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Oktober 2024

"Was für eine Scheiße", fluche ich, sodass es sicherlich durch die ganze Wohnung zu hören ist. "Ich hasse ihn", greife ich mir an meinen Bauch, "ausgerechnet jetzt muss er den deutschen Mädchen noch irgendwelche Schnulzen vorsingen." Im Spiegel entdecke ich mein blasses Gesicht, das meine Verärgerung deutlich zeigt.

Seit über einer Stunde werde ich von leichten Krämpfen geplagt. Alle zwanzig Minuten sehe ich auf die Uhr. Genau dann, wenn meine Oberschenkel für einige Sekunden brennen. Doch mittlerweile werden die Schmerzen immer stärker und regelmäßiger. Gerade rechtzeitig halte ich mich am Waschbecken fest, bevor mein Knie einfach wegknickt und ich langsam in Richtung Boden sinke.

"Also heute Morgen hast du Shawn noch als Traummann bezeichnet", ertönt Paulas amüsierte Stimme. Der Parkettboden knarzt leise, während sie durch die Wohnung läuft. Schließlich steckt die Blondhaarige lachend ihren Kopf durch die angelehnte Badezimmertür. "Ach du heilige Kiwi", gefriert ihr Lachen regelrecht, als sie mich erblickt.

Ein schmerzhaftes Ziehen, das mir die Luft aus meinen Lungen drückt, breitet sich in meinem Unterleib aus. "Wehen", stößt Paula aus, bevor sie unregelmäßig anfängt zu atmen. "Deine Wehen haben eingesetzt. Oh mein Gott", reißt sie ihre Arme in die Höhe. "Wieso habe ich behauptet, dass ich wüsste, was zu tun ist, wenn euer Kind kommt und Shawn noch nicht wieder Zuhause ist", fächelt sich die Blondhaarige Luft zu, "ich weiß überhaupt nicht, was zu tun ist."

"Du solltest mich in das Krankenhaus fahren", lächle ich schwach. Sofort darauf krampft sich erneut mein Unterleib zusammen. Gefolgt von einem Druck, der sich wie ein Gürtel, der sich immer enger um meinen Bauch spannt, anfühlt. "Einatmen. Ausatmen", murmle ich leise vor mich hin, während ich meine Hände stärker gegen den Stoff meines Oberteils presse.

Paula weiß sehr wohl, wie sie nun handeln muss. Schließlich hat sie mehr Bücher über Geburten gelesen, als ich. "Damit ich vorbereitet bin", hat sie mir bei einem der vielen Skype Anrufe erklärt. In der Hektik verdrängt sie lediglich ihr ganzes Wissen. Doch der kleine Denkanstoß lässt sie wieder ruhiger werden.

Zielstrebig greift Paula nach einem Stapel Handtücher. Dann rennt sie wie eine Gejagte den Flur entlang. "Kannst du aufstehen?", fragt mich die Blondhaarige, als sie mit einer Tasche, die ich bereits letzte Woche gepackt habe, zu mir zurückkommt. Nickend erhebe ich mich von dem kalten Boden, während ich hoffe, dass die Wehen in diesen Moment nicht erneut einsetzen.

"Beweg deinen Arsch nach New York", schreie ich in den Telefonhörer, ohne meinen Mann zu begrüßen. Für einen kurzen Augenblick sieht mich meine Freundin mit einem schmerzverzehrten Gesicht an, bevor sie sich wieder auf die Straße konzentriert. Eigentlich will ich mich für meinen Ausbruch entschuldigen. Aber ich komme nicht dazu, da ich mir in meinen Handrücken beiße, um nicht erneut laut zu schreien. Eine Welle von schmerzhaften Kontraktionen lässt mich am ganzen Körper zucken.

"Was ist los?", fragt Shawn alarmiert. "Ich habe meine Wehen, du Depp", rutscht die Beleidigung am Ende ganz von alleine heraus. "Oha", ist das Einzige, was der Junge verlauten lässt. Im Hintergrund ist erst ein Rascheln, mehrere Stimmen und dann ein ohrenbetäubender Knall zu hören. "Shawn?", beuge ich mich näher an die Freisprecheinrichtung heran.

"Nichts passiert", versichert er mir außer Atem, "ich komme so schnell, wie ich kann. Scheiße, mir soll jemand ein Flug buchen. Taxi! Mach dir keine Sorgen, Victoria. Ich bin zu der Geburt unseres Sohnes rechtzeitig da. Verfluchte Scheiße. Zum Flughafen. Fahren Sie einfach über alle roten Ampeln. Victoria? Wie geht es dir? Ist es sehr schlimm? Habe ich überhaupt meinen Reisepass dabei?"

Kopfschüttelnd höre ich den wirren Gedankengängen meines Mannes zu. "Es hält sich in Grenzen", behaupte ich. Dann entfährt mir ein schmerzhaftes Stöhnen. Eine Vorahnung hegend lasse ich meinen Blick langsam zu meinen Oberschenkeln wandern. Die Handtücher, die mir Paula in mehrfachen Lagen extra für diesen Fall auf den Sitz gelegt hat, färben sich langsam dunkel.

Meant To Be \\ Shawn MendesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt