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Oktober 2022

Meine Fersen liegen lediglich in bunten Socken bekleidet auf dem Armaturenbrett auf. In meinem Schoß befindet sich eine rote Tüte, aus der ich ein M&M mit Erdnussbutterfüllung nach dem anderen entnehme. Obwohl die Sonne um diese Jahreszeit nicht mehr stark scheint, sitzt auf meiner Nase eine Sonnenbrille mit einem braunen Gestell. Denn der wolkenlose Himmel ist so unerträglich hell, dass er mir durchgehend Kopfschmerzen bereitet.

Daher konnte Shawn auch durchsetzen, dass er mit seinem Jeep fährt. Eigentlich hatte ich geplant, die vierstündige Fahrt mit meinem kleinen VW Polo zurückzulegen. Doch über die jetzige Situation kann ich mich nicht wirklich beschweren. Als mein Verlobter anhalten muss, da der stockende Verkehr nun in einen Stau übergeht, greift er sofort nach meiner Hand, die auf meinem Oberschenkel ruht.

Sanft zieht der Braunhaarige mit seinem Daumen kleine Kreise auf meinen Handrücken. Jede einzelne Berührung führt er mit einer solchen Vorsicht aus, dass ich den Eindruck habe, Shawn befürchtet, ich könnte jeden Augenblick zerbrechen. Und nicht nur er hat davor Angst. "Wieso sagst du nicht, dass dir kalt ist?", durchbricht der Junge die Stille. "Weil mir nicht kalt ist", setze ich mich so hin, dass ich Shawn direkt ansehen kann.

Doch mein Verlobter hört mir scheinbar gar nicht mehr zu. Denn Shawn entledigt sich bereits seiner Sweatshirtjacke, die er sich vorhin sporadisch über sein weißes Hemd gezogen hat. "Deine Hände sind aber eiskalt", reicht er mir das Kleidungsstück, während sich auf seiner Stirn eine tiefe Falte bildet. Leicht lächelnd lege ich die Jacke über meinen Schoß, damit ich meine Hände später darin einwickeln kann. Sofort steigt mir der Geruch von dem unverkennbaren Gucci Parfüm in die Nase.

Seufzend schließe ich meine Augen. Während das Auto einige Meter vorwärtsrollt, nehme ich mit einem Ohr wahr, wie der Junge neben mir immer wieder Luft holt. "Was erwartet uns gleich?", traut sich Shawn schließlich zu fragen. Die Tatsache, dass er das Wort 'uns' verwendet hat, nimmt mir einen Teil der Last, die auf meiner Brust ruht, ab. Denn es zeigt mir, dass ich meinen Eltern definitiv nicht alleine entgegen treten muss.

"Jedenfalls keine bestickten Hausschuhe, herzerwärmende Umarmungen und gemütliche Gesprächsthemen", zucke ich mit meinen Schultern. Danach setze ich mich wieder aufrecht in den Beifahrersitz und stopfe mir eine Hand voll mit der zuckerhaltigen Süßigkeit in den Mund. "Tut mir leid", flüstere ich schließlich, nachdem ich geschluckt habe, "ich weiß es selbst nicht." Direkt darauf wird meine Hand von Shawns langen Fingern erneut umschlossen.

"Du brauchst dich nicht zu entschuldigen", versichert er mir mit eindringlicher Stimme, "es ist okay, dass deine Nerven blank liegen. Und egal was heute passiert, du darfst nicht vergessen, dass ich dir beistehen werde." Lächelnd beuge ich mich zu dem Braunhaarigen hinüber und drücke ihm einen sanften Kuss auf die Wange. "Versprich nichts, was du nicht auch halten kannst", murmle ich so leise in den Kragen meines Pullovers, dass ich es selbst kaum wahrnehme.

Mit einem lauten Knacken strecke ich meine Beine durch und steige aus dem schwarzen Auto. Vor mir erstreckt sich ein Weg aus roten und dunkelblauen Steinen, die ohne ein bestimmtes Muster in den Boden eingelassen wurden. Missmutig verfolge ich die grauen Fugen. Ich habe diesen Weg noch nie gemocht. Die Bäumchen, die meine Mutter gepflanzt hat, als ich meinen Schulabschluss gemacht habe, sind nun zu einer richtigen Hecke zusammen gewachsen.

Nervös lasse ich meinen Blick über die Hausfassade gleiten, während ich darauf warte, dass Shawn zu mir aufschließt. "Das wird schon", drückt der Braunhaarige meine Schulter. Immer wieder nickend lege ich meinen Daumen auf die goldene Klingel. Sicherlich würde ich den ebenfalls goldenen Haustürschlüssel in einer Schachtel in einer Ecke meines Zimmers wiederfinden, wenn ich danach suchen würde. Aber so viel Mühe wollte ich mir für den Besuch dann doch nicht geben.

Von einem lauten Knarren, das mir als kleines Kind ständig eine Heidenangst beschert hat, begleitet öffnet sich die schwere Holztür. "Victoria", haucht die blondhaarige Frau kaum hörbar. Um ihre Augen herum haben sich zahlreiche Falten gebildet. Dass diese - wie man immer sagt - vom zu vielen Lachen kommen, kann ich mir leider nicht vorstellen.

"Hi, Mom", presse ich zwischen meinen Lippen hervor. Als ich ihren glasigen Pupillen begegne, fängt es in meiner Nase gefährlich an zu jucken. Nur mit großer Mühe kann ich die Tränen, die meine Drüsen verlassen wollen, unterdrücken. Dankbar halte ich mich an Shawn, der seinen Arm um meine Taille legt, fest.

"Wie erwachsen du geworden bist", flüstert meine Mutter, während sie langsam ihre Hand in die Höhe hebt. Es scheint, als würde sie diese an meine Wange legen wollen. Doch kurz bevor ich mich ihr entgegenlehnen kann, lässt meine Mutter ihre Hand wieder sinken. Enttäuscht über die entgangene Berührung versuche ich mir nicht anmerken zu lassen, dass ich im Moment alles für eine Umarmung geben würde.

Tief durchatmend streicht die Frau ihre Kochschürze glatt. Ihre Finger verkeilen sich einige Sekunden in dem weißen Stoff, als schwere Schritte aus dem Flur ertönen. "Du bist tatsächlich gekommen", tritt mein Vater neben meine Mutter. Seine Aussage spiegelt keineswegs seine Überraschung wieder, sondern soll mir ganz klar vermitteln, dass ich mich lieber nicht in meinen Heimatort hätte trauen sollen.

"Kommt doch erst einmal herein", öffnet die Frau die Tür noch etwas weiter. Ein dankbares Lächeln bildet sich auf Shawns Lippen. Doch wenn er wüsste, dass die Geste meiner Mutter nicht von ihrer Höflichkeit herrührt, würde er sich nicht bemühen, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Meine Mutter pflegt schon immer, die Konflikte der Familie nicht vor den Nachbarn auszutragen, da sie Angst hat, diese könnte sich ihre Mäuler über uns zerreißen.

Während wir unsere Jacken ausziehen und aufhängen, herrscht ein unangenehmes Schweigen. Innerlich kämpfe ich damit, meinen Eltern endlich meinen Verlobten vorzustellen. Jedoch habe ich das Gefühl, dass sobald ich seinen Namen ausspreche, alles den Bach hinunter geht. Bevor ich eine Entscheidung treffen kann, beendet Shawns raue Stimme meinen inneren Konflikt.

"Misses de Haan, Mister de Haan", spricht er meine Eltern überaus förmlich an, "es freut mich, dass sich endlich eine Möglichkeit ergibt, Sie kennenzulernen. Ich bin Shawn. Und wie Sie bereits wissen, habe ich die unfassbare Ehre, Ihre Tochter heiraten zu dürfen." Ein Auge zusammen kneifend blicke ich zu dem braunhaarigen Jungen auf.

Ich bin mir nicht wirklich sicher, ob das der optimale Ansatz ist, um sich mit meiner Familie gut zu stellen. Doch letztendlich werden die Reaktionen meiner Eltern darüber urteilen. Und diese werden sicherlich nicht lange auf sich warten lassen. Mein zweites Auge ebenfalls zusammen kneifend bete ich, dass der heutige Abend einigermaßen gesittet von Statten geht.

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So, was haltet ihr von diesem Aufeinandertreffen? Ich bin auf eure Meinungen gespannt🙈

Und wer von euch kennt das Lied 'Space For Two'?😍😍

Meant To Be \\ Shawn MendesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt