Kapitel 16

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Kapitel 16 - 5 Jahre später

„Freya, es kommen heute die Connors von gegenüber, bringst du bitte den Müll raus? Ach ja und sag auch Liam Bescheid, dass ihr heute oben bleiben müsst!", rief Audra mir hinterher, die mit Kochen im Moment vollkommen überfordert war.

Aldric hüpfte gerade auf einem Bein in die Küche. Er steckte in einem seiner Anzüge und versuchte sich gerade seinen linken Schuh anzuziehen.

„Aldric! Die Krawatte!" Audra flog beinahe auf ihn zu, mit dem Kochlöffel in der Hand und versuchte so Aldrics Krawatte zu binden. Ich konnte dem ganzen nur ein Kopfschütteln entgegenbringen.

Heute würden die Connors kommen, die sehr viel Einfluss hatten und den Profit der Harris', würde alles gut gehen, noch steigern würde.

Ich war nun siebzehn Jahre alt, während Liam bereits neunzehn war. Diese ganze Zeit hatte uns zusammengeschweißt und er war wie ein Bruder für mich, während ich für ihn wie eine Schwester war. Dementsprechend verhielten wir uns. Mal stritten wir und im anderen Moment war es wieder so, als sei nichts gewesen. Hinzu kam, dass er mein bester Freund war. Er stand immer auf meiner Seite, stritt ich mich mal wieder mit Audra oder Aldric. Audra und Aldric waren wie Eltern für mich, trotz des miesen Startes mit Aldric. Dennoch würden sie mir meine eigenen Eltern niemals ersetzen können, egal welche Fehler und Macken meine eigenen Eltern hatten, ebenso wie Liam niemals den Platz meines Zwillingsbruders einnehmen konnte. Dafür war er außerdem ein zu guter bester Freund.

In den Nachrichten hörte man nun immer mehr von Ambrosia, die immer mehr Mutanten töteten. Laut der Nachrichten wollten sie ihre „damaligen Fehler" auslöschen. Leider waren mit diesen Fehlern lebende Personen gemeint, zu denen auch Liam und ich gehörten. Egal wie viel die Regierung gegen Ambrosia versuchte, sie fanden Ambrosia nicht. Auch wenn sie mal den ein oder anderen Anhänger dieser Gruppe fanden, er redete nicht und schwieg wie ein Grab, sagte immer wieder die selben Worte. Sie wollten ihre damaligen Fehler auslöschen. Sie sagten es so, als sei es bloß etwas Unbedeutendes. Dass es hier um Leben ging, war ihnen egal.

Hinzu kam noch das Problem mit den Nachbarländern. Natürlich blieb ihnen die Sache mit uns Mutanten nicht verborgen, immerhin kämpften Mutanten widerwillig im Krieg mit. Manche Länder kämpften dafür, dass man uns unsere Rechte zurückgab, während andere Länder wiederum unseren Tod wollten. So kam es immer wieder zu Konflikten.

„Liam!", rief ich und eilte durch die Villa. Ich fand ihn im großen Wohnzimmer, wo er gerade mit bloßen Händen den Kamin anzündete. Mittlerweile waren es Audra und Aldric gewohnt, dass wir immer mal wieder mit Eis und Feuer nachhalfen. Auch schien es sie nicht mehr so zu verängstigen, wenn ich während eines Wutanfalls bei einem unserer Meinungsverschiedenheiten auf einmal die Haut einer Schlange annahm, meine Augen veränderte oder meine Eckzähne sich verlängerten. Anfangs war es für beide ein ziemlicher Schock gewesen, doch nun gehörte es eher zur Normalität. Nun wunderte es beide, wenn ich mein Aussehen während eines Streites nicht veränderte.

„Ja?" Liam wandte sich von dem Kaminfeuer ab und drehte sich zu mir um.

„Die Connors kommen bald. Wir sollen dann oben sein. Sie dürfen nicht wissen, dass wir da sind.", informierte ich ihn.

Er nickte. Als ich gehen wollte, rief er mir hinterher, ob ich wüsste, wo eigentlich die Plastikblumen abgeblieben waren, da Audra sie unbedingt haben wollte.

„Keine Ahnung, such im Keller." Mit diesen Worten verließ ich den Raum, schnappte mir die Mülltüten, die Aldric mir schon an die Tür gestellt hatte.

Die Clarks hatten seit damals kaum noch ein Wort mit Audra und Aldric gesprochen. Nur das Nötigste wie „Guten Tag" oder „Auf Wiedersehen". Immerhin waren sie höflich genug, um sich nicht von Audra die Firma ruinieren zu lassen. Die Mülltonnen standen vorne an der Straße, neben der Einfahrt. Mit den Mülltüten ging ich dorthin und mit Hilfe meiner Fähigkeiten, erschien wie aus dem Nichts ein eiskalter Wind, der den Deckel der Mülltonnen auf wehte. Ich warf die Tüten in die dementsprechenden Tonnen und der kalte Wind ließ die Mülltonnen wieder zuklappen.

Doch plötzlich blieb ich wie angewurzelt stehen, spannte jeden meiner Muskeln an und lauschte. Das war wohl die Raubtierseite von mir. Ich bemerkte, wenn sich Gefahr oder irgendetwas anderes näherte. In diesem Fall spürte ich, dass ich von etwas beobachtet wurde. Meine Sinne verschärften sich sofort um ein Vielfaches und ich lauschte. Es war merkwürdig ruhig und ich spürte eine leise Bedrohung. Aufmerksam drehte ich mich im mich selbst, um diese Bedrohung zu entdecken, doch umso frustrierender war ich, als ich nichts Außergewöhnliches bemerkte. Misstrauisch trat ich einen Schritt zurück und zog mich in das Haus zurück.

„Hey, Frey, ist etwas? Du wirkst so aufgewühlt.", wurde ich sogleich von Liam angesprochen.

Ich blickte aus dem Fenster. „Da draußen ist etwas. Und ehe du fragst, ja ich bin mir sicher, dass ich es mir nicht eingebildet habe. Ich wurde beobachtet."

Sofort verwandelte sich Liams besorgte Miene in eine lauernde. Es war, als wäre er wie ausgewechselt. Das war oft so, bei uns beiden. „Wir sollten aufpassen. Es könnte Ambrosia sein, die uns gefunden haben."

„Das weiß ich auch, Liam. Außerdem können wir uns gut verteidigen. Wir sind nicht hilflos.", knurrte ich und klang dabei wie immer wenn ich das tat wie eine Raubkatze. Manchmal fand Liam das ziemlich lustig, doch manchmal konnte es wirklich ernst werden, wenn ich das tat. Jedoch zeigte es dieses mal nur, wie ernst ich es meinte.

Da Liam damals durch das Experiment etwas von einem Schakal und einem Löwen hatte, war er ein ziemlich guter und aufmerksamer Jäger. Hinzu kam sein gutes Gehör, seine Schnelligkeit und seine schnellen Reaktionen. Beinahe alles genau wie bei mir und meiner Raubkatzenseite. Dadurch hatten wir auch deren Eleganz bekommen, die Audra manchmal ziemlich beeindruckte und klagte, dass ihre Models, die ihre Mode vorführten niemals so elegant und geschmeidig rüber kommen würden wie wir.

Doch im Gegensatz zu Liam hatte ich auch noch eine Schlangenseite, die eigentlich ein ziemlicher Kontrast zu meiner anderen Seite war. Somit konnte er auch niemanden tödlich vergiften, würde er jemanden beißen.

Einmal hatte ich Aldric angeboten, ihm etwas von meinem Gift zu geben, das er dann einem seiner sogenannten Kollegen ins Essen mischen könnte, da dieser ihn damals so ziemlich jeden Nerv geraubt hatte. Leider hatte Aldric dankend abgelehnt.

Liam wie auch ich spitzten unsere Ohren. „Ein Auto kommt."

Ich nickte. „Sie sind da. Wir sollten hoch gehen." Wir beide verzogen uns in unsere Zimmer unter dem Dach.

Es war bekannt, dass Audra und Aldric Harris zwei Mutanten bei sich leben hatten, die jedoch kaum jemand zu Gesicht bekam, es sei denn, die brachten mal den Müll hinaus oder entfernten Unkraut von der Einfahrt.

Natürlich übernahmen wir ein paar Aufgaben im Haushalt. Mit Hilfe unserer Fähigkeiten waren wir damit auch ziemlich schnell fertig, wie zum Beispiel, wenn wir die Einfahrt von Unkraut befreiten. Außerdem würde es Aufsehen erregen, würden wir nichts tun. Dann würde nämlich entschieden werden, dass die Harris' zu gut zu uns waren und wir würden an die Front geschickt werden.

Deshalb hörte man Audra und Aldric manchmal Befehle schreien, einfach nur als Alibi. Ich war ihnen dankbar. Sie ermöglichten uns ein ruhiges, beinahe normales Leben, obwohl es eigentlich noch eine ziemliche Entfernung zu dem war, was mein ein normales Leben nannte. Es würde sich wohl auch nie ändern.

Das Problem würde nur sein, wenn Aldric und Audra eines Tages sterben würden. Ich wusste nicht, wie lange Liam und ich durch unsere Mutation lebten. Vielleicht länger als normale Menschen, vielleicht auch weniger. Doch sollten Aldric und Audra eines Tages nicht mehr da sein, würden wir an die Front geschickt werden, sollte es denn dann noch Kriege geben oder wir würden anderen Leuten zugeteilt werden, die uns höchstwahrscheinlich wie den letzten Abschaum behandeln würden. Es sei denn, Ambrosia hätte uns bis dahin getötet, was ich nicht hoffte.

Eigentlich wäre es doch so einfach. Es müssten sich nur alle Mutanten gegen die Regierung erheben. Wir waren mächtig genug. Und somit könnten wir unsere eigenen Rechte fordern. Doch es würde immer Leute geben, die aus der Reihe tanzten und ihr eigenes Ding durchzogen. Und wenn wir Pech hatten, würden sich dann alle Menschen zusammen gegen uns verbünden und es würde in einem Blutbad enden.

Die Frage war nur, was wäre, wenn ... ?

Freya Winter - MutantWo Geschichten leben. Entdecke jetzt