[77]

9.6K 467 79
                                    

Oktober 2018

Grummelnd drehe ich mich auf meinen Bauch. „Du musst aufstehen", fordert mich Shawn bereits zum dritten Mal an diesem Morgen auf. „Kann ich die Uni nicht einfach schwänzen?", murmle ich in mein Kissen, während ich versuche, an dem Luftmangel unter der Bettdecke nicht zu sterben.

„Nein, das kannst du nicht", zieht der Junge mit einem Ruck die Decke von meinem Körper. Sofort spüre ich einen eisigen Luftzug an meinen Beinen. „Ich weiß, dass du Angst hast. Aber je länger du den Tag hinauszögerst, desto schwieriger wird es." Als die Matratze einsinkt, drehe ich mich zu Shawn, der sich auf der Bettkante niedergelassen hat.

„Ich habe keine Angst", schlinge ich meine Arme um meinen Körper, um mich vor der Kälte zu schützen. „Da ist nur dieser Knoten in meinem Magen, der von Minute zu Minute größer wird. Es ist eher ein flaues Gefühl. So eins, was man bekommt, wenn man kurz vor einer Grippe steht", versuche ich meinen Freund davon überzeugen, dass es meinem Körper einfach nicht gut geht.

„Victoria, du bist nicht krank", legt der Braunhaarige sanft eine Hand auf meine Stirn. Dann fährt er mit seinem Zeigefinger meine Gesichtszüge nach. Meine Augen schließend genieße ich diese Berührung. „Das kannst du gar nicht wissen", recke ich einige Minuten später mein Kinn in die Höhe.

Seufzend rutscht Shawn näher an mich heran. Dabei scheuert der Stoff seiner schwarzen Jeans gegen meine kalte Haut. Doch beim Training bin ich definitiv Schlimmeres gewöhnt. „Scheinbar muss ich dir eine kleine Geschichte erzählen", zieht der Sänger seine Mundwinkel leicht in die Höhe.

„Es liegt jetzt schon mehr als vier Jahre zurück. Aber als ich damals meine EP veröffentlicht habe, lag ich das ganze Wochenende über wach und konnte meine Augen nicht für eine Sekunde schließen. Zwar habe ich die Veröffentlichung im Internet groß angepriesen und mithilfe einer Liveübertragung die Minuten bis zur Erscheinung regelrecht gefeiert. Doch ich hatte tierische Angst davor, was meine Mitschüler dazu sagen werden, wenn ich an dem kommenden Montag den Klassenraum betrete. Aber weißt du was, Victoria? Es hätte mir egal sein sollen. Schließlich war ich mit der Entscheidung, den Vertrag bei Island Records unterzeichnet zu haben, mehr als zufrieden. Ich habe endlich das getan, was mich glücklich macht. Also warum möchtest du deine Fröhlichkeit von deinen Kommilitonen abhängig machen? Fahr in die Universität und betritt den Hörsaal, wie du es schon die ganzen Monate getan hast."

Lächelnd richte ich mich in dem Boxspringbett auf, während ich meine Hände mit Shawns verschränke. „Ich liebe deine kleinen Geschichten", drücke ich ihm einen sanften Kuss auf seine Wange. „Also stehst du jetzt auf?", fragt der Braunhaarige hoffnungsvoll. „Ich werde in die Universität fahren und den Hörsaal betreten. So, wie ich es schon die ganzen Monate getan habe", grinse ich. Dann beiße ich mir auf meine Unterlippe, als Shawn anfängt, leise zu lachen.

Bevor ich in dem Bad, das an Shawns Zimmer angrenzt, verschwinde, gebe ich meinem Freund noch einen flüchtigen Kuss. Dabei fällt mein Blick auf mein Handy. Mein Gesicht verziehend kommt mir in den Sinn, dass sich darauf zahlreiche Nachrichten von Paula befinden. Nachrichten, die immer noch unbeantwortet sind.

Das ganze Wochenende über hat sie mich mit dem Thema Shawn und unserer gemeinsamen Liveübertragung zu getextet. Selbst Matteo hat mich auf ihre Aufforderung hin angeschrieben. „Sie dreht wegen dir vollkommen am Rad", war sein genauer Wortlaut. Tief durchatmend mache ich mich für die erste Vorlesung fertig.

Natürlich bin ich ausgerechnet an dem heutigen Tag ganze zwanzig Minuten zu früh auf dem Campus. Langsam schleiche ich schon regelrecht über das Gelände, während ich jede Bewegung, jeden Blick der anderen Menschen genau beobachte. Doch keiner scheint mich wirklich wahrzunehmen.

Meant To Be \\ Shawn MendesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt