wusste, dass ich ihn niemals wieder sehen würde.

»Verena?«, sagte mein Dad und setzte sich neben mich aufs Bett, »Wo bist du nur mit deinen Gedanken?«

Ich blickte meinen Vater wieder an und schluckte schwer. »D-dad... i-ch muss dir etwas sagen«, brachte ich stotternd hervor. Ich konnte es nicht mehr vor ihm geheim halten. Ich wollte meinen Vater wirklich nicht belasten, aber ich konnte nicht verschweigen, was ich da letzte Woche fast getan hätte. Wir hatten keine Geheimnisse. Nie. Er war der einzige Mensch auf Erden, der wusste, wie ich war.

»Was ist los, mein Schatz?«, fragte mein Vater fürsorglich, »Geht es dir nicht gut? Ist die Kälte in dir stärker geworden?« Er legte seine warme Hand auf meine Stirn. Erleichtert atmete er aus: »Nein.«

Ich sah ihn verwirrt an. »Wieso fragst du das immer?«, wollte ich wissen und drückte seine Hand weg.

Mein Vater sah zu Boden und ließ die Schultern sacken. »Ich weiß nicht...«, sagte er, »...ich habe Angst, dass dir das gleiche wie deine Mutter widerfährt.«

Ich drehte mich zu ihm. »Wie Mom?«, fragte ich, »Wie meinst du das?«

Mein Vater fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. »Ich... ich habe dir doch erzählt, dass sie bei deiner Geburt gestorben ist...«, stotterte er, »Ich habe dir aber nie erzählt, wie sie gestorben ist.«

Ich runzelte die Stirn. »Ich dachte, ihr Herz wäre einfach stehen geblieben?«, fragte ich meinen Vater und sah, wie sein Gesichtsausdruck sich änderte.

Ich hielt die Luft an und spürte, wie meine Augen sich mit Tränen füllten. »Dad? Bitte sag mir nicht, dass es anders war...«, hauchte ich, »...alles, aber bitte nicht das!«

Mein Vater nahm meine Hände. »Ich kann nicht...«, sagte er und sah mich an, »Verena, deine Mutter ist... erfroren.«

Gegenwart

»Verena?«, fragte eine Stimme, »Verena?« Erschrocken fuhr ich hoch und musste erst einmal in alle Richtungen blicken, um zu wissen, wo ich war. Ich hockte immer noch auf dem Zimmerboden vor der Nähmaschiene. Anscheinend warf ich gestern Nacht einfach eingeschlafen.

»Verena!«, hörte ich erneut eine Stimme meinen Namen rufen. Ich streckte mich einmal ausgiebig und torkelte dann zur Tür. Wie viel Uhr war es eigentlich?

Gähnend riss ich die Tür auf und blickte in Maisies braunen Augen. »Morgen!«, begrüßte der Lockenkopf mich mit einem strahlendem Lächeln.

Ich kratzte mich am Kopf und starrte auf die Tüte Brötchen, die sie in ihren Händen hielt. »Was machst du denn hier?«, fragte ich irritiert, »Und woher weißt du, wo ich wohne?«

Maisie lachte auf. »Du hast mir doch gestern eine Nachricht geschrieben!«, kicherte sie, »Ich sollte vorbei kommen wegen dem Kleid. Schon vergessen?«

Ich gähnte. »Ach, ja. Stimmt!«

Nachdem Maisie und ich gefrühstückt hatten, zeigte ich ihr meine Entwürfe. »Also das Kleid ist für diese Versteigerung, zu der du hingehst?«, fragte sie und begutachtete meine Skizzen.

Ich nickte schnell. »Ja, ich gehe da als Begleitung hin.«

Maisie nickte schwer begeistert. »Die Entwürfe sind wirklich wunderschön geworden! Das ist mal was anderes!«

Ich schenkte ihr ein Lächeln. »Danke!«

Maisie legte die Skizzen vor mir auf den Tisch. »Wenn das Kleid jetzt auch so aussieht, dann wirst du am Samstag eine echte Prinzessin sein! Zeig mal her.«

Ich nickte und schnellte in mein Schlafzimmer. Ich hatte gestern echt lange am Kleid gearbeitet, aber es sah nicht einmal annähernd aus, wie ich gehofft hatte. Hoffentlich konnte Maisie mir helfen, meine Fehler zu korrigieren.

Ich nahm das Kleid in die Hände und ging wieder zu ihr in der Küche. »Hier«, sagte ich und zeigte Maisie das vorläufige Resultat meiner Arbeit.

Maisie neigte den Kopf zur Seite. »Sieht ja fantastisch aus! Du hast richtig Talent. Hier und da ein paar Änderungen und es sieht sogar noch besser als die Skizze aus!«

Blazing HeartNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ