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Dezember 2024

"Ich kann immer noch nicht glauben, dass du das wirklich durchziehen willst", vergräbt Shawn seine Hände in seinen Locken, während er so breit grinst, dass es sicherlich schon wehtun muss. "Vielleicht laufe ich vorher doch noch weg", spaße ich, um meine Nervosität zu verbergen. "Kommt überhaupt nicht in Frage", schüttelt mein Mann sofort seinen Kopf, "du hängst jetzt mit darin."

Lachend zeige ich ihm einen Vogel. Wenn ich mich kurzfristig dazu entscheiden sollte, es doch nicht durchzuziehen, dann hätte selbst Shawn nichts mehr zu melden. "Unterschätz diese Geste bloß nicht", deutet der Junge auf meinen Finger, der an meiner Stirn ruht, "vielleicht ist das der erste Grund für eine spätere Scheidung."

"Kaum haben wir ein Kind, willst du dich scheiden lassen? Ich dachte, du wärst anders", seufze ich theatralisch, bevor ich mir an die Brust fasse. "Der Schein kann manchmal trügen", zuckt Shawn angeblich unberührt mit seinen Schultern. Doch dann macht er einen riesigen Schritt auf mich zu und schlingt seine Arme um meine Hüfte.

"Gib zu, dass ich der beste Ehemann überhaupt bin", flüstert mir der Braunhaarige in mein Ohr. Als ich mich jedoch weigere, dem zuzustimmen, was auf jeden Fall der Wahrheit entspricht, beginnt er mich zu kitzeln. "Shawn, hör auf", lache ich los. "Nur, wenn du das sagst, was ich hören möchte", grinst er, bevor er einfach in mein Ohr pustet.

"Okay", rufe ich laut aus, "du bist der beste Ehemann." Zufrieden lässt Shawn von mir ab. Nachdem er seinen Pullover, der hochgerutscht ist, gerichtet hat, legt der Junge seine Hände an meine Wangen. "Danke", schmunzelt mein Mann. Die Augen verdrehend stelle ich mich auf meine Zehenspitzen, um meine Lippen auf seine zu legen.

"Warum seid ihr immer noch so ekelhaft süß?", lässt uns eine Stimme auseinanderfahren. In einer dicken Winterjacke eingepackt, sieht Aaliyah durch die Wohnzimmertür. Ihre Wangen sind von der Kälte gerötet und unter einer blauen Wollmütze schauen ihre langen glatten Haare hervor. "Warum bist du so groß geworden?", stelle ich eine Gegenfrage.

Mit offenem Mund gehe ich auf das unfassbar schöne Mädchen, das mittlerweile schon einundzwanzig Jahre alt ist, zu. "Das sind die Mendes-Gene", schmunzelt die Braunhaarige. Dann schließt sie mich in eine feste und lange Umarmung. Es ist wirklich schön sie wiederzusehen.

Neun Stunden Autofahrt und eine Übernachtung in Cortland haben sich im Nachhinein für jede herzliche Umarmung, die ich hier in Pickering bereits bekommen habe, gelohnt. Natürlich hätten wir uns auch einen Flug buchen und innerhalb von zwei Stunden in Kanada sein können. Aber es wäre unverantwortlich gewesen, Nick in einem so jungen Alter in ein Flugzeug zu setzen.

Der Zwischenstopp auf halber Strecke war mehr als umständlich. Aber es tat gut für eine längere Zeit, als nur für eine kurze Toilettenpause, aus dem Auto zu kommen. Und da Karen und Manuel nicht die einzigen sind, die unseren Sohn kennenlernen wollen, war die Autofahrt dennoch die einfachste Lösung.

"Wo ist Nicholas?", erkundigt sich Aaliyah, nachdem sie ihre Jacke und Schuhe ausgezogen hat. Kurz werfe ich Shawn einen triumphierenden Blick zu, da seine Schwester ihn nicht 'James' genannt hat. "Er ist oben bei deinen Eltern", antworte ich dann, "aber ich fürchte, dass er schläft." Lächelnd winkt das Mädchen ab. "Hauptsache ich bekomme den Kleinen zu Gesicht", rennt sie freudig die Treppe hoch und lässt uns damit einfach im Wohnzimmer zurück.

"Wow", staune ich mit offenem Mund, als ich mit Shawn das Studio betrete. Es ist von hellem Licht durchflutet. Das genaue Gegenteil von meiner Vorstellung. Aus keinem bestimmten Grund habe ich mir eine dunkle unordentliche Spelunke, in der die Möbel mit Staub bedeckt sind, vorgestellt. Aber die weißen Wände, die große Fensterfront und die farbenfrohe Einrichtung zeugen von einer erstaunlichen Sauberkeit, die nicht einmal unsere Putzfrau, die wir seit Neustem engagieren, leisten kann.

"Also doch", biegt eine Asiatin um eine Ecke, "ich habe nicht geglaubt, dich hier noch einmal wiederzusehen." Ihre Haare sind zum größten Teil lila gefärbt, während die Spitzen pink sind. Ihre Nase wird von einem goldenen Piercing geziert. "Ich habe dir doch geschrieben", grinst Shawn. "Meinen Zweifel konnte ich trotzdem nicht ablegen", zieht Livia meinen Mann in eine kurze Umarmung.

"Kein blau mehr?", deutet der Junge auf ihre bunten Haare. "Ne", kräuselt die Frau ihre Nase, "so ein Typ, den ich nicht ab kann, hat behauptet, dass mir die Farbe steht. Da musste ich eine andere wählen." Lachend schüttelt Shawn seinen Kopf. "Du hast dich kein Stück verändert", schmunzelt er, während er näher an mich heran tritt.

"Ihr kennt euch flüchtig von der Hochzeit", formuliert mein Mann den Satz so, dass er mehr nach einer Frage, als Aussage, klingt. "Richtig", nickt die Tattoowiererin eifrig, "aber jetzt noch einmal ganz offiziell. Ich bin Livia."

Lächelnd reiche ich ihr meine Hand. Sie scheint eine eher ausgeflippte Person zu sein. Doch wenn mir Shawn ab und zu von seinen Begegnungen mit ihr erzählte, klang sie wirklich liebenswert. "Freut mich dich kennenzulernen", räuspere ich mich. Die bevorstehende Aktion rückt alles in ein unbehagliches Licht.

"Ihr habt es euch gründlich überlegt?", versichert sich Livia, während sie bereits das neue Motiv auf das linke Handgelenk meines Mannes überträgt. "Shawn, du weißt", setzt sie an. "Tattoos sind permanent", lacht der Braunhaarige nickend. Ich bin mir sicher, dass er dieses Gespräch vor jedem seiner Tattoos führen musste.

"Gefällt es dir so?", deutet die Tattoowiererin auf die lila Linie. Nachdem Shawn kurz zu mir gesehen hat, stimmt er ihr nickend zu. "Dann geht es jetzt los", schaltet Livia die Tattoowiermaschine an. Sofort erklingt ein stetiges Surren, das meinen Armen Gänsehaut beschert. Schluckend beobachte ich die Zwei dabei, wie sie Beide hochkonzentriert auf die dünne Haut am Handgelenk starren. 

Es dauert keine viertel Stunde bis das Tattoo fertig gestellt ist. "Ich klebe die Wunde jetzt noch ab und dann bist du dran", wendet sich Livia an mich. Mit einem Lächeln, das mehr aufgesetzt als echt ist, schiebe ich den Ärmel meines Pullovers nach oben. Ich habe das Gefühl, dass die Ader am rechten Handgelenk viel zu stark pulsiert.

"Es war deine Idee", schmunzelt Shawn, nachdem er sich vor mich gekniet hat. Mit einem sanften Blick sieht er mich von unten hinauf an. "Ich weiß und ich wäre ein Arschloch, wenn ich dich nun alleine damit lassen würde", deute ich auf die Frischhaltefolie an seinem Handgelenk. "Das wärst du", lacht der Junge laut los, bevor er mir einen kurzen Kuss auf den Mund gibt.

Während die Asiatin das Muster von Shawns Handgelenk auf meinem fortführt, muss sie immer wieder kleine Pausen einlegen. Eigentlich dachte ich, dass ich relativ hart im Nehmen bin. Doch die Nadel, die ständig durch meine Haut sticht, schmerzt ziemlich stark. Die Tatsache, dass mich mein Mann lediglich auslacht, wenn ich mein Gesicht schmerzhaft verziehe, macht die Angelegenheit nicht besser.

Tief durchatmend sehe ich auf die frische Wunde hinab. Schwarze Tinte bildet nun eine feine Zickzack-Linie auf meinem Handgelenk. "Ich habe es geschafft", grinse ich Shawn und Livia breit an. Daraufhin lachen die Beiden leise. "Wir haben unser erstes gemeinsames Tattoo", wackelt der Braunhaarige mit seinen Augenbrauen, bevor er seine Hand mit meiner verschränkt.

"Das Erste und Letzte", behaupte ich schmollend. Vorsichtig streiche ich über die Frischhaltefolie, die unsere Handgelenke, die nun aneinander ruhen, umfasst. "Wir werden sehen", zwinkert mir Shawn zu. Dann dreht er unsere Arme so, dass man den Übergang von dem Tattoo auf seinem Handgelenk zu meinem betrachten kann. Die lange Linie ergibt so die Niederschrift einer Tonaufnahme. Den ruhigen Herzschlag unseres Sohnes.

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So, nachfolgend versuche ich euch schon einmal dafür zu sensibilisieren, dass nur noch fünf Kapitel folgen werden. Damit ihr in ein paar Wochen, wenn ich die Danksagung hochlade, nicht vollkommen erschrocken seid😉🙈

Meant To Be \\ Shawn MendesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt