[111]

6.2K 374 153
                                    

Februar 2025

Bevor ich das Fenster schließe, nehme ich noch einen tiefen Atemzug. Die Luft ist kalt - bis auf den Nullpunkt gesunken. Aber dafür ist sie umso erfrischender. Als ich den Hebel nach unten drücke, verstummt der Straßenlärm augenblicklich.

Es ist sogar so still, dass ich das regelmäßige Atmen von Nicholas hören kann. Doch wahrscheinlich wird dies nicht lange anhalten. Schon bald wird er aufwachen und anfangen zu weinen. Dann werde ich ihn aus seinem Kinderbett nehmen und stillen müssen.

Mir war vorher bewusst, dass es nicht einfach werden wird, ein Kind groß zu ziehen. Aber ich dachte nicht, dass es dermaßen kräftezehrend ist. Vorallem habe ich nicht damit gerechnet, dass Shawn bereits dieses Jahr wieder die Welt bereisen würde.

Das letzte Mal habe ich ihn vor vier Tagen gesehen. Ich schätze, dass er zurzeit in London ist. Doch sicher bin ich mir nicht. Die Kommunikation hat zwischen uns Beiden in den letzten zwei Monaten erheblich abgenommen.

Immer wieder werfe ich mir vor, dass ich es Schuld bin, weil ich mich zu stark zurückgezogen habe. Obwohl es mir nach der Geburt von Nicholas wirklich gut ging, bin ich über das Neujahr abgerutscht. In ein Loch, das ich mir selbst gegraben habe, indem ich meine Erschöpfung jeden Tag aufs Neue beiseite geschaufelt habe.

Den Rat, mich auszuruhen, habe ich gekonnt ignoriert, um meinen eigenen Ansprüchen als gute Mom Genüge leisten zu können. Aber eines Morgens bin ich aufgewacht und habe realisiert, dass ich bereits zu tief in diesem Loch stecke und die Erde beginnt auf mich hinab zu rieseln. Und als ich an diesem Punkt angekommen war, war es am einfachsten einfach sitzen zu bleiben.

Seufzend sehe ich auf meinen Sohn hinab. Seine blassen Lippen bewegen sich leicht. So, als würde er im Schlaf reden. Die Nasenflügel zittern bei jedem Atemzug. Und doch sieht er so unheimlich friedlich aus. Meine Hand wandert über das Holzgitter des Bettes, um schließlich die Decke, die verrutscht ist, auf die Höhe von Nicks Kinn zu ziehen. Am liebsten würde ich ihm über seine aufgeblasene Wange streicheln. Allerdings habe ich zu große Angst davor, dass ich ihn dadurch aufwecke.

Ein leises Plätschern lässt mich aufhorchen. Seit ich Nicholas auf die Welt gebracht habe, ist mein Gehör viel besser geworden. Ich brauche nicht lange überlegen, um zu wissen, dass das Geräusch aus dem Badezimmer kommt. "Shawn?", rufe ich, nachdem ich die Tür des Kinderzimmers hinter mir geschlossen habe.

Es wäre nicht das erste Mal, dass er nach Hause kommt und mich nicht begrüßt. Mein Ohr gegen die Badezimmertür gelehnt horche ich darauf, ob sich mein Mann darin befindet. Früher hätte ich es direkt an dem Klang seiner Stimme ausmachen können. Doch seitdem Shawn beim Duschen nicht mehr singt – nicht einmal mehr summt – muss ich auf das Geräusch des Wasserstrahls, der an seinem Körper abprallt, hören.

Kopfschüttelnd setze ich mich wieder in Bewegung und begebe mich in unser Schlafzimmer. Trotz meiner Kuschelsocken fühlen sich meine Füße wie Eisklötze an. Daher würde ich nun auch liebend gerne unter der heißen Dusche stehen. Doch ich warte darauf, dass Shawn das Badezimmer eine halbe Ewigkeit später verlässt.

Das Handtuch um seiner Hüfte nehme ich wahr. Ebenso seine Bauchmuskeln. Aber ich kann nicht behaupten, dass ich die Person, die vor mir steht, als den Mann, der mir das Gefühl von Geborgenheit geben kann, wahrnehme. Während ich mir neue Anziehsachen zusammensuche, überlege ich, seit wann Shawns Brust wieder so trainiert aussieht. 

Beinahe drehe ich mich zu ihm zurück, um ihn zu fragen, ob er neulich im Fitnessstudio war. Jedoch entschließe ich mich dazu, meinen Mund geschlossen zu halten. So, wie ich es schon eine ganze Weile lang mache. Schluckend lehne ich meinen Hinterkopf an die Tür, nachdem ich das Bad betreten habe.

Meant To Be \\ Shawn MendesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt