Kapitel 78

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Mit einem einzelnen Ruck schob Doktor Clausen die Liege, an der ich festgeschnallt war, in die Röhre. Meine Befreiungsversuche wurden immer aggressiver. Ich wollte in keiner Röhre stecken! Nicht schon wieder! Plötzlich, kaum war die Liege sicher in der Röhre angelangt, begann die Röhre innen zu leuchten. Sie tauchte mich in gleißendes, weißes Licht, sodass ich reflexartig meine Augen zukneifen musste.

Die Fesseln drückten in mein Fleisch. Ein unangenehmer Geruch machte sich breit und ich hatte das Gefühl, als würde ich mit irgendeiner Flüssigkeit voll gesprüht werden. Diese gab mir das Gefühl, zu gefrieren. Schon seit einer sehr langen Zeit, hatte ich keine beißende Kälte mehr gespürt. Zumindest keine, die mir etwas ausgemacht hätte. Sofort presste ich meine Zähne zusammen und unterdrückteein Zittern.

Das Piepen eines Geräts erklang von außerhalb. Ich hörte, wie der Doktor draußen an irgendetwas herum tippte. Vermutlich am Monitor.

Die Kälte war eisig. Und sie gelangte bis in jede Ecke meines Körpers. Es war mehr wie tausende Messerstiche, als dass mir einfach kalt war. Es war merkwürdig, dass mir die Kälte plötzlich wieder etwas ausmachte. Normalerweise empfand ich sie als angenehm. Doch nicht jetzt. Was auch immer das hier alles zu bedeuten hatte, ich hoffte nicht, dass ich jetzt für immer wieder so empfindlich Kälte gegenüber war, wie damals als Mensch. Wenn das so bleiben würde, würde mir meine eigene Kälte etwas ausmachen? Könnte ich meine eisigen Fähigkeiten noch einsetzen, ohne mir selbst damit zu schaden?

Am liebsten wollte ich schreien. Doch mehr als eine Sache verbot mit das. Zum einen der Maulkorb. Zum anderen auch mein Stolz. Clausen würde nicht gewinnen. Das würde ich nicht zulassen. Niemals. Er würde für all das bezahlen. Er würde mich nicht kleinkriegen.

Das Kratzen eines Stiftes auf Papier verriet mir, dass Clausen sich etwas notierte. Was auch immer diese Röhre hier brachte, ihm schien es wohl weiterzuhelfen. Was auch immer ihm das hier zu sagen schien. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie er hierdurch an irgendwelche Erkenntnisse gelangen wollte, die ihm weiterhelfen konnten. Zumal ich noch nicht einmal sicher sagen konnte, ob er wirklich nur die Rückmutation der Mutanten in gewöhnliche Menschen im Sinn hatte. Ehrlich gesagt konnte ich mir das kaum vorstellen. Irgendetwas war faul. Wieso sah Lucius das nicht? Als Jäger müsste er es doch gewohnt sein, misstrauisch und aufmerksam zu sein. Machte seine Sehnsucht ihn etwa so blind? Wenn dem so wäre, konnte er kaum ein wirklich guter Jäger sein. Denn diese durften niemandem blind vertrauen. Niemals.

Das durchgehend weiße Licht blendete mich und bereitete mir Kopfschmerzen. Meine Befreiungsversuche wurden immer halbherziger. Irgendwann lag ich nur noch bewegungslos auf der Liege, während mein Körper sich wie erstarrt anfühlte. Nicht einmal mehr meine Augen konnte ich noch zukneifen. Wie eine Puppe lag ich in der Röhre. Bewegungslos. Leblos.

Selbst als meine Liege wieder aus der Röhre herausgezogen wurde, war ich unfähig, mich zu bewegen. Über meinem Gesicht tauchte das breite Grinsen des Doktors auf. „War das so schwer?", fragte er mich. Seine Stimme triefte vor mit Zucker bestreutem Schleim. Ich wünschte, ich könnte meinen Maulkorb abnehmen und ihn am Gesicht des Doktors befestigen. „Du siehst, dass alles viel einfacher gehen würde, würdest du kooperieren.", sagte Clausen. „Dann würdest du auch nicht mehr in der Zelle bleiben müssen. Ich will dir nur helfen, Freya." Er konnte das so oft sagen, wie er wollte. Trotzdem würde es nicht glaubwürdiger werden. Natürlich wollte Doktor Clausen helfen. Nur nicht mir. Er half mit dieser Sache sich selbst. Wollte ans Ziel kommen. Wie auch immer dieses Ziel aussah.

„Varya", sagte Clausen knapp und deutete auf mich. Varya ging wortlos zu mir, schnallte mich von der Liege und lud mich auf ihre Arme. Und ichkonnte rein gar nichts dagegen tun. Die Röhre hatte mich gelähmt. „Überlege es dir noch einmal.", meinte der Doktor mit seinem schmierigen Lächeln. „Vielleicht bemerkst du, dass du mit mir doch lieber kooperieren möchtest." Seine Worte enthielten eine versteckte Drohung. Auf diese würde ich nicht eingehen. Irgendwann würde ich hier rauskommen. Ganz sicher. Und dann würde Julius Clausen sich wünschen, mir niemals begegnet zu sein. Allein dieserGedanke half mir, das hier durchzustehen. Er brachte mich dazu, das hier auszuhalten. Er ließ mich unbeugsam werden.

Varya legte mich nicht gerade sanft zurück in meine Zelle. Aber immerhin ließ sie mich auch nicht einfach fallen. Sobald wir beide alleine waren – und ich wieder aus meiner Starre erwachen würde – würde ich damit anfangen, sie zu bearbeiten. Auch wenn sie wirkte, als hätte sie keinerlei eigenen Willen, irgendwo in ihr drin musste noch ein Stück von ihr sein. Und diesen Teil von ihr musste ich erreichen. Vielleicht brachte es etwas. Hoffentlich. Denn ohne Varyas Hilfe würde ich nicht hier heraus kommen. Ansonsten blieb mir noch Lucius, der sich jedoch unweigerlich auf Doktor Clausens Seite gestellt hatte. Ich durfte bei Varya nicht versagen. Sonst wäre das mein Ende. Und ich hatte noch nicht vor, von dieser Welt zu verschwinden. Noch nicht. Es gab noch einiges zu tun. Die Mutanten würden sich alle nicht von allein befreien. Irgendwer musste den ersten Schritt tun. Und da es nicht so aussah, als würde einer es wagen, würde ich das wohl oder übel übernehmen müssen. Aber da ich sowieso vorhatte, Ambrosia in Grund und Boden zu stampfen, war das kein Problem. Nur ein weitere Spiegelstrich auf meiner To-do-Liste.

Hinter mir schloss Varya die Zelle. Hoffentlich war es das für heute undClausen und Lucius verschwanden, um die Ergebnisse der Röhre zu entwerten. Dann würden Varya und ich alleine sein. Dann würde nur noch die Frage bleiben, wie lange meine Starre anhalten würde. Wenn sie noch lange andauern würde, hätte ich ein Problem. Denn dann könnte ich nicht mit Varya sprechen, oder erst wieder, wenn die anderen beiden zurück kommen würden.

Zwar könnte ich immer noch versuchen, wie viel meiner Fähigkeiten dieser Kasten absorbieren konnte und hoffen, dass er vor Überlastung den Dienst versagen würde, aber ... Ich wollte meine gesamte Energie nicht auf dieses „Vielleicht, vielleicht auch nicht" setzen. Das würde meine Notfalllösung bleiben. Wobei ich bezweifelte, ob das überhaupt eine Lösung war. Aber ich sollte definitiv nichts unversucht lassen. Ich wusste nur zu gut, wozu Wissenschaftler in Laboren fähig waren. Und je länger ich hier bleiben würde, desto höher war die Chance, dass man mich für widerliche Experimente benutzte. Und am Ende womöglich nichts mehr von mir übrig war. Ich musste hier raus. Auf die eine, oder andere Weise. Jede weitere Minute, jede weitere Stunde und jeder weitere Tag waren ein Risiko.

Ich musste an Varya dran kommen. Ich musste zu ihr durchdringen. Nur wie? Wie sollte ich zu jemanden durchdringen, der scheinbar eine willenlose Hülle war? Zu jemanden, der nicht sprach? Die Gewissheit, was in Varya vorging, war unheimlich wichtig. Außerdem durfte sie mir auch nicht vorgeben zu helfen, und dann alles dem Doktor verraten. Allerdings konnte ich nichts gegen dieses Risiko machen. Ich musste es in Kauf nehmen, dass Varya mich verriet und Doktor Clausen mich dafür womöglich bestrafte. Aber es brachte mir nichts, über das nachzudenken, was sein könnte. Mir blieben sowieso nicht viele Möglichkeiten. Varya war meine Freikarte nach draußen. Sie bestimmte über mein Leben. Ob ihre Entscheidung jedoch in Freiheit oder im Verderben endete, war ungewiss.

Freya Winter - MutantKde žijí příběhy. Začni objevovat