Kapitel 87

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„Ist das wahr?", wollte Siebenundvierzig mit zusammen gezogenen Augenbrauen wissen. Sie sah zwischen Lucius, Elliot und mir hin und her. Auch Samuel sah uns abwartend an. Auf einmal war es still. Die Atmosphäre war deutlich angespannt. Einige der Mutanten schienen sich bereit zu machen, für den Fall, dass sie uns angreifen mussten.

Ich ging gar nicht erst auf Siebenundvierzig ein. Stattdessen lag meine gesamte Aufmerksamkeit auf Elliot. „Ich hätte das gar nicht erst tun müssen, wenn du nicht versucht hättest, meinen Bruder zu töten!", zischte ich ihm zu.

Für einen Moment weiteten sich Elliots Augen. „Dein Bruder?", fragte er und sein Blick huschte zu Lucius. „Aber er ist ein Jäger!" Anklagend zeigte er auf meinen Zwilling. „Ja, das ist er.", stimmte ich ruhig zu und bemerkte, wie alle Mutanten gleichzeitig feindselig zu Lucius sahen. Einige von ihnen knurrten. „Trotzdem ist er noch mein Bruder und auch wenn er ein Jäger ist, kann ich nichts dagegen tun, dass ich ihn nach wie vor mag." Auch, wenn er Fehler gemacht hatte. Zum Teil sogar schwerwiegende Fehler. Er hatte mich hintergangen. Das war noch nicht einmal lange her. Er hatte mich schwer enttäuscht. Er hatte mir seinen Willen aufzwingen wollen, ohne dass ich großartig etwas dagegen unternehmen konnte. Er hatte mich Clausen ausgeliefert, der mir den letzten Rest von Menschlichkeit geraubt hatte. Und dennoch kam ich nicht darum herum, ihn immer noch zu lieben. Auch wenn ich ihn am liebsten immer noch für immer von mir stoßen wollte: Von meiner Familie blieb mir nur Lucius.

Das wurde mir erst jetzt so wirklich klar. Zwar war ich noch lange nicht bereit, Lucius zu verzeihen, doch ich konnte ihn einfach nicht hassen. Er war mein Zwillingsbruder und das würde er immer sein. Mittlerweile war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich ihn einfach zurücklassen konnte, wenn wir Liam, Kieran und die anderen Jäger erreichten. Zu lange hatte ich meiner Familie nachgetrauert. Und letztendlich hatte ich Lucius wiederbekommen. Eine weitere Chance bekam ich vielleicht nicht mehr. Es war vielleicht nicht leicht mit ihm, da wir beide vollkommen andere Leben gelebt hatten, doch er hatte seinen Hass Mutanten gegenüber bereits zurückgelassen. - Wegen mir.

Seine Handlungen waren alles andere als akzeptabel gewesen. Das wusste er und das wusste ich.

Plötzlich packte mich jemand und zog mich ganz fest an sich. „Verdammt, es tut mir so leid!", vernahm ich Lucius' Stimme in meinem Haar. „Ich war so verdammt egoistisch! Es tut mir so leid, Freya!" Seine Verzweiflung und Reue waren deutlich spürbar. Dennoch seufzte ich auf und schob ihn sanft von mir. Lucius sah aus als hätte ich ihn geschlagen.

„So weit sind wir nun auch wieder noch nicht.", sagte ich ruhig und schenkte ihm trotzdem ein kaum merkliches Lächeln. Lucius nickte knapp und wich einen Schritt vor mir zurück. Er würde warten.

Ich wandte mich wieder Elliot zu. Doch dieser schien nicht mehr viel sagen zu wollen. Seine Zähne waren nun wieder normal und er sah uns weniger feindselig an. Vielleicht konnte er es in Ansätzen nachvollziehen, weshalb ich mich damals dazu entschieden hatte, meinen Bruder und die anderen Jäger vor ihm und seinen Mutanten zu schützen.

„Wegen dir konnte ich damals aus meiner Röhre entkommen.", sagte Elliot trocken. „Wir sind quitt." Er zog sich zurück. Dennoch war die Sache noch nicht für alle abgeschlossen. Eine zierliche Mutantin, die vielleicht ein oder zwei Jahre jünger war als ich, sah besorgt aus.

„Das ist ja alles schön und gut.", sagte sie. „Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass hier ein Jäger ist." Zwei der anderen Mutanten stimmten ihr mit einem Nicken zu. Nun schaltete sich auch Samuel ein. „Kannst du für deinen Bruder bürgen, Freya?", wollte er ernst wissen.

„Ja.", sagte ich ohne zu zögern.

Samuel nickte nur. „Gut. Dann hätten wir das geklärt. Ich verlasse mich auf dein Wort, Freya.", sagte er. „Aber sollte dein Bruder auch nur einen von meinen Leuten verletzen, dann wird er mir keine andere Wahl lassen als ihn zu töten. Die Sicherheit meiner Leute steht an erster Stelle."

Freya Winter - MutantWo Geschichten leben. Entdecke jetzt