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Juni 2023

"Fertig?", fiebere ich diesem einen Wort seit einer halben Stunde entgegen. "Fertig", nickt Kristen, während sie die letzte silberne Spange, die am Ende mit einer Perlmuttperle besetzt ist, in meine Haare steckt. "Das sieht...", starrt mich Paula mit offenem Mund an, bevor sie ein einfaches 'Wow' verlauten lässt. "Du sollst nichts verraten", lege ich meinen Zeigefinger auf meinen Mund. Warnend sehe ich die Blondhaarige an, damit sie bloß nicht weiter über meine Frisur schwärmt.

"Aber du weißt doch, welches Meisterwerk sich auf deinem Kopf türmt", stemmt meine Trauzeugin ihre Hände in die Hüfte. "Und trotzdem möchte ich erst etwas darüber hören, wenn ich mich selbst im Spiegel betrachten kann", puste ich nervös meinen Atem aus. Ich kann es kaum erwarten, dass das bunte Tuch, welches über dem Spiegel hängt, endlich hinunter genommen wird.

"Dann würde ich vorschlagen, wir beeilen uns, dass du in dein Brautkleid schlüpfst", reibt Paula freudig ihre Hände aneinander. "Auf geht's", springe ich von dem nicht wirklich bequemen Stuhl auf, während ich den Gürtel meines Bademantels entknote. Mit einer gewissen Furcht blicke ich das weiße Kleid, das am Türrahmen hängt und nur darauf wartet angezogen zu werden, an.

Ich habe keine Angst davor, mit Shawn den Rest meines Lebens zu verbringen. Doch plötzlich überkommt mich das Gefühl, dass der Schritt, in das Brautkleid zu steigen, alles so endgültig macht. "Paula", drehe ich mich ein wenig zittrig zu ihr um, "ich muss vorher noch etwas erledigen." Irritiert sieht mich das Mädchen an. Sie öffnet zwar ihren Mund, aber lässt keinen Ton verlauten. "Wenn du meinst", höre ich die Unsicherheit, die in ihrer Stimme mitschwingt, als ich das Zimmer bereits verlasse.

Ungeduldig warte ich darauf, dass das nervige Freizeichen endlich verstummt. Schließlich wird am anderen Ende der Hörer abgehoben. "Ja?", dringt das knappe Wort an mein Ohr. "Jemand hat mir nahegelegt, dass ich die Probleme mit meiner Familie klären soll, bevor ich eine eigene gründe", rede ich ohne Begrüßung einfach drauflos. Damit meine Beine später nicht einknicken, lasse ich mich auf der breiten Fensterbank nieder.

"Mit Mom habe ich schon vor langer Zeit gesprochen. Genaugenommen an dem Tag, an dem sie sich endlich dazu entschieden hat auszuziehen. Wir reden nicht häufig miteinander. Aber immerhin reden wir. Das kann ich von uns Beiden nicht behaupten", ziehe ich an meinem Ohrläppchen, während ich darauf bedacht bin, weiter zu atmen, "und ich kann auch nicht behaupten, dass ich mir das wirklich wünsche."

"Aber ich heirate heute", schleicht sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen, obwohl das Telefonat alles andere als freudig ist, "daher will ich – bevor ich meinen neuen Lebensabschnitt beginne – dir sagen, dass ich mich mit unserer familiären Situation abgefunden habe. Du sollst wissen, dass ich dich nicht abgrundtief hasse. Auch wenn ich dies wahrscheinlich tun sollte. Aber du bist mein Dad."

"Du bist derjenige, der früher jeden Tag mit mir draußen spielen war. Derjenige, der mir das Fahrradfahren beigebracht und mir beim Aufwachsen zugesehen hat", ziehen an meinen inneren Augen Bilder meiner Kindheit vorbei, "auch wenn ich glaube, dass ich nun erwachsen genug bin, verstehe ich nicht, wie du zu dem Mann werden konntest, den ich zu verabscheuen gelernt habe."  

"Vielleicht siehst du irgendwann deine Fehler ein. Vielleicht geschieht ein Wunder und du wirst wieder zu einem besseren Menschen", zucke ich mit meinen Schultern, "vielleicht sind die folgenden Sätze Ansporn genug, um dich selber ändern zu wollen. Denn solange du Mom ohne jeglichen Respekt behandelst, möchte ich nichts mit dir zu tun haben. Aber es wäre schön, wenn sich mein Dad eines Tages bei mir melden würde, um sich zu erkundigen, wie es mir geht. Und nicht, weil er dazu gedrängt wird, sondern weil er sich für das Leben seiner Tochter interessiert."

Nach diesem Monolog ziehe ich erst einmal die Luft, die nach altem Gemäuer riecht, tief durch die Nase ein. Am anderen Ende herrscht Stille. Ich weiß nicht, was ich mir von dem Anruf erhofft habe. Doch eine Antwort habe ich schon erwartet. "Genieß deine Hochzeit", räuspert sich mein Dad schließlich, "ich hoffe, Shawn wird die Aufgabe des Ehemanns besser meistern, als ich." 

Nachdem mein Vater aufgelegt hat, lasse ich das Handy sinken. Schnell blinzle ich die wenigen Tränen, die an die Oberfläche gelangen wollen, weg. Dann mache ich mich auf den Weg zurück in das Zimmer, in dem Paula und das Brautkleid auf mich warten. Das Gefühl, das sich momentan in meiner Brust ausbreitet, kann ich nicht wirklich beschreiben. Aber es zeugt von Erleichterung.

"Dreh dich einmal", bittet mich die Blondhaarige, als ich vor dem großen Spiegel stehe. Lächelnd streiche ich über den weißen Stoff, der sich an meinen Körper anschmiegt. Kurz darauf komme ich Paulas Aufforderung nach. Der lange Saum windet sich langsam um meine Beine, da er der Bewegung nicht folgen kann. "Eine ganz blöde Idee", schimpfe ich lachend, während sich meine Freundin bückt, um das Kleid zurechtzurücken.

"Du siehst wunderschön aus", legt Paula ihre Hände auf meine Schultern. Dankend nicke ich ihr durch den Spiegel hindurch zu. "Es wird alles gut gehen, oder?", lege ich meinen Kopf schief, während ich mein Erscheinungsbild betrachte. Meine Haare sind zu einer pompösen Hochsteckfrisur zusammengefasst und mit zahlreichen Perlen verziert. Im Gegensatz dazu ist das Kleid eher schlicht gehalten.

Auch wenn mich viele darauf hingewiesen habe, dass Shawn genügend Geld besitzt, um mir ein prunkvolles, aus dem Märchen entsprungenes, Kleid kaufen zu können, habe ich mich lieber für dieses entschieden. Es entspricht mehr meiner Persönlichkeit. Die Arme sind mit einem  Blumenmuster aus Wiener Spitze bedeckt, während der größte Teil meines Rückens freiliegt. Generell bringt das Oberteil meine Taille unheimlich zur Geltung. Die Schleppe ist aus Chiffon und stülpt sich, wie eine riesige Schneeglocke, um meine Beine.     

"Das wird es", drückt mich das Mädchen einmal fest, bevor sie mich breit angrinst. "Ich werde jetzt losflitzen und Bescheid geben, dass du so weit bist", tritt sie rückwärts auf die Holztür zu, "hoffentlich steckt Shawn auch schon in seinem Anzug." Lachend scheuche ich Paula aus dem Zimmer. Selbst wenn Shawn bereits fertig angezogen ist, wird er trotzdem seine Zeit brauchen. Denn Kristen muss sich noch darum kümmern, dass seine Haare wieder einmal perfekt aussehen.

Ein letztes Mal sehe ich in den Spiegel und versichere mich, dass mein Make-Up und meine Frisur richtig sitzen. "Wir sind so weit", ertönt eine männliche Stimme vom Flur her. Tief durchatmend umschließe ich die kühle Türklinke. Dann trete ich aus dem Zimmer und blicke einer Kamera, grelles Licht und einem Mikrofon entgegen. Ab jetzt wird jeder Schritt von mir aufgenommen.

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Es wird ernst!👰 Oben könnt ihr Vickys Brautkleid betrachten.

Seht es mir bitte nach, dass ihr auf das eigentliche Hochzeitskapitel noch etwas warten müsst. Aber ich muss mir noch einige Gedanken darüber machen. Das braucht Zeit🙈

Meant To Be \\ Shawn MendesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt