Kapitel 62

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Kapitel 62

Ich musste an die Schlüssel kommen. Dafür musste ich aber erst herausfinden wer von den Jägern die Schlüssel hatte. Lucius hatte die Kette gehabt. Aber gefesselt hatte und Mikéle. Doch auch einer der anderen konnte die Schlüssel haben. Moment mal. Ich brauchte keine Schlüssel. Das eigentliche Problem war, dass es kein wirkliches Schloss gab. Sonst hätte ich einfach mit meinem Eis einen Schlüssel formen können. Das Schloss öffnete sich erst, wenn man einen Code eingeben würde. Also brauchte ich den Code. Das Problem bei Codes war, dass sie manchmal bloß als Erinnerung existierten und nicht auf einem Stück Papier. Und um an diese Erinnerung an den Code zu kommen müsste ich mit den Jägern sprechen. Mit jedem Einzelnen. Keine guten Aussichten. Außerdem konnte ich das auch nicht unauffällig machen, da ich Liam und Kieran hinter mir her ziehen müsste und das total auffällig sein würde. Frustriert sank ich in mich zusammen, was die fragenden Blicke von Liam und Kieran auf mich zog. „Alles okay?", fragte Kieran.

„Wir bekommen die Ketten nicht los.", kam ich direkt zum Punkt. „Wir brauchen einen Code. Den Schlüssel könnte ich zwar ganz einfach selber herstellen, aber an den Code kommen wir nicht." So langsam schienen die beiden auch zu verstehen, weshalb nicht. „Wir sind geliefert!", stöhnte Kieran und er lehnte seinen Kopf an die Wand hinter uns. Liam ballte seine Hände zu Fäusten. „Nein! Sind wir nicht! Irgendetwas müssen wir doch tun können!" Frustriert sah er mich an, als erwartete er, dass ich einen Plan hätte. Aber das hatte ich nicht. Das schien auch Liam nun zu verstehen. Verbissen starrte er auf die Fesseln. Seine Muskeln spannten sich an und mit aller Kraft versuchte er diese zu zerbrechen. „Liam, lass es.", sagte ich seufzend. „Das bringt doch nichts."

Liam sah mich nicht einmal an. „Das weißt du nicht!", knurrte er. „Lass es mich einfach versuchen!" Liam zerrte, riss und zog. Doch die metallenen Fesseln hielten Stand. Sie bestanden aus irgendeinem Metall, dem unsere manipulierte Stärke nichts ausmachte.

„Hey, hör auf damit!", rief Kieran. „Du siehst doch, dass das nichts bringt!" Er versuchte Liam dazu zu bringen aufzuhören. Allerdings hörte Liam nicht auf ihn. So zog er nur die Aufmerksamkeit der Jäger auf sich. Diese sahen ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Liam!", zischte ich. „Hör auf! Die gucken schon!" Wenn die uns jetzt noch mehr fesselten ... Das konnten wir überhaupt nicht gebrauchen. „Das ist mir egal!", fauchte Liam und warf mir einen bösen Blick zu. Er hatte mehr als nur genug von diesen Fesseln. Kieran und ich waren aufgesprungen und versuchen auf Liam einzureden. Dieser ignorierte uns konzentriert. „Liam, sei vernünftig!", zischte ich und spürte wie ich langsam wütend wurde. Ich bemerkte die Schuppen, die langsam meine Haut überzogen. Wenn Liam nicht sofort aufhörte würden die Jäger sicher damit aufhören uns noch so mild zu behandeln. „Freya, sie kommen auf uns zu.", flüsterte Kieran mir mit einem Blick auf meine Schuppen zu. Schnell versuchte ich wieder ruhiger zu werden, um mein schuppiges Problem unter Kontrolle zu bekommen. Es gelang mir noch bevor sie uns erreichten. Ruckartig drehten Kieran und ich uns um als wir die Jäger hinter uns bemerkten. Es waren Lucius, James und Mikéle, die uns jetzt skeptisch ansahen. James' Blick fiel auf den düsteren Liam, der böse auf seine Fesseln hinab starrte. „Ist es wirklich noch nötig sie zu fesseln?", fragte James Lucius. Lucius warf mir einen kurzen Seitenblick zu, ehe er den Kopf schüttelte. „Nein. Nein, ist es nicht.", sagte er trocken. „Mach sie los." Ich war nicht die einzige, die Lucius irritiert ansah. Liam und Kieran taten es genauso wie ich. Hatte ich mich gerade verhört? Lucius würde uns freiwillig die Fesseln abnehmen lassen? Das konnte nicht sein. Irgendetwas war los. Ich dachte an vorhin, wo die Jäger verhindert hatten, dass wir ihrem Gespräch lauschten. Hatte es etwas damit zu tun? Oder war irgendetwas vorgefallen? Irgendetwas, das ich nicht mitbekommen hatte? Meine Augen verengten sich als ich Lucius ansah. Dieser schien meinen Blick zu bemerken und zu meiner Überraschung erwiderte er ihn. Seit wann erwiderte Lucius meinen Blick? Für gewöhnlich wich er ihm aus. Schnell unterdrückte ich meine Überraschung. Lucius sah mir noch immer in meine Augen. Seine Miene verzog sich nicht um einen Millimeter. Trotzdem hatte er einen anderen Gesichtsausdruck drauf als sonst. Er wirkte nicht mehr so hasserfüllt und hart. Auch diese Kälte war verschwunden. „Wieso machst du das nicht?", widersprach James. Dadurch unterbrach Lucius unseren Blickkontakt und sah irritiert zu James. „Was?", fragte mein Bruder verwirrt. James' Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. „Wieso machst du das nicht?", wiederholte er grinsend. Lucius schienen beinahe die Augen aus dem Kopf zu fallen. Er hatte sich wohl doch nicht verhört. Grinsend ließ James Lucius mit uns allein. Auch Mikéle grinste, klopfte Lucius noch einmal kurz auf die Schulter, ehe er James folgte. Stumm sah Lucius ihnen nach. Doch dann bemerkte er, dass Liam, Kieran und ich ihn anstarrten. Lucius wirkte ein wenig verloren, aber dann holte er noch einmal tief Luft und drehte sich uns zu. Er räusperte sich, ehe er sich vor die Kette hinkniete und nach ihr griff. Er begann mit Liams Schloss. Seine Finger huschten über das Eingabefeld und tippten den Code ein. 37392. Mit einem Klicken kam ein Schloss zum Vorschein. Lucius zog einen kleinen Schlüsselbund aus seiner Hosentasche. Ich erkannte darunter auch den Haustürschlüssel, den ich damals auch besessen hatte und Lucius' Zimmerschlüssel, von dem ich auch einen besessen hatte. Lucius wählte einen kleinen, silbernen Schlüssel aus dem selben Material wie die Kette. Er steckte ihn in das nun freigelegte Schloss und drehte ihn dreimal nach rechts. Mit einem Klicken lösten sich die Fesseln um Liams Handgelenke. Dieser starrte auf seine nun wieder kettenlosen Hände. Langsam drehte er sie und begann sie zu schütteln. Ein erleichtertes Lächeln lag auf Liams Lippen. Lucius widmete sich nun dem Schloss von Kieran. Er wiederholte das, was er bei Liam gemacht hatte und auch Kierans Fesseln lösten sich. Dieser schüttelte erst einmal seine Hände aus. Ich konnte sehen wie Lucius schluckte als er sich mir zu wandte. Er sah mich an, als er das Schloss nahm. Dann senkte er seinen Blick und tippte den Code ein. 37392. Es klickte. Lucius' Hand zitterte als er den Schlüssel in das Schloss steckte und er drehte dreimal nach rechts. Die Fesseln fielen. Lucius sah wieder zu mir während er den Schlüsselbund zurück in seine Hosentasche schob. Seine Augen visierten meine Gesichtszüge an und anschließend meine Augen. Irgendetwas schien ihn zu beschäftigen und er wirkte so als würde er etwas sagen wollen. Doch dann wandte er sich abrupt ab und ging. Was war das denn gewesen? Verwirrt sah ich meinem Bruder hinterher. Es schien so als ... Ja. Wie schien es? Ich konnte es nicht erklären. Es war merkwürdig. Lucius wirkte gar nicht mehr so wie am Anfang.

„Was war das denn?", fragte nun auch Liam, der meinem Bruder skeptisch hinterher sah. „Ich habe keine Ahnung.", sagte ich nachdenklich. Konnte es sein, dass ...? Nein. Oder?

Freya Winter - MutantWo Geschichten leben. Entdecke jetzt