Kapitel 19

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Kapitel 19

Die Frage war nun, was sollte ich tun? Ja, ich war stark genug um ihr jeglichen Schaden zuzufügen, der mir durch den Kopf ging, doch sollte sie nur den kleinsten Kratzer davon tragen, würde ich mit dem Tod bestraft werden. Und das wollte ich unter allen Umständen vermeiden. Ich konnte es mir nicht leisten, dass man auf mich aufmerksam wurde.

Ich entdeckte Liam, der oben am Fenster erschien. Er starrte Brenda und mich an, schien den Ernst der Lage zu begreifen. Sofort verschwand er vom Fenster.

„Tja. Was willst du nun tun?" Ihre Stimme triefte nur so von gefälschtem Mitleid. Außerdem verriet ihr Grinsen sie. „Weißt du, ihr Mutanten seid nur der Abfall eines schief gelaufenen Experiments. Und wie aller Abfall, muss er vernichtet werden." Sie lächelte mich zuckersüß an. Plötzlich kam mir ein Gedanke auf. Wusste sie überhaupt, dass wir genau wie sie einmal Menschen gewesen waren? Ach, was dachte ich da! Natürlich wusste sie das! Menschen wollten das nur gerne übersehen!

Die Wut keimte nicht zum ersten mal in mir auf.

Brendas Gesicht näherte sich dem Meinen. Ihre Augen funkelten gehässig.

„Aber das weißt du doch selbst, oder? Das muss ich dir nicht erst sagen, habe ich recht? Du weißt bereits, dass du ein misslungenes Experiment bist, das vernichtet werden muss." Ihr menschlicher Atem streifte warm mein Gesicht. Dennoch war ihr Atem nicht so warm wie der von Liam. Sie lachte leise und ich bemerkte, wie etwas kühles sich an meinen Hals legte. Es war das kalte Metall eines Messers. Dennoch war das kalte Metall nichts im Vergleich zu der Kälte meines Körpers.

„Angst?", säuselte sie, während sie das Messer fester an meinen Hals drückte. Von ihr unbemerkt, wurde meine Haut härter, wie damals bei dem Vorfall mit Aldric.

„Niemals.", zischte ich und bemerkte, wie sich meine Augen veränderten. Brenda zuckte kurz unwillkürlich zurück.

„Na dann.", lächelte sie dann wieder gefasst. „Dann war's das wohl für dich." Sie wollte mir mit Hilfe ihres Messers die Kehle, doch egal wie sehr sie drückte, das Messer gelangte keinen Millimeter in meine Haut.

„Was zur ...?", fluchte Brenda leise, nahm das Messer von meiner Kehle und wollte es mir in die Brust stoßen, doch auch dort kam das Messer nicht unter meine Haut. Ihre Augen weiteten sich nun langsam panisch.

Beinahe zur selben Zeit kam Liam in einem von Aldrics teuren Mänteln, seinen Schuhen und seiner Sonnenbrille, die Liams rote Augen verdeckten aus dem Haus. Da seine Haut im Vergleich zu meiner nicht so weiß wie Schnee war, fiel so nicht wirklich auf, dass er kein Mensch war. Seine Hände hatte er in Aldrics Manteltaschen vergraben, die teure Sonnenbrille thronte auf seiner Nase und er wirkte, als sei er der Hausherr persönlich. Was Kleidung alles ausmachen konnte. Klar, er kleidete sich auch sonst nie schlecht, aber wir trugen normale Klamotten und nicht diese Überteuerten. Außerdem würde es auffallen, würden wir uns zu teuer kleiden.

„Was tun Sie da mit meinem Eigentum?", erklang Liams Stimme gebieterisch. Brenda zuckte unter seinem herrischen Auftreten zurück. Sie hatte sichtlich Angst vor Liam. Aber kein Wunder, er konnte manchmal wirklich bedrohlich wirken. Da bekam anscheinend sogar jemand von Ambrosia Angst.

„Verdammt!", hörte ich sie leise fluchen, ehe sie sich umdrehte und davon rannte. Wir beide sahen ihr hinterher, wie sie irgendwann abbog und der Wald sie verschluckte.

Liam sah zu mir herunter. „Alles gut?"

Ich sah noch immer in die Richtung, in der Brenda verschwunden war. „Ja. Alles gut." Die Sonne schien stärker. Es war unangenehm.

Auf einmal packten Liams Hände mein Gesicht und er sah mich ganz genau an. „Wirklich alles gut bei dir?", fragte er eindringlich.

Genervt sah ich ihn an. „Ja, verdammt!"

Ein Grinsen schlich sich auf Liams Gesicht. „Komm her!" Er presste mich an sich. Etwas überrumpelt schloss ich ebenfalls meine Arme um ihn. Vielleicht war das jetzt doch nötig gewesen. Nach einiger Zeit ließ er mich schließlich los und wir gingen wieder hinein in das Haus. Liam legte Aldrics Kleidungsstücke ab.

Im großen Wohnzimmer ließen wir uns auf dem Sofa nieder.

„Ich dachte immer, wenn Ambrosia kommt, sei das kein Problem, da ich sowieso stärker bin als sie, doch ..." Ich verstummte.

Liam nickte schweigend. „Ich verstehe das Problem.", stimmte er mir schließlich zu. „Wir dürfen sie nicht angreifen."

Ich nickte. „Ganz genau. Denn das würde Ambrosia, oder irgendwer sonst erfahren und dann-"

„-dann werden wir hingerichtet.", vollendete Liam meinen Satz.

Erneut nickte ich. „Richtig." Wie könnten wir uns wehren, ohne einen Menschen auch nur anzugreifen. Es reichte nämlich schon aus nur auf einen von ihnen loszugehen.

Wir verfielen in ein Schweigen, da jeder nun seinen eigenen Gedanken nachging. Nie hatten wir wirklich darüber nachgedacht. Immer waren wir davon ausgegangen, dass wir Ambrosia einfach bekämpfen würden, würden sie kommen. Aber so? Was sollten wir tun? Ächzend massierte ich meine Stirn. So wie es momentan aussah, waren wir geliefert. Und das gefiel mir nicht. Ganz und gar nicht.

„Wir müssen Aldric und Audra davon erzählen.", brach Liam die Stille.

„Ja, müssen wir wohl.", stimmte ich zu.

„Das wird ihnen überhaupt nicht gefallen." Liam fing auch an, seine Stirn zu massieren.

„Das hatte ich auch nicht erwartet.", meinte ich trocken. Liam stimmte mir mit einem Nicken zu. Wir blickten beide aus dem Fenster, als würden wir erwarten, dass Brenda jetzt sogleich wieder auf der Straße stand und das Haus beobachtete. Obwohl, so unmöglich war das überhaupt nicht. Sie konnte jeder Zeit in unmittelbarer Nähe sein. Sie würde nicht weit weg sein. Sie würde wieder kommen. Da war ich mir vollkommen sicher. Vielleicht würde sie Verstärkung holen. Und Liam und ich hatten noch keine Idee, was wir gegen Ambrosia unternehmen sollten. Wir waren vollkommen planlos. Wir waren bereit und doch waren wir es nicht.

„Ich schätze, sie war es, die du letztens bemerkt hast, als du sagtest, jemand würde dich beobachten.", bemerkte Liam. Sein Blick lag genau wie meiner in weiter Ferne.

Ich stützte mich auf das Kissen neben mir. „Ja, das war wohl sie." Mein Blick wanderte zu Liam. „Wir sollten aufpassen."

„Das sollten wir."

Freya Winter - MutantWo Geschichten leben. Entdecke jetzt