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September 2019

An meinem Ohrläppchen ziehend laufe ich in einem gemächlichen Tempo den langen Flur entlang. Auch wenn es sich nicht gehört, lasse ich meinen Blick interessiert umherschweifen. Die meisten Jalousien vor den kleinen Fenstern sind heruntergelassen. Wahrscheinlich, um sich vor Leuten, wie mir, abzuschirmen.

Meine Mundwinkel heben sich automatisch ein kleines Stück an, nachdem ich tief durchgeatmet habe. Hingegen vieler Anderer, finde ich den Geruch von Desinfektionsmittel eher beruhigend, als dass er mich an etwas Schlechtes erinnert. Daher genieße ich es beinahe schon durch den weißen Korridor zu schlendern.

Das kleine Schild neben der letzten Tür in diesem Gang zeigt die gleiche dreistellige Nummer, wie diese, die mir an der Anmeldung genannt wurde, an. Während ich klopfe, lehne ich mich bereits gegen das kühle Holz. "Du hast es geschafft", lächelt mich Shawn müde an, als ich sein Krankenzimmer betrete.

"Mein Dozent hat ein paar Minuten früher Schluss gemacht", erkläre ich, weshalb ich glücklicherweise schon da bin. "Hi", flüstere ich etwas verspätet, bevor ich mich zu meinem Freund hinunterbeuge. Nachdem ich dem Jungen einen wirklich kurzen Kuss auf die Lippen gedrückt habe, will ich mich wieder aufrichten. Doch Shawn hat scheinbar andere Pläne.

Als wäre er zu einer Schnecke mutiert, hebt er ziemlich langsam seinen Arm und zieht mich an meinem Nacken sanft wieder zu sich. In seinen Augen kann ich erkennen, wie anstrengend jede einzelne Bewegung für ihn ist. "Du willst mir doch nicht erzählen, dass ich nur diesen einen Kuss bekomme", grummelt der Sänger, "vor allem dann nicht, wenn ich nur noch wenige Minuten zu leben habe." 

"Rede doch keinen Unsinn", lache ich laut auf, "die Ärzte hier könnten sich gar nicht erlauben, dich Trottel wegsterben zu lassen." Amüsiert setze ich mich auf die Kante der Matratze. "Weil du ansonsten einen Aufstand erproben würdest?", grinst mich Shawn an, bevor er unsere Lippen zu einem zarten Kuss verschließt.

"Weil ich ansonsten einen Aufstand erproben würde", lächle ich ihn an, während ich ihm seine Locken aus der Stirn streiche. "Das will ich doch auch hoffen", zieht der Braunhaarige kleine Kreise auf meinen Unterarm. Leise kichernd betrachte ich meinen Freund, der mich aus schläfrigen Augen anstarrt.

"So, Herr Mendes. Wir sind nun so weit, um loszulegen", betritt ein älterer Herr, der sich einige Unterlagen auf seinem Klemmbrett durchliest, das Zimmer. "Oh, hallo", nickt er mir freundlich zu, als er mich erblickt. "Guten Tag", erwidere ich leise, während ich mich von dem Bett erhebe.

"Ich wiederhole im Folgenden noch einmal kurz die wichtigsten Punkte des Eingriffes, den wir ausführlich in unserer letzten Sitzung besprochen haben. Ihnen ist bewusst, dass es durchaus zu weiteren Revisionsoperationen kommen kann?", wendet sich der Arzt an Shawn. Von einem starken Hustenanfall gepackt nickt der Junge lediglich als Zustimmung.

"Okay", blickt der Mann noch einmal kurz in seine Unterlagen, "der wichtigste operative Schritt im Rahmen der Nasennebenhöhlenoperation wurde bei Ihnen bereits vor vier Jahren durchgeführt. Daher müssen wir den kleinen Knochen 'Processus uncinatus' nicht mehr abtragen. Somit werden wir direkt hinter dem Kieferhöhlenostium ansetzen und weitere dünne Knochenlamellen auf dem Weg zur Keilbein- und Stirnhöhle abtragen. Außerdem werden wir die erkrankte und verdickte Schleimhaut entfernen. Dadurch wird Ihre Nasennebenhöhle freigelegt und erweitert. Innerhalb der nächsten zwei Wochen sollte daher Ihre zurzeit anhaltende Erkältung einfacher abklingen und Ihnen ein unbeschwertes Atmen ermöglicht werden."

Angestrengt versucht Shawn seine Augen offen zu halten, während der Mann in dem weißen Kittel seinen Monolog hält. Die dursichtige Flüssigkeit in dem Tropf, der mit seiner Ellenbeuge verbunden ist, sickert wie in Zeitlupe durch den Schlauch. Seufzend drücke ich die Hand meines Freundes, um ihm zu zeigen, dass er es bald überstanden hat.

"Sie können gerne hier warten oder unsere Cafeteria aufsuchen", lächelt mich der Arzt kurz an, bevor er das Zimmer verlässt. Einige Minuten später treten zwei Krankenschwestern, die mich überhaupt nicht beachten, durch die Tür. Aufgeregt tuschelnd lösen sie die Bremsen an den kleinen Rollen des Bettes und schieben dieses samt Shawn auf den Flur.

Laut ausatmend lasse ich mich auf einen kleinen Sessel in der Ecke des Zimmers fallen. Dass die zwei Frauen keinen Block und Stift, um ein Autogramm abzugraben, mitgebracht haben, war wahrscheinlich eigentlich schon zu viel verlangt. Plötzlich vollkommen entnervt werfe ich meinen Kopf in den Nacken.

Die heutigen Vorlesungen waren wirklich anstrengend. Und die Tatsache, dass sich Paula und Matteo wegen jeder Kleinigkeit andauernd in den Haaren hatten, während mein Freund mit Beruhigungsmitteln vollgepumpt wurde, trug nicht gerade zu meiner Entspannung bei. Seufzend stecke ich mir meine Kopfhörer in meine Ohren. Mit etwas Musik geht die nächste Stunde hoffentlich etwas schneller um.

Nicht gerade leise rollen die zwei Krankenschwestern das Bett wieder zurück in das Zimmer. Trotz des Lärmes rührt sich Shawn jedoch keinen Zentimeter. Daher nehme ich an, dass die Narkose noch anhält. Ich bin froh, dass ich meine angestaute Luft endlich ausstoßen kann, als die zwei Frauen endlich wieder verschwinden, nachdem sie den Jungen ein paar Minuten zu lange angestarrt haben.

Aus einer Intuition heraus schieße ich aus der Ferne ein Foto. Die Vorderseite des Bettes und ein Lockenkopf ist darauf abgelichtet. Schmunzelnd lege ich den schwarz-weiß Filter, den Shawn beinahe mehr liebt als mich, darüber. Mit dem Schriftzug 'Gute Besserung' lade ich das Bild in meine Instagram-Story hoch. Seine Fans werden mir mehr als dankbar dafür sein.

"Victoria?", reißt mich ein Krächzen aus meinen Gedanken. Sofort springe ich von dem Sessel auf und laufe zu Shawn, der sich auf seine rechte Seite gedreht hat. "Wie fühlst du dich?", fahre ich mit meinem Daumen über seine Wange. Sie fühlt sich geschwollen und etwas wabbelig an.

Aus glasigen Augen sieht mich mein Freund an. "Tat es weh?", flüstert er plötzlich. Daher ziehe ich meine Stirn so stark zusammen, dass ich merke, wie sich einige Falten bilden. "Shawn, du wurdest operiert. Und nicht ich", lächle ich ihn einfühlsam an.

"Nein", schüttelt der Braunhaarige müde seinen Kopf, "ich meine, ob es weh getan hat, als du vom Himmel gefallen bist." Vollkommen verschlafen reibt er sich so lange seine Augen, bis sie rot und gereizt sind. "Unheimlich", grinse ich breit.

Der Arzt hat uns gewarnt, dass Shawn neben der Spur sein kann, wenn er aufwacht. "Ich hätte da sein und dich auffangen müssen", nickt der Junge bedächtig, bevor er unsere Finger miteinander verschränkt. Lachend stimme ich ihm zu.

"Du bist süß, wenn du lachst", beißt sich mein Freund verstohlen auf seine Unterlippe. Ein 'Awww' von mir gebend beuge ich mich vor, um meine Lippen vorsichtig auf seine zu legen. Sofort zieht mich Shawn näher zu sich heran, während ein leises Grummeln ertönt.

"Muffins sind auch süß. Wusstest du das, Victoria?", zieht er das 'a' in die Länge, bevor er sich verträumt in sein Kissen zurück sinken lässt. "Möchtest du einen essen?", frage ich den Jungen amüsiert, als mir bewusst wird, dass das Grummeln vorhin aus der Richtung seines Magens kam.

"Darf ich denn direkt nach der Operation etwas essen?", zieht er überrascht seine Augenbrauen in die Höhe. "Ich werde mich bei jemandem darüber erkundigen. Okay?", fahre ich mit meinen Fingern durch seine verwüsteten Haare, "und wenn du schon Nahrung zu dir nehmen darfst, dann kaufe ich dir einen Muffin in der Cafeteria."

"Du bist die aller Beste", grinst Shawn spitzbübisch. "Ich weiß", zwinkere ich ihm zu, während ich rückwärts auf die Tür zu gehe. "Ruh dich noch etwas aus, solange ich weg bin", schlage ich ihm lächelnd vor. Nickend schließt der Braunhaarige seine Augen. Kurz beobachte ich meinen Freund noch dabei, wie er langsam wegdöst. Dann mache ich mich auf, um eine Krankenschwester aufzusuchen.

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So, ich bin zurück von meiner viertägigen Auszeit, die ich nach meinem Acht-Tage-Dauerschreiben doch echt gebraucht habe😅🤘

Da ich heute Abend von _blvcksoul_ keine Schläge bekommen wollte, habe ich also mal wieder ein Kapitel für euch vorbereitet😂😂😘

Meant To Be \\ Shawn MendesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt