Kapitel 97.3

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Jetzt waren wir tatsächlich wieder zu dritt. Audra, Liam und ich. Es fehlte bloß Aldric. Aber nicht nur, dass er nicht mehr da war, war merkwürdig. Die anderen beiden schienen das ebenso zu sehen. Wie bestellt und nicht abgeholt standen wir nach wie vor vor dem Cottage.

Wie hatte das alles so schnell geschehen können? Gerade erst hatten wir alle zusammengefunden. Noch immer schien es so unwirklich.

»Kommt.«, murmelte schließlich Liam und war der Erste, der wieder im Inneren des Gebäudes verschwand. Seufzend tat Audra es ihm gleich. Ich dagegen stand ein bisschen unbeholfen vor der Tür. Irgendetwas in mir sträubte sich, wieder hineinzugehen. Aber dann fiel mir wieder ein, dass Kieran noch da war. Er war nicht fort. Vermutlich würde er so schnell auch nicht gehen, es sei denn, er hätte einen triftigen Grund.

Also riss ich mich von Ort und Stelle los, um den anderen wieder in das Cottage zu folgen. Innen war es seltsam still. Beinahe schien es verlassen. Kaum zu glauben, dass das Häuschen bis vor Kurzem noch aus allen Nähten zu platzen schien.

»Ich hoffe echt, dass sie es schaffen.«, sagte Liam, als wir alle im Wohnzimmer auf dem Sofa saßen, nachdem wir uns alle erst einmal eine Weile angeschwiegen hatten.

»Ja.«, stimmte Audra zu. »Sie sollten nicht hier leben müssen. Und die beiden Kinder haben besseres verdient, als hier aufzuwachsen.« Ohne große Worte stimmten wir alle zu. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Wenn ich gekonnt hätte, wäre ich dann auch nach Spanien gegangen? Für den Hauch eines Moments stellte ich mir vor, wie mein Leben hätte aussehen können. Sorglos, beinahe normal. Oder?

Ich hätte zur Schule gehen können. Hätte Freunde kennenlernen dürfen. Ohne mir Sorgen machen zu müssen, hätte ich im Schatten der Palmen am Strand sitzen und das in der Sonne funkelnde Meer beobachten können. Vielleicht hätte ich mit Liam, Audra und Aldric ein Kino besuchen können. Auf einmal packte mich die tiefe Trauer und eine wehmütige Sehnsucht ergriff mich. Zogen Traum und Realität übereinander, ließen sie vermischen, sodass ihre Farben nur so wirbelten. Bunte, leuchtende Farben, gepaart mit Grau. Aldrics Lachen hallte in meinen Erinnerungen. Wie ich sein Lachen vermisste und die sanften Lachfältchen an seinen Augen. Und seine Sorge um Liam und mich. Nach wie vor erschien es mir unvorstellbar, dass wir ihn nie wieder sehen würden. Selbst jetzt noch, nach all dem, was geschehen war, war mir, als könnte er jederzeit durch die Tür herein kommen. Aber dem war nicht so. Es war bloß mein Gehirn, das einfach nicht begreifen wollte. Sich immer noch weigerte, um ihn, der mir wie ein Vater war, zu trauern. »Er ist nicht tot!«, rief es voller Verzweiflung und kränklicher Hoffnung.

Und plötzlich konnte ich die Tränen nicht mehr aufhalten. Gnadenlos rangen sie meinen Widerstand nieder, flossen ungehalten in die Freiheit. Eisig kalt und doch nicht zu Eis erstarrt benetzten sie meine Wangen.

»Freya!«, rief Audra erschrocken auf. »Was hast du?« Sofort war sie bei mir. Und auch Liam setzte sich sofort neben mich, um mich besorgt zu mustern. Seine warme Hand legte sich auf meine Schulter.

»Wir hätten auch gehen sollen.«, brachte ich mit zittriger Stimme hervor. »Wir hätten gehen sollen, als wir es noch gekonnt hätten!« Wenn wir doch nur schon vorher von Bill und seinesgleichen gewusst hätten. Oder wenn wir uns diesbezüglich wenigstens informiert hätten. Bestimmt wären wir auf Leute wie Bill gestoßen. Hätten wir es doch nur jemals in Betracht gezogen, England zu verlassen und unser Glück woanders zu versuchen. In einem Land wie Spanien. Vielleicht wäre Aldric noch am Leben. Vielleicht wären wir noch eine Familie gewesen.

Langsam verstand auch Audra, worauf ich hinauswollte. Schlagartig füllten sich ihre Augen mit Tränen. Ein ersticktes Schluchzen kam ihr über die Lippen, als sie mich wortlos in ihre Arme zog. »Ach, Freya.«, hauchte sie. »Woher hätten wir das denn wissen sollen?« Ja, woher? Unser Leben war gut gewesen. So gut, wie es für Mutanten möglich war. Niemals hatten wir geglaubt, dass irgendwer uns die Regierungsagenten auf den Hals hetzen würde. Jedenfalls erschien uns das eine Möglichkeit aus weiter Ferne gewesen zu sein. Wie sehr wir uns doch geirrt hatten. Hätten wir früher gehandelt. Wären wir doch nur mutiger gewesen, in der Fremde einen Neuanfang zu wagen.

Freya Winter - MutantKde žijí příběhy. Začni objevovat