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November 2023

"Ihre Werte sind in Ordnung", lächelt mich die kleine Frau im Arztkittel freundlich an. "Der Hormonspiegel liegt wirklich nur sehr knapp unter dem Durchschnitt", blättert sie durch ihre Unterlagen, die in einem der klassischen braunen Hängemappen abgeheftet sind, "natürlich kann es durchaus sein, dass bei Ihnen in den letzten Monaten eine Anovulation vorlag. Jedoch hat der fehlende Eisprung bei einem geregelten Hormonhaushalt erstens keine Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit und zweitens lag Ihr LH-Spiegel zum Zeitpunkt der Abgabe einer Urinprobe sehr weit oben."

Mit großen Augen sehe ich meine Frauenärztin an, während ich meine Finger in den gepolsterten Stuhl drücke. "Tut mir leid", lacht die Blondhaarige, "ich spreche schon wieder Fachchinesisch." Ein wenig unsicher lasse ich ebenfalls ein Lachen verlauten. "Nun, das luteinisierende Hormon wird in der Hirnanhangdrüse - der Hypophyse - gebildet", beginnt sie zu erklären, "ein Anstieg des LH-Spiegels im Urin löst den Eisprung aus und ist ein Hinweis auf das Einsetzen der fruchtbaren Tage. Das heißt, als Sie vor drei Wochen hier waren und ich einige Proben genommen habe, waren Sie durchaus fruchtbar."

Während ich meine Beine in der Luft pendeln lasse, nicke ich langsam. Im Großen und Ganzen war diese Erklärung schon etwas verständlicher. "Nehmen Sie Medikamente ein?", legt die Ärztin ihren Kopf schief. "Nein", schüttle ich sofort meinen Kopf. "Nimmt Ihr Mann Medikamente ein?", lautet die nächste Frage. "Ab und zu", überlege ich, "meistens, wenn er reist. Aber ich kann Ihnen leider nicht sagen, was genau er von seinem Arzt verschrieben bekommt." Als wäre diese Information wirklich sehr interessant, notiert sich die Frau einige Stichpunkte in ihren Unterlagen.

"Okay, dann kommen wir zum nächsten Thema", nimmt sie wieder Blickkontakt mit mir auf, "ein Grund, weswegen Frauen nicht schwanger werden, sind die Hormone. Der andere steht im Zusammenhang mit den Eileitern und der Gebärmutter." Meine angestaute Luft auspustend ziehe ich verwundert meine Augenbrauen in die Höhe. Diese Frau bringt mein Gehirn zum Kochen.

"Mit Ihren fünfundzwanzig Jahren fallen Sie genau in die Altersgruppe, in der am häufigsten die Endometriose diagnostiziert wird. Eine gynäkologische Erkrankung, die dafür sorgt, dass die Gebärmutterschleimhaut außerhalb der Gebärmutter wächst. Sie tritt lediglich bei vier bis zwölf Prozent aller Frauen auf, jedoch sollte man diese Möglichkeit nicht außer Acht lassen."     

"Können Sie denn bereits ausschließen, dass ich davon betroffen bin?", ziehe ich immer wieder an meinem Ohrläppchen. Dieses Phänomen, welches die blondhaarige Frau gerade beschrieben hat, klingt überhaupt nicht gesund. "Aus der jetzigen Situation heraus, kann ich Ihnen natürlich nicht zu hundert Prozent garantieren, dass Sie dieser Erkrankung nicht unterliegen. Dafür wäre eine weitere Untersuchung notwendig", beginnt die Ärztin erneut durch ihre Unterlagen zu blättern, "allerdings sehe ich, dass Sie den Punkt 'starke und schmerzhafte Periode' verneint haben. Daher nehme ich an, dass Sie nicht betroffen sind."

"Ich würde trotzdem gerne einen Termin ausmachen, um sicher gehen zu können", räuspere ich mich. "In Ordnung", nickt meine Gesprächspartnerin, "im gleichen Zuge können wir dann auch mithilfe eines Kontrastmittels die Durchlässigkeit Ihrer Eileiter untersuchen." Während sie sich etwas notiert, blicke ich mich in dem kleinen sterilen Zimmer um. Auf den Schränken stehen zahlreiche Modelle, an denen man wohl jegliche Probleme der Frau erklären könnte. Mein Blick fällt auf einen dicken Stapel an Broschüren. "Darf ich davon ein paar haben?", erkundige ich mich, bevor ich auf die bunten Hefte deute.

"Aber sicher", sieht mich meine Frauenärztin erfreut an, "es ist nie falsch, sich selbst zu informieren. Aber bitte machen Sie sich nicht allzu verrückt, während Sie auf die nächsten Testergebnisse warten." Meinen Kopf schüttelnd stehe ich von dem Stuhl auf und stelle mir einen eigenen Stapel an Broschüren zusammen. "Familienplanung - Störungen bei dem Mann", murmle ich leise vor mich her, als ein dünnes Heftchen ganz oben auf dem kleinen Berg landet. Erschrocken fahre ich herum, nachdem die Blondhaarige sanft ihre Hand auf meine Schulter abgelegt hat.

"Oftmals ist es schwer für die Beteiligten", beginnt sie, "und ich bitte Sie, das Folgende nicht falsch aufzufassen. Jedoch habe ich diese Vermutung bereits auch gehabt." Bevor die Frau fortfährt, wirft sie einen eindeutigen Blick auf das Heft. "Am besten ist es, wenn sich ihr Mann ebenfalls einer Untersuchung unterzieht - sofern dies noch nicht geschehen ist." Mit großen Augen sehe ich sie an. "Wie", beginne ich, "wie soll ich ihm das denn sagen?" Die Gedanken in meinem Kopf kreisen und lassen die Alarmglocken unaufhörlich schrillen.

"Wenn Sie mit ihm sprechen, sollten Sie keinesfalls damit beginnen, dass Sie nicht das Problem sind. Und am besten verwenden sie nicht das Wort 'Schuld'. Es wäre in diesem Fall deplatziert. Keiner von Ihnen kann etwas für diese Situation." Zuvorkommend hebt sie den kleinen Stapel an und drückt mir sämtliche Broschüren in meine Hände. "Sie werden schon einen passenden Weg finden", lächelt mich die Frau im Arztkittel aufmunternd an. "Danke", schlucke ich den Kloß in meinem Hals hinunter, da ich nicht wirklich weiß, was ich anderes erwidern soll. Dann verabschiede ich mich von der Blondhaarigen.

"Willkommen zurück, Misses Mendes", hält mir der große Junge die Eingangstür auf. "Danke, Owen", wandern meine Mundwinkel ganz automatisch in die Höhe. Jedes Mal, wenn er mich mit meinem Nachnamen anspricht, fühle ich mich so unheimlich wichtig. "Denk daran, deine Mittagspause zu machen", erinnere ich ihn im Vorbeigehen. Oftmals arbeitet er den ganzen Tag, ohne frische Luft zu schnappen oder etwas nahrhaftes zur Mittagszeit zu sich zu nehmen. Dafür liebt er seinen Job viel zu sehr. "Werde ich", ruft mir der Blondhaarige lachend hinterher.

"Shawn?", rufe ich durch die Wohnung, als ich den Flur betrete, "ich bin zurück." Da ich keine Antwort erhalte, bringe ich zuerst meinen Rucksack in unser Schlafzimmer, verstaue die Broschüren in der obersten Schublade meines Nachttisches und mache mich auf den Weg in die Küche. Wie ich es bereits vermutet habe, steht mein Mann am Tresen.

Seine Unterarme sind auf der Oberfläche aus Marmor abgestützt, während er eine Seite seines Buches umblättert. Es ist der zweite Band von 'Harry Potter'. Auch wenn es meiner Meinung nach viel zu lange gedauert hat, hat sich Shawn endlich dazu durchgerungen, seine Lieblingsgeschichte endlich selbst zu lesen. "Zu spannend, um mir zu antworten?", schmunzle ich, bevor ich ihn von der Seite umarme und mein Kinn auf seiner Schulter abstütze.

"Entschuldigung", lacht der Braunhaarige, während er das Buch zuklappt. Dann wendet er sich mir zu. "Wie war es?", schlingt Shawn seine Arme um meine Hüfte. "Ganz in Ordnung", überlege ich. "Wirklich?", zieht er eine Augenbraue in die Höhe. "Ja", gebe ich meinem Mann einen kurzen Kuss.

"Du solltest", setze ich an, bevor ich mich selber unterbreche. Erwartungsvoll sieht mich Shawn an. "Du solltest dir wirklich keine Sorgen machen", lächle ich ihn schließlich zaghaft an. Mir ist bewusst, dass ich ihn belüge. Doch er soll sich besser fühlen, als ich in diesem Moment. "Es ist gar nicht so schlimm wie gedacht. Bis jetzt liegt nichts vor, das bestätigt, dass ich eine schwerwiegende Erkrankung habe. Ich werde einfach ein wenig mehr Folsäure zu mir nehmen", behaupte ich.

"Es liegt an der Folsäure?", runzelt Shawn seine Stirn. "Ja", nicke ich einfach. "Einer werdenden Mutter werden 400 Mikrogramm Folsäure pro Tag verschrieben. Das fördert die gesunde Entwicklung der Zellen im Körper des ungeborenen Kindes", gebe ich das wieder, was ich zuvor in einer der Broschüren gelesen habe. "Dafür gibt es extra Tabletten. Außerdem achte ich einfach darauf, was ich esse. Eine gesunde Ernährung wird oft unterschätzt."

Ich fühle mich schlecht, bei dem was ich gerade tue. Aber es würde mir noch schlechter gehen, wenn ich ihm erzählen würde, dass er möglicherweise das Problem ist. "Okay, wenn du das sagst", räuspert sich der Junge eher weniger überzeugt. Vielleicht sollte ich an meinen Schauspielkünsten noch ein wenig arbeiten. "Hast du Lust etwas zu unternehmen?", wechsle ich daher schnell das Thema, "wir könnten doch ein wenig Spazieren gehen." Nachdem mir Shawn zugestimmt hat, verschwinde ich kurz im Badezimmer. Dann machen wir uns gemeinsam auf den Weg an die frische Luft.

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Ihr habt es überstanden! 👐 Tut mir leid für das ellenlange Fachgespräch, aber ich wollte es so professionell, wie möglich, halten.

Und jetzt zu einem erfreulicheren Thema:

In gewisser Weise haben Shawn und Vicky heute Geburtstag ☝ Denn wie mich die liebe Loueeeeeeeeh gestern darauf hingewiesen hat, ist 'Meant to be' heute genau ein Jahr alt 🎉😎 Ich hoffe, ihr feiert das gebührend 😂

Meant To Be \\ Shawn MendesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt