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In einer grauen Jogginghose und einem einfachen T-Shirt werfe ich mich neben Shawn auf sein Sofa.

Es hat zwar zwei ganze Tage gedauert, aber zu seiner Freude habe ich schlussendlich zugestimmt. Nun verbringe ich die Nacht von Donnerstag auf Freitag damit Harry Potter zu gucken.

"Ich fasse es immer noch nicht, dass ich dir zugesagt habe", jammer ich. "Du machst es mir nicht gerade leicht, hier zu sitzen und nicht darüber nachzudenken, etwas anderes mit dir zu unternehmen", seufzt Shawn.

"Du würdest spontan den Harry Potter Marathon absagen?", richte ich mich erwartungsvoll auf. "Nein", nimmt mir der Braunhaarige die Hoffnung, "jetzt halt die Klappe."

Lachend stehe ich auf. Aus meinem Rucksack, der noch im Flur steht, hole ich eine Packung Muffins und eine große Tüte M&M's mit Erdnussbutter Füllung.

Gerade rechtzeitig hatte ich meine Hand auf die letzte Tüte im Supermarkt gelegt, bevor ein kleiner Rotzbengel sie mir wegschnappen konnte. Der hatte um neun Uhr abends sowieso nichts mehr draußen zu suchen.

"Die sind für dich", lege ich die vier Muffins auf den Wohnzimmertisch. "Und die für mich", schüttel ich die Tüte M&M's. "Seidenn du möchtest hier von auch welche. Dann teile ich natürlich gerne", füge ich noch hinterher.

Kaum sitze ich auf dem Sofa, steht Shawn auf. Verwirrt blicke ich ihm nach, als er in der Küche verschwindet. Mit einem bunten Tablett kommt er wieder.

Zwei Tassen, eine dampfende Kanne und jede Menge bunte Minimarshmallows sind darauf drapiert. "Wenn ich dich schon quäle, sollst du während den Filmen wenigstens heiße Schokolade trinken können", lächelt mich der Braunhaarige an.

"Das ist großartig", werden meine Augen groß. Sofort schütte ich in beide Tassen den Kakao ein. Während Shawn die erste Blu-ray in den Player legt, öffne ich die rote Tüte mit den M&M's.

Einen nach dem anderen werfe ich in die Luft und fange ihn mit meinem Mund auf. "Vor ein paar Monaten habe ich gelesen, dass ein Junge an einer Nuss erstickt ist, als er sie mit dem Mund aus der Luft aufgefangen hat", lässt sich Shawn neben mir nieder.

"Die Nuss ist irgendwie im Hals stecken geblieben. Bevor man einen Krankenwagen rufen konnte, war er schon tot." Ernst sieht er mich an.

"Vielen Dank, da schmecken die M&M's gleich viel besser", rolle ich mit meinen Augen. "Das ist mein Ernst, Victoria. Die Dinger müssen nur falsch landen und du bekommst keine Luft mehr."

Betroffen sinke ich nach hinten in die vielen Kissen. Lustlos stopfe ich mir die Schokolinsen in den Mund. Um ehrlich zu sein traue ich mich jetzt nicht mehr die bunten Kugeln in die Luft zu werfen.

Auf dem großen Fernseher erscheint der Warner Bros. Schriftzug und Musik wird eingespielt. Ich versuche mich auf die Filme zu konzentrieren. Doch ich werde immer wieder von anderen Sachen abgelenkt.

Entweder versteife ich mich darauf, nie zweimal die gleiche Farbe von den Schokolinsen hinter einander zu essen oder probiere, für wie viele Sekunden die Marshmallows unter der Oberfläche der heißen Schokolade schwimmen, bevor sie wieder auftauchen.

Mir ist bewusst, dass dies nicht gerade fair ist. Aber ich weiß, dass ich am Wochenende nicht schlafen werde, wenn ich zu sehr auf die düstere Fantasywelt achte. In der Beziehung bin ich ein echter Schisser. Kreaturen wie Drachen, riesen Spinnen, Schlangen, Oger und Gespenster haben mir schon immer den Schlaf geraubt.

Außerdem ist Shawn selbst die größte Ablenkung. Als wäre es Alltag, liegt er auf dem Rücken und starrt auf den Bildschirm. Die Sache, die er scheinbar nicht bemerkt, ist, dass seine Beine über meinem Schoß liegen. Dazu kommt noch die Art, wie er seinen Muffin isst. Es klingt blöd, aber der Junge hat es echt drauf, bei jeder Tätigkeit attraktiv auszusehen.

In der Mitte des dritten Teils bemühe ich mich, meine Augen weiterhin offen zu halten. Tapfer reiße ich meine Lider immer wieder auf, aber schlussendlich dämmere ich langsam weg.

Ein lauter Knall und Schreie lassen mich auffahren. Orientierungslos sehe ich mich um. Doch ich befinde mich immer noch in der gleichen Position wie vor einigen Minuten.

Als mein Blick auf die Uhr fällt, stelle ich fest, dass ich nicht nur ein paar Minuten, sondern über eine ganze Stunde geschlafen habe. Scheinbar läuft jetzt schon der vierte Teil.

Erschrocken fahre ich zusammen, als plötzlich aus dem Nichts ein Gesicht in Großaufnahme auf dem Bildschirm erscheint. Meine Hand auf die Brust legend, achte ich darauf, dass mein Herz wieder langsamer schlägt.

"Alles okay?", richtet sich Shawn auf, nachdem er den Film pausiert hat. "Klar", lächel ich verlegen.

"Bekommst du Angst von den Filmen?", erkundigt sich der Braunhaarige sanft. Während sich meine Wangen rot färben, schüttel ich meinen Kopf. Auch wenn das nicht ganz der Wahrheit entspricht.

Eine Zeit lang ist es still. Ich höre das Ticken der Standuhr und ein Surren, welches möglicherweise vom Blu-ray Player kommt.

"Wovor hast du dann Angst?", fragt Shawn. Überrascht sehe ich ihn an. Das hatte ich jetzt nicht erwartet. "Dass ich demnächst an meinen M&M's ersticke", scherze ich.

"Nein, im Ernst. Was macht dir Angst?" Mit angewinkelten Beinen sitzt er direkt neben mir. Seinen Arm legt er auf der Rückenlehne ab.

"Wasser", stoße ich zittrig aus. Nicht, weil meine Angst dem Wasser gegenüber so mächtig ist. Sondern, weil Shawn mir so nahe ist, dass ich seine Wärme spüre.

"Wasser?" Überrascht sieht mich der Junge an. "Kein Leitungswasser", murmel ich, "aber eben viel Wasser. Wie zum Beispiel im Meer. Ich traue mich nicht surfen zu gehen, weil ich Angst habe, dass ich am Ende im offenen Gewässer umher schwimme."

Auf eine Reaktion wartend mustere ich Shawns Gesicht. Ich rechne damit, dass er jeden Augenblick seine Mundwinkel anhebt und zu lachen beginnt.

"Die Dunkelheit des Wassers die dich umgibt, wenn du ganz alleine im Ozean treiben würdest macht dir Angst, richtig?"

"Ja, woher weißt du das?", öffne ich verblüfft meinen Mund. "Weil es mir genauso geht", kratzt sich Shawn am Hinterkopf. Ein erleichtertes Lächeln bildet sich auf meinem Gesicht.

"Du bist der Erste, der mich deswegen nicht nur belächelt oder meine Angst für überzogen erklärt", gebe ich von mir.

"Man sollte jede Person selbst entscheiden lassen, vor was sie sich fürchtet", schüttelt Shawn seinen Kopf.

Nachdem der Junge den Fernseher ausgeschaltet hat, streckt er mir seine Hand entgegen. "Komm, lass uns schlafen gehen. Du hast lange genug ausgehalten."

Lächelnd ergreife ich seine Hand. Unsere Finger miteinander verschränkend zieht mich Shawn die Treppe nach oben.

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Gut Ding will Weile haben. ☝😎

Meant To Be \\ Shawn MendesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt