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Während ich mich erneut in meinem Bett umdrehe, entflieht mir ein lautes Seufzen. Ich weiß nicht, wie häufig ich in den letzten Wochen geseufzt habe, aber scheinbar so oft, dass es mir Ava in der Küche und  dem Wohnzimmer bereits verboten hat.

Die Kapuze des blauen Hoodies ziehe ich mir wieder über den Kopf, da sie andauernd herunter rutscht. Aus einem Reflex heraus vergrabe ich meine Nase in dem flauschigen Stoff. Doch er riecht schon lange nicht mehr nach Shawn.

Nachdem ich eine ganze Woche lang in dem Pullover geschlafen habe, hat sich Ava einfach das Recht herausgenommen, das Kleidungsstück zu klauen, als ich Duschen war, und ihn in die Waschmaschine zu stecken. Dafür habe ich sie dann mit einigen Tagen des Schweigens bestraft.

Erneut seufzend schlage ich die Bettdecke zurück. Allmählich fange ich an zu schwitzen. Denn die Zimmertemperatur ist ganz schön angestiegen, seitdem ich nicht mehr regelmäßig lüfte.

Einen Augenblick überlege ich, welcher Tätigkeit ich jetzt nachgehen könnte. Doch letztendlich lasse ich mich wieder zurück in meine Kissen fallen. Ohne mich großartig zu bewegen, starre ich einfach nur an die Decke.

Dann schalte ich meine Musikbox an, verbinde sie mit meinem Handy und lasse das erste Lied abspielen. Mit voller Lautstärke dröhnt mir "She'll be the one" entgegen.

Es klingt vielleicht komisch, aber ich bin nicht ganz so deprimiert, wenn ich die Stimme von Shawn wenigstens als Tonspur höre. Außerdem mag ich seine Lieder.

"Shawn! Ich wollte nie so ein Mädchen werden, aber...", schicke ich kurzer Hand eine Nachricht an meinen Freund, "...ich brauche dich!" Daraufhin verfluche ich mich selbst.

Ich frage mich gerade, warum es keine Funktion gibt, mit der man seine Nachrichten wieder rückgängig machen kann, als mir der Eingang einer neuen Nachricht signalisiert wird.

"Ich brauche dich auch. Es ist schrecklich, dich so stark zu vermissen." Nachdem ich mir die Sätze zum dritten Mal durchgelesen haben, lasse ich meine Daumen langsam über mein Display schweben.

"Ist es komisch, wenn ich schreibe, dass sich alles in mir danach sehnt, neben dir zu liegen? Ich will deine Haut unter meinen Fingern spüren, wenn ich über deine Tattoos streiche. Ich brauche deine Körperwärme; deinen warmen Atem an meinem Hals, wenn du mich an dich drückst...", schreibe ich einfach drauflos.

"...ich sehne mich danach dich zu küssen. Kleine leichte Küsse in deiner Halsbeuge zu verteilen und gleichzeitig dein Parfüm, welches unfassbar gut nach Kokosnuss duftet, einzuatmen", erhalte ich etwa eine viertel Stunde später eine Nachricht von Shawn, die mir Gänsehaut bereitet.

"Ich möchte deinem Herzschlag lauschen, während mein Kopf auf deiner Brust ruht", antworte ich sofort. "Meine Finger kribbeln, wenn ich daran denke, dass ich bald wieder durch deine Haare streichen kann. Solange, bis du tief und fest in meinen Armen eingeschlafen bist", sendet mir der Junge die nächste Nachricht.

"Ich will in dein Gesicht, das mir immer wieder den Atem verschlägt, blicken. Ich will, dass sich meine Mundwinkel automatisch anheben, nur weil du mir entgegen lächelst. Ich will zum wiederholten Mal spüren, dass du der Eine bist, auf den ich mein ganzes Leben gewartet habe."

Noch ein bisschen unschlüssig drücke ich auf 'Senden'. Seufzend richte ich mich in meinem Bett auf, sodass ich gerade an der Wand sitze. Abwartend starre ich auf den Bildschirm meines Handys.

"Du hast gewonnen! In meiner Brust zieht es und mein Bauch fühlt sich an, als hätte ich fünfzig Purzelbäume gemacht." Wehmütig lächelnd lese ich mir seine Antwort durch. Damit, dass ich Shawn solche Sachen geschrieben habe, habe ich meine Sehnsucht zu ihm nur vergrößert.

"Wann bist du wieder da?", frage ich schließlich. "In 12 Tagen!", trifft einige Minuten später eine Nachricht ein. "Das sind sogar weniger als zwei ganze Wochen", folgt sofort darauf. "Wir schaffen das! Halte durch", sendet Shawn die letzten Sätze. "Halte du ebenfalls durch und genieß die letzten Konzerte in Amerika!"

Plötzlich wird meine Zimmertür energisch geöffnet. "Auch wenn ich die Musik deines Typens wirklich verehre, geht das hier so nicht weiter", platzt Ava in mein heiliges Reich. Zielstrebig läuft sie zu meinen Fenstern, zieht die Rollläden hoch und lässt mich halb erblinden.

Die frische Frühlingsluft weht mir entgegen, nachdem meine Mitbewohnerin die Fenster nacheinander aufgerissen hat. "Ich konnte noch Verständnis aufbringen, als du die letzten zwei Wochen nicht gerade vor Lebensfreude gesprüht hast. Aber, dass du bereits zwei Tage nicht bei der Arbeit warst und den halben April verpasst, geht zu weit", baut sich Ava vor meinem Bett auf.

Wenn man sie betrachtet, kommt sie schon etwas bedrohlich rüber. Doch ich kann nur ein leises Grummeln von mir geben. "Victoria!", ruft sie erbost, "du stehst jetzt auf, stellst dich unter die Dusche und gehst Arbeiten." Da ich mich nicht mit ihr anlegen möchte, rolle ich mich aus dem Bett. Einige Sekunden bleibe ich einfach auf dem Boden liegen, bis ich ich mich aufrappel.

Ohne jeglichen Elan suche ich mir etwas zum Anziehen aus meinem Schrank heraus, schnappe mir die Musikbox und verschwinde im Bad. Während ich dusche, höre ich auf voller Lautstärke ein altes Album von Civil Twilight. Es ist zwar bereits acht Jahre alt, aber es weckt mich auf und hilft mir dabei, die Wand des Selbstmitleids zu durchbrechen.

"Zufrieden?", frage ich vorwurfsvoll, als ich die Küche betrete. "Geht doch", nickt Ava tatsächlich zufrieden, bevor sie in ihr Marmeladenbrötchen beißt. "Iss etwas Anständiges", fordert sie mich auf. Anschließend schiebt mir meine Mitbewohnerin ein Körnerbrötchen mit Erdnussbutter bestrichen über den Tisch.

"Danke", lächel ich. Mit solch einem Frühstück sieht die Welt schon etwas besser aus. "Tyren wartet unten. Er nimmt dich mit zur Arbeit", teilt mir Ava später mit. "Okay", murmel ich einfach nur, während ich zuende kaue.

Tief durchatmend trete ich vor die Haustür. Ich höre vereinzelt einige Vögel zwitschern und blicke auf eine Ansammlung von Tulpen, die jemand auf den Grünstreifen vor unserem Haus gepflanzt haben muss. Ein kleines Lächeln bildet sich auf meinem Gesicht.

Es ist gar nicht so schlimm nach draußen zu gehen. Ich muss nur noch zwölf Tage überstehen und dann kann ich Shawn wieder in meine Arme schließen. Bis dahin werde ich mich bemühen, wie alle anderen Menschen normal weiterzuleben. Ohne mir einzureden, dass ich ohne meinen Freund nicht mehr weiß, was ich mit meiner Freizeit anfangen soll.

Meant To Be \\ Shawn MendesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt