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Juni 2023

Meine Hand wird fest von seinen Fingern umschlossen. Sie wärmen meine Haut und geben mir Kraft. "Ich kann es kaum erwarten, dich zu sehen", flüstert Shawn. Damit ich ihn besser verstehe, lehne ich meinen Kopf gegen die kühle Wand. Stets darauf bedacht, dass meine Frisur keinen Schaden nimmt.

Lächelnd schließe ich meine Augen, während ich jedes Wort von meinem Verlobten in meinem Gedächtnis aufnehme. Auch wenn jede Kleinigkeit der Hochzeit von zwei Kameras gefilmt wird, möchte ich mich an diesen besonderen Tag ohne eine DVD erinnern können. "Leg die Messlatte nicht zu hoch", lache ich leise auf, "vielleicht sehe ich total blöd aus."

"Wie soll das funktionieren?", schwingt eine leichte Irritation in Shawns Stimme mit. Nur zu gut kann ich mir vorstellen, wie sich auf seiner Stirn kleine Falten bilden. Im Moment würde ich nichts lieber tun, als mit meinen Fingern darüber zu streichen. "Keine Ahnung", zucke ich amüsiert mit meinen Schultern. "Und hör gefälligst auf so zu gucken", fordere ich den Jungen, der auf der anderen Seite der Wand steht, auf.

"Woher weißt du...", setzt Shawn an. "Wie gucke ich denn überhaupt?", fragt er wenige Sekunden später. "Josiah", rufe ich seinen Kumpel, der vor kurzem von meiner auf Shawns Seite gewechselt ist, um Fotos zu schießen, "hat Shawn diese kleinen süßen Fältchen auf der Stirn, eine gekräuselte Nase und sieht so aus, als würde er die Welt nicht mehr verstehen?" Mit aller Kraft muss ich mir ein Lachen verkneifen, als mein Verlobter meine Hand loslässt.

"Du hast seinen Gesichtsausdruck zu hundert Prozent getroffen", lacht stattdessen Josiah laut los. Kurz darauf ertönt ein Geräusch, das erschließen lässt, dass der Fotograf einige Male auf den Auslöser gedrückt hat. "Oh Gott, ich werde eine Hexe heiraten", hustet Shawn. Wahrscheinlich hat er sich an seiner Spucke verschluckt.

"Vielleicht hätte ich doch einen Background Check veranlassen sollen", überlegt der Braunhaarige, während ich das Grinsen förmlich hören kann. "Wenn es kein Unglück bringen würde dem Bräutigam vor der Hochzeit das Brautkleid zu zeigen, wäre ich schon längst auf deiner Seite der Wand aufgetaucht und würde dir etwas erzählen", schimpfe ich, bevor ich anfange zu kichern.

Im gleichen Moment greift Shawn wieder nach meiner Hand. Dann verfallen wir ins Schweigen. Es ist alles andere, als unangenehm. Wir werden zwar von acht Leuten beobachtet, aber dennoch zeugt diese Situation in einer gewissen Weise von Zweisamkeit. Zwei Menschen, die sich Zeit nehmen, um noch einmal in sich zu gehen. Zwei Liebende, die nicht viele Worte brauchen, damit sie sich verstehen.

"Bereit?", fragt mich Calvin, während er mir seinen Arm hinhält. "Mehr als bereit", lächle ich. Meine Schultern straffend hake ich mich bei meinem Bruder ein. "Danke, dass du mich begleitest", sehe ich zu ihm auf. Seine blonden Haare sind streng nach hinten gekämmt und mit Gel fixiert. Obwohl er mittlerweile zweiunddreißig Jahre alt ist, könnte er seinem achtjährigen Ich am heutigen Tag nicht mehr ähneln.

"Natürlich", drückt mir Calvin einen leichten Kuss auf meine Schläfe, "ich lasse meine kleine Schwester doch nicht alleine zum Altar schreiten." Schmunzelnd schüttle ich meinen Kopf. "Ich weiß, dass ich jünger bin. Das musst du nicht extra betonen", strecke ich ihm schließlich meine Zunge heraus. "Aber du bist schon so erwachsen", seufzt der Blondhaarige, "da muss ich mir manchmal einfach selber wieder ins Gedächtnis rufen, dass ich das ältere Geschwisterkind bin."

"Jetzt übertreibst du aber", beginne ich zu lachen, "ich habe nichts erreicht, was du nicht auch bereits mit fünfundzwanzig Jahren geschafft hast." Einen Augenblick mustert mich mein Bruder, bevor er ein schelmisches Lächeln aufsetzt. "Sicher?", zieht Calvin seine Augenbrauen in die Höhe, "also ich kann von mir nicht behaupten, dass ich mit Shawn Mendes verheiratet bin."

Mit meiner freien Hand boxe ich ihm gegen seinen Oberarm. "Ey", beschwere ich mich, "als hätte ich es darauf angelegt, einen Weltstar zu heiraten. Und genaugenommen bin ich noch gar nicht mit Shawn verheiratet." Lachend hebe ich meinen Zeigefinger an die Stirn, um Calvin einen Vogel zu zeigen. Wenn mein Bruder nervös wird, verlässt noch mehr Müll seinen Mund, als ohnehin schon.

Nachdem das Kamerateam zu uns getreten ist, hören wir mit dem Herumalbern auf. "Bete, dass ich nicht stolpere", flüstere ich dem Blondhaarigen zu, bevor die hölzerne Doppeltür geöffnet wird. Ich muss mich regelrecht dazu zwingen, dass ich den schmalen Gang zwischen den Kirchenbänken nicht entlang renne. Mehrfach wurde mir bei der Probe eingetrichtert, dass ich in einem angemessenen Tempo - bei dem jeder vermutet, ich würde auf der Stelle einschlafen - über den Teppich schreiten muss.

Vor meinem Bruder und mir läuft Shawns Neffe mit seiner Freundin aus der Grundschule her und verteilt weiße Blütenblätter. Grinsend beobachte ich die Zwei, wie sie gemeinsam den geflochtenen Korb tragen. Als sie vorne am Altar ankommen, kniet sich mein Verlobter hin. Mit einem breiten Lächeln hält er den Beiden seine flache Hand entgegen, damit sie bei ihm einschlagen können.

Sofort danach richtet Shawn seine volle Aufmerksamkeit auf mich. Es fühlt sich an, als würde sein Blick Feuer fangen und meine Haut Stück für Stück zum Lodern bringen. Das Brennen ist alles andere, als unangenehm. Es belebt mich. Es erinnert mich daran, dass ich diesen Blick von Shawn nie wieder missen möchte. Und es bestätigt mich darin, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.  

"Du schaffst das", umarmt mich Calvin sanft, als wir vorne zum Stehen kommen. Lächelnd nicke ich ihm zu. "Bis gleich", flüstere ich, obwohl mein Bruder während der Zeremonie keine drei Meter von mir entfernt sitzt. Mit zittrigen Fingern greife ich nach Shawns Händen. "Du siehst atemberaubend schön aus", streicht mir der Braunhaarige über meine glühende Wange. "Danke", hauche ich, während ich zu erkennen versuche, ob sich in seinen Augen wirklich Tränen bilden.

"Wir haben uns heute hier versammelt, weil Victoria de Haan und Shawn Peter Raul Mendes den Bund der Ehe eingehen wollen", beginnt der Priester mit seiner Ansprache, "die Liebe erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf. Und so hoffen wir dass sie auch euch beistehen wird." Zuerst sehe ich meinen Verlobten an. Doch bevor die Rede wirklich ernst wird, kann ich nicht anders, als meinen Blick über die Menge schweifen zu lassen.

Im hinteren Teil der Kirche sitzen Menschen, die ich ehrlich gesagt noch nie gesehen habe. Aber je weiter vorne die Gäste sitzen, desto bekannter werden die Gesichter. Und somit verharre ich einige Minuten in der ersten Reihe. Neben Shawns Großmutter sitzen natürlich seine Eltern. Aaliyah, die zu einem wunderschönen Mädchen herangewachsen ist, lächelt mir aufmunternd zu. Leonie, die noch genauso verrückt wie früher ist, hat sich tatsächlich in ein Kleid hineingezwängt.

Mein Bruder hält Mayas Hand fest, während er mir mit seiner freien Hand zeigt, dass er mir die Daumen drückt. Meine Mutter hockt ein wenig verloren auf der Bank. Dennoch ziert ein sanftes Lächeln, das ich so sehr vermisst habe, ihre Lippen.

Enge, zahlreiche Freunde von Shawn sehen gebannt zum Altar. Mason, Tyren und Matteo haben sich ordentlich herausgeputzt. Ava hält ihr Handy fest umklammert, damit sie genügend Bilder schießen kann. Katherine rutscht unruhig auf dem roten Polster hin und her. Und schließlich ist dort noch Paula - meine Trauzeugin, die direkt neben mir steht. Ein Mensch, der mir unheimlich ans Herz gewachsen ist.

Mit dem guten Gewissen, all diese Personen um mich herum zu haben, richte ich meinen Blick wieder auf Shawn. Andächtig lausche ich den Worten des Priesters. Solange, bis es Zeit für unser Ehegelübde ist.

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Sagt nichts! Ich weiß, dass ich vollkommen unfähig bin, ein Hochzeitskapitel zustande zu bringen😅

Meant To Be \\ Shawn MendesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt