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Meine Hände stecke ich tiefer in die Manteltaschen. Trotz, dass draußen Minusgrade herrschen, schwitzen meine Handflächen ununterbrochen. Ich bin aufgeregt, was mich nun erwartet.

Vorsichtig stoße ich die Glastür, die in das Innere eines kleinen abgelegenen Cafés führt, auf. Scheinbar wollte Shawn für das Gespräch einen neutralen Boden schaffen.

So gut wie niemand sitzt an den Tischen. Zwei ältere Paare mache ich in der Mitte des Raumes aus. Dann erblicke ich seinen Hinterkopf ganz in der Ecke. Seine Haare stehen in wilden Wirbeln ab.

Ohne etwas zu sagen, setze ich mich gegenüber von Shawn auf einen roten Sessel. "Schön, dass du gekommen bist", begrüßt mich der Junge. Auf seinen Lippen liegt ein unsicheres Lächeln.

"Victoria? Ich kann mir gut vorstellen, dass du jetzt sauer bist, aber...", setzt er an. "Ich bin nicht sauer", unterbreche ich ihn jedoch.

"Nicht?", fragt der Braunhaarige erstaunt. "Nein", schüttel ich meinen Kopf, "es ist dein Leben und deine Entscheidung, wem du was erzählst. Ich war vorhin lediglich überrascht, dass ich es mit einem Weltstar zu tun habe."

Shawn schiebt mir eine große Tasse Cappuccino rüber. Leicht erröte ich, da er sich tatsächlich gemerkt hat, dass dies mein Lieblingskaffee ist. "Und ich war beschämt, weil ich dich nicht erkannt habe. Das muss doch eine Enttäuschung für dich gewesen sein", füge ich hinzu.

"Nein, ich bin nicht enttäuscht. Ich muss zugeben, ich war überrascht, als du mich nach meinem Namen gefragt hast. Da ich irgendwie davon ausgegangen bin, dass du mich kennst. Aber im Nachhinein betrachtet, kann ich dir dafür gar nicht genug danken."

"Mir danken?", ziehe ich eine Augenbraue hoch. Nachdem ich mir sicher bin, dass der Kaffee bereits abgekühlt ist, trinke ich einige Schlücke.

"Du weißt gar nicht, wie schwer es ist neue Leute kennen zu lernen. Natürlich treffe ich viele Menschen und mache unglaubliche Erfahrungen, aber nur mit wenigen, die ich auf meinen Reisen treffe, kann ich eine engere Bindung aufbauen", erklärt Shawn.

Langsam rühre ich den Cappuccino um und beobachte, wie einzelne Kaffeetropfen auf dem Schaum aufkommen und diesen zerlaufen lassen. "Victoria?", fragt der Junge nach, während er unruhig seine Hände knetet.

"Entschuldigung, mir schwirren gerade so viele Fragen im Kopf umher, von denen ich gerne die Antwort wüsste. Aber ich möchte sie nicht stellen, weil du sicher lauter solcher Fragen rund um die Uhr hörst", versuche ich meine Gedanken zu sortieren.

"Nur zu. Du darfst mich solange aushorchen, bis ich selber keine Antworten mehr weiß." Doch ich schüttel meinen Kopf. "Die Fragen sind doof und unnötig, Shawn", sinke ich tiefer in den Sessel.

Sein altbekanntes Lächeln erscheint auf seinem Gesicht. "Na los, Victoria. Das bin ich dir auf jeden Fall schuldig", ermutigt mich der Braunhaarige.

"Okay, gut. Angenommen die Tür geht auf, ein paar Mädchen kommen rein, du drehst dich um, um zu sehen wer gekommen ist, und sie erkennen dich. Es würde ein heilloses Chaos ausbrechen oder?", spinne ich meine Überlegungen fort.

"Nein, erst wenn die Mädchen Fans sind und Twitter besitzen. Dann würden wahrscheinlich eine viertel Stunde später mehr Leute hier auftauchen." Mit seiner rechten Hand fährt er sich durch seine unordentlichen Haare.

Verstehend nicke ich. "Und wie ist das für dich alles? Ich meine, wenn du nicht einmal durch die Stadt gehen kannst, ohne mit jemanden ein Foto zu machen oder Autogramme zu verteilen?", frage ich weiter.

"Anstrengend", überlegt Shawn, "aber ich liebe meine Fans. Wirklich! Sie haben mich bei so viel unterstützt und ohne ihren Zuspruch hätte ich möglicherweise gar keine weiteren Lieder gecovert. Ihnen verdanke ich, dass ich so viel erleben darf. Dass ich meinen Traum leben kann."

Seine Augen strahlen, die Wangen sind leicht gerötet und seine flache Hand legt er auf seine Brust ab - direkt neben seinem Herz. Automatisch muss ich lächeln.

"Wow, du bist wirklich mit Herzblut dabei", staune ich über seine Hingabe. "Ich liebe es Musik zu machen", lächelt er verträumt, "ich liebe meinen Job. Den Job, den ich nicht als einen bezeichnen würde. Es ist einfach meine Leidenschaft."

Shawn spielt mit seinem silbernen Ring. Eine Zeit lang ist es still. Jeder hängt seinen Gedanken nach. Man hört nur das Schlucken des jeweils anderen, wenn wir unseren Kaffee trinken.

"Kann ich dir was anvertrauen?", fragt der Braunhaarige plötzlich. Erstaunt blicke ich ihn an. Dann nicke ich etwas zögerlich.

"Du wolltest doch wissen, wieso ich dir nicht erzählt habe, dass ich der Shawn Mendes bin." Der Junge wartet auf ein Zeichen von mir. "Ja", gebe ich knapp zu.

"Es war schön endlich wieder ein normaler Junge zu sein. Ein Junge, den man nicht kennt. Seit Jahren bin ich Shawn der Viner, YouTuber, Sänger, Star. Alle schauen auf mich hinab. Beurteilen mich - manche verurteilen mich. Sie laden mich zu Interviews ein und reden über meine Karriere. Leute sprechen darüber, dass ich bereits so reif und erwachsen bin. Sie vergessen, dass ich noch ein Jugendlicher bin. Meine Fans finden Sachen über mich heraus, die ich selbst noch nie bemerkt habe. Leute schreiben mir komische Nachrichten, die ich zum größten Teil überhaupt nicht verstehe. Ich darf nicht ein einziges Schimpfwort benutzten. Ansonsten bin ich nicht mehr Shawn Mendes, das Vorbild. Es gibt Tage, da raubt mir mein Starleben den letzten Nerv und zieht jegliche Energie aus mir heraus. Dann lebe ich nur noch von Stunde zu Stunde. Und rede mir ein, dass ich dazu bestimmt bin, großes zu leisten."

Shawn sucht den Blickkontakt mit mir. Unruhig ausatmend konzentriere ich mich darauf, ebenfalls in seine Augen zu schauen. Das Licht der Glühbirne über uns spiegelt sich in seinen braunen Augen wider.

"Manchmal - und auch in dem Moment, in dem ich dir begegnet bin - wünsche ich mir, dass ich die Möglichkeit habe, wie ein normaler Junge aufwachsen zu können. Einfache Erfahrungen zu sammeln, die eben ein Junge in meinem Alter sammeln sollte. Alltägliche Dinge zu erleben, die ein Neunzehnjähriger normalerweise erlebt", fährt er fort.

"Was für Dinge?", erkundige ich mich. "Einfache, stupide Sachen", setzt Shawn an, "Skateboard fahren, ohne gefilmt zu werden. Nach jedem Satz fluchen, ohne dass auf mich mit Fingern gezeigt wird. Bei Mc Donalds essen ohne bemerkt zu werden. Auf Konzerte gehen, die ich nicht selbst gebe. In ein Mädchen verlieben, bei dem ich mir sicher sein kann, dass sie mich auch als ein Niemand mögen würde."

"Shawn, ich bin mir sicher, dass du noch nie ein Niemand warst und es auch nie sein wirst", gebe ich von mir, während ich beschämt meinen Blick abwende.

"Weißt du was?", schrecke ich aus meinen Gedanken wieder auf, "du machst genau das, was du mir gerade erzählt hast. Wir schreiben eine Liste mit Dingen, die du erleben möchtest und dann arbeitest du sie ab." Voller Elan über meinen genialen - von mir selbst zu diesem Titel auserkorenen - Plan, sehe ich zu dem Braunhaarigen auf.

"Ich bin dabei", grinst Shawn breit. Er nimmt den letzten Schluck von seinem Kaffee. "Willst du noch etwas trinken?", fragt er. Doch ich schüttel meinen Kopf. "Nein, danke."

Eine ältere Dame mit grauen Haaren kommt zu uns an den Tisch, um das Geld für die Getränke zu kassieren, nachdem der Junge nach der Rechnung gefragt hat.

"Shawn?", halte ich ihn auf, als er sich seine Jacke anziehen will. Mit einem fragenden Gesichtsausdruck setzt er sich wieder hin. "Ich... Es hört sich vielleicht komisch an, aber hat sich jetzt etwas zwischen uns verändert? Ich meine, dadurch dass ich weiß, dass du berühmt bist und du weißt, dass ich weiß, was ich weiß", verheddere ich mich in dem Netz meiner eigenen Worte.

"Es ist okay, dass wir beide wissen, was wir wissen", greift er sanft nach meinen Händen, "aber ich hoffe, dass wir uns deshalb jetzt nicht anders verhalten. Das ist nicht notwendig."

"Okay", lächel ich, "denn ich möchte ungerne verlieren, was wir aufgebaut haben. Was auch immer das ist."

Shawn streicht mit seinen Daumen über meine Handflächen. "Das möchte ich auch nicht, Victoria."

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Ja, das ist jetzt mal ganz spekulativ. Wer will schon wissen, was im Kopf von Shawn Mendes abgeht. Die Gedanken sind frei.

Meant To Be \\ Shawn MendesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt