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"Hey Lilly", begrüße ich ein blondes Mädchen, das mir aufgeregt entgegen gerannt kommt. "Du glaubst es nicht", pustet sie außer Atem aus, "Armin hat mich heute morgen gefragt, ob wir zusammen die Mittagspause verbringen. Ich habe natürlich 'Ja' gesagt. Und dann saßen wir wirklich unter der alten Eiche auf dem Pausenhof. Wie ich es geträumt habe. Und weil meine Mama vergessen hat, mir etwas zu Essen mitzugeben, hat Armin mit mir sein Marmeladenbrot geteilt." Breit lächelnd und mit funkelnden Augen steht die Fünftklässlerin vor mir und wippt auf ihren Zehenspitzen auf und ab. "Das ist super! Ich freue mich für dich", versichere ich ihr.

Nachdem ich den Klassenraum betreten habe, winken mir die meisten Kinder zu und senken ihren Kopf dann wieder über ihre Hefte und Bücher. Ein Junge mit dunkelblonden Haaren kommt auf mich zu. Für seine 11 Jahre ist er bereits ziemlich groß. "Hi Colin", begrüße ich auch ihn mit Namen.

Es hat seine Zeit gebraucht, aber mittlerweile beherrsche ich den Namen von jedem einzelnen Kind, das Montags seinen Nachmittag hier in diesem Raum verbringt. Erschreckender Weise sind es nicht gerade wenige. Einmal in der Woche helfe ich den Schülern der Pine Ridge Secondary School bei ihren Hausaufgaben. 24 Fünft- bis Siebtklässer verbringen hier mit mir die nächsten drei Stunden.

Es bereitet mir Freude, zu sehen, dass die Jungen und Mädchen sich immer bemühen und sich von Monat zu Monat in ihren Leistungen steigern. Es gibt Tage, da fragt keiner nach Hilfe und es gibt Tage, da wünsche ich mir, dass mindestens 20 Kinder auf wundersame Weise plötzlich verschwinden.

In den letzten Jahren hat sich der Gedanke, Lehramt zu studieren, in meinem Kopf festgesetzt. Also absolviere ich eine ehrenamtliche Tätigkeit in meinem späteren Arbeitsumfeld, während ich Tonnenweise an Pizza ausliefere, damit ich mir das Studium irgendwann leisten kann.

"Ich habe eine Frage", streckt mir Colin ein kariertes Heft entgegen. "Alles klar. Lass mich nur eben meine Sachen ablegen, dann komme ich zu dir", schlage ich dem Sechstklässler vor.

Meine Haare zu einem Zopf zusammen bindend, setzte ich mich neben Colin. Jedes Mal ist es ein Kunststück, sich auf die grünen Stühle zu setzen. Meine Beine sind zu lang, um sie bequem anwinkeln zu können. Außerdem stoßen meine Knie an die Unterseite der Tischplatte. Aber immerhin sind die meisten Kinder hier so groß, dass sie einen grünen Tisch haben.

Denn für vereinzelte Mädchen wurden nachträglich noch extra rote Tische in den Raum gestellt. Ich habe das Gefühl, dass die Kinder einfach nicht mehr wachsen. Ihre Rucksäcke sind größer als der Rücken  und sie mühen sich jeden Tag damit ab.

"Gut, wobei soll ich dir helfen?" Sein Mathebuch ziehe ich etwas näher zu mir heran. "Also ich habe hier so ein Dreieck. Mit vier Seiten. Und ich muss das Volumen ausrechnen", erklärt mir der kleine Junge. "Das ist eine Pyramide, Colin", lächele ich. "Ja, meine ich doch. Kannst du mir bei der Volumenformel helfen?" Natürlich nicke ich.

Einige Zeit erkläre ich Colin unterschiedliche Formeln, die er für weitere Aufgaben benötigt. Dann wandere ich einige Plätze weiter zu einem Mädchen mit rabenschwarzen Locken. "Wie lief die Deutscharbeit, Celine?", erkundige ich mich. "Ganz gut", lächelt sie. Ich bemühe mich, möglichst vertraut mit den ganzen Kindern umzugehen. Sie sollten nicht davor zurück schrecken, mit mir über ihre schulischen Probleme zu reden.

"Wer kommt mit mir nach draußen Blaulicht spielen?", ruft plötzlich Mary. Ein aufgedrehtes Mädchen, das oft das Kommando an den Nachmittagen übernimmt. Sofort packen alle Mädchen ihre Schulsachen in die Rucksäcke und stürmen nach draußen. Die Jungen gehen an die Sache etwas gemächlicher heran. Während sie über die neuen Folge von irgendeiner Fernseherserie diskutieren, packen alle im Schneckentempo Stift für Stift in die Federmappe.

Als ich mit den Jungen auf den Schulhof trete, rennen die anderen bereits auf dem Basketballfeld umher. Eigentlich ist dieses Spiel total sinnlos. Um nicht angeschlagen und somit zum neuen Fänger zu werden, ruft man laut eine Farbe. Jedoch darf man nicht zweimal die gleiche Farbe hinter einander nennen. 'Blau' darf man sowieso nicht sagen. Wenn man eine Farbe gerufen hat muss man so lange stehen bleiben, bis dich ein Mitspieler befreit hat.

Der Sinn dahinter leuchtet mir nicht ganz ein. Aber ich bin froh, dass sie noch draußen spielen und nicht nur vor ihren Smartphones sitzen, die heutzutage jeder bereits in der ersten Klasse bekommt. Vor ein paar Monaten war die App 'Musical.ly' auf deren Telefonen andauernd am laufen. Stunden um Stunden saßen sie auf einem Haufen und spielten immer wieder die gleichen fünfzehn Sekunden eines Liedes ab.

"Spielst du mit uns?", zieht Lilly an meiner Hand. Ziemlich oft hängt sie an mir. Seit Anfang des Jahres arbeite ich nun hier und Lilly war schon in der ersten Woche ein Fan von mir. Überrumpelt atme ich laut aus. Direkt zieht die Blondhaarige einen Schmollmund und reißt ihre Augen auf. Ich hasse es, auf so etwas herein zu fallen. Trotzdem nicke ich ergeben.

Natürlich ist die Fängerin direkt hinter mir her. Ich rufe eine beliebige Farbe und bleibe stehen. Dann warte ich, bis mich jemand befreit. Das geht solange, bis einige Eltern vor dem Schultor auftauchen. Somit löst sich die Gruppe an Schülern langsam auf.

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Woah, ich bin jah mal sowas von pädagogisch wertvoll ;D

Meant To Be \\ Shawn MendesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt