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Mai 2019

Meine Kapuze über meinen Kopf ziehend trete ich aus der Haustür auf die Straße hinaus. Eine angenehme Wärme empfängt mich sofort, sodass ich die Ärmel meines Pullovers bis zu meinen Ellenbogen nach oben ziehe. Ein Lied, das mir schon seit Tagen in meinem Kopf umherschwirrt, vor mich her summend mache ich mich auf den Weg in die Innenstadt von Toronto.

Heute sind die Bahnen erstaunlich voll und ich werde ständig zwischen den vielen Menschen hin und her geschubst. Einen Augenblick überlege ich, warum ich nicht mit meinem eigenen Auto gefahren bin. Doch ich komme auf keinen einleuchtenden Grund. Seufzend gebe ich mich der Menschenmenge, die ungeduldig darauf wartet, endlich aus der Bahn aussteigen zu können, hin.

Durch einen heftigen Stoß in meinen Rücken stolpere ich durch die schmale Tür auf den Bahnsteig. Als ich mich umdrehe, um mich bei demjenigen, dem es mal wieder nicht schnell genug ging, zu beschweren, taumle ich überrascht einige Schritte zurück.

Die ganzen Personen, die noch eben um mich herum wuselten, sind nun verschwunden. Anstatt dessen türmen sich Berge von Zeitschriften auf dem grauen Untergrund. Mit zusammengezogenen Augenbrauen ziehe ich eins der Magazine einfach mitten aus dem am nächsten stehenden Stapel heraus.

Kreischend lasse ich es fallen, als mir ein Mädchen mit orangenen Haaren entgegenblickt. Es ist nicht ihr Aussehen, das mich so dermaßen erschreckt, sondern die Person, die neben ihr abgebildet ist. Aus einer sicheren Entfernung betrachte ich Shawn, der dieses Mädchen von hinten umarmt. Währenddessen sieht er mit seinem unfassbar strahlenden Lächeln in die Kamera.

An meinem ganzen Körper zitternd hebe ich die Zeitschrift wieder von dem kalten Boden auf. Dann zerreiße ich das Titelbild in einer ungewöhnlich schnellen Geschwindigkeit. "Das kann nicht sein", murmle ich immer wieder vor mich her, während ich ein Magazin nach dem Anderen in die Hand nehme. Doch alle bilden das gleiche Horrorszenario ab.

Meine regelmäßige Atmung ändert sich innerhalb einer Sekunde zu einer ungesunden Schnappatmung. Bevor ich richtig Luft holen kann, bewege ich mich wie ferngesteuert auf den Ausgang der Bahnstation zu. Ohne etwas dagegen unternehmen zu können, renne ich in einem viel zu schnellen Tempo durch die vielen Nebenstraßen.

Als ich an einem riesigen Marktplatz angelange, erlaube ich mir, stehen zu bleiben und durchzuatmen. Mit dem Stoff meines Pullovers wische ich den Schweiß, der sich auf meiner Stirn gebildet hat, hektisch weg. Währenddessen versuche ich, die vielen Gedanken in meinem Kopf auszublenden. Doch dies gelingt nicht wirklich gut.

Ich habe das Gefühl, als würde sich meine Umwelt unaufhörlich im Kreis drehen. Es fühlt sich an, wie auf einem viel zu schnellen Kettenkarussell. Da ich es nicht länger zurückhalten kann, schreie ich all meine Verzweiflung nach draußen. "Die Jugend von heute", sehe ich eine ältere Frau kopfschüttelnd an mir vorbei laufen, nachdem ich die Gegenstände auf dem Marktplatz wieder klar fokussieren kann.

Halbherzig hebe ich meine Hand in die Höhe, um mich für meine Ausbruch zu entschuldigen. Doch bevor ich in aller Ruhe in eines der vielen Geschäfte verschwinden kann, entflieht der nächste entsetzte Ausruf aus meinem Mund. Fassungslos starre ich genau auf die Bank, auf der Shawn sitzt.

Zu meinem Bestürzen verbringt er dort seine Zeit nicht alleine. Mit einem festen Griff hält er das orangehaarige Mädchen von dem Titelbild in seinen Armen. "Wieso?", frage ich immer wieder, während ich die letzten Meter, die zwischen uns liegen, überbrücke. Jedoch scheint mich der Junge weder zu sehen, noch zu hören.

Somit muss ich tatsächlich miterleben, wie er sich zu dem Mädchen hinüberbeugt und ihr einen innigen Kuss auf die Lippen drückt. Lippen, die zartrosa und in einer wunderschönen Form geschwungen sind. Lippen, die meine in ihrem Aussehen um Meilen übertreffen.

Meant To Be \\ Shawn MendesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt