Kapitel 90.4

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„Den Mutationen wurde bereits jeder Fluchtweg von der Polizei abgesperrt. - Moment ... Was ist das? - Scheinbar hat sich eine Zivilistin den Mutationen genähert." Die Kamera zoomte auf Siebenundvierzig, die ganz gelassen bei uns stand. Es wunderte mich, dass die Reporterin sie erst so spät entdeckt hatte. Plötzlich keuchte die rothaarige Frau erschrocken auf. „Jerry, halte mal die Kamera auf die Frau! Hast du das auch gesehen?" Vermutlich nickte Jerry, der Kameramann, denn kein Ton von ihm war zu vernehmen. „Sind das etwa Stacheln?", rief die Rothaarige entsetzt. „Das ist keine Zivilistin!" Schnell räusperte sie sich und schien sich wiedergefasst zu haben. Ernst blickte sie zurück in die Kamera, wobei sich ihre Augenbrauen zusammenzogen. „Wie sich herausgestellt hat, handelt es sich bei der vermeintlichen Zivilistin ebenfalls um eine Mutation, die den Flüchtigen zur Hilfe geeilt ist und nun die Polizisten angreift.", kommentierte sie das Geschehen unter ihr auf der Brücke. Entsetzt sog die Reporterin die Luft ein, als sie sah, wie sich Siebenundvierzigs Stacheln in den Bauch eines Polizisten bohrte.

Neben mir hörte ich Samuel tief seufzen. „Zwar kann ich nachvollziehen, dass ihr in einer solchen Situation zu Gewalt greifen musstet, aber war es wirklich nötig, zu solch radikalen Maßnahmen zu greifen?", murmelte der schwarzäugige Mutant mehr zu sich als zu uns. Man konnte ihm ansehen, wie wenig er von dem hielt, was ihm gerade in den Nachrichten gezeigt wurde. Im Nachhinein musste auch ich zugeben, dass wir die Situation auch anders hätten lösen können. Wenn wir es wirklich gewollt hätten, hätten wir auch an den Polizisten vorbei kommen können, ohne diese ernsthaft zu verletzen. Missmutig blickte ich zu meinem Bruder, der genauso zerknirscht aussah, wie ich mich fühlte.

Erneut seufzte Samuel. „Euch mache ich gar keinen Vorwurf. Ihr kanntet unsere Regeln nicht. Es kommt vor, dass Mutanten brutaler durchgreifen, wenn sie von Menschen in die Enge getrieben werden. Aber Siebenundvierzig kannte die Regeln. Sie wusste, dass sie diese Situation auch mit weit aus weniger Brutalität hätte überstehen können." Daraufhin versank er wieder in dem Bericht und dachte offenbar intensiv nach. Vielleicht darüber, wie er mit Siebenundvierzig über diesen Vorfall reden sollte. So weit ich es mitbekommen hatte, war es ihm ziemlich wichtig, dass die Menschen nicht schlechter von Mutanten dachten, als unbedingt nötig.

Auch ich wandte mich wieder dem Fernseher zu. Es wurden Aufnahmen von unserem Kampf gegen die Polizisten gezeigt. „Ist das etwa ein Mensch?", fragte die Reporterin sichtlich überrascht, als sie bemerkte, dass mein Bruder mit Messern hantierte und nicht mit irgendwelchen bizarren Kräften oder tierischen Waffen. Sie setzte gerade an, dazu etwas zu sagen, als sich ihre Aufmerksamkeit auf einmal auf mich legte. Schlagartig verstummte sie. Auf den Aufnahmen konnte man meine Gestalt ausmachen, die mit ausgebreiteten Armen auf der Brücke stand, während um sie herum alles weiß wurde.

„Die Themse!", ertönte auf einmal ein Flüstern von hinter der Kamera. Jerry. Sofort blickte die Reporterin hinab und man konnte sie schlucken sehen. Angst spiegelte sich in ihren blauen Augen und jegliche Farbe wich aus ihrem Gesicht.

„Oh, Himmel!", hauchte sie. Ihre Stimme war kaum mehr als zu hören. Etwas Schnelles, Weißes schoss wie ein Blitz durch die Luft. Gerade auf den Helikopter des Fernsehteams zu. Urplötzlich ertönte ein lauter Knall, gefolgt von einem schrillen Schrei. Der Helikopter stand bewegungslos in der Luft. Aufgespießt von einer meiner Eisspeere. Die Reporterin war kreideweiß. Zitternd und mit großen Augen blickte sie zu dem Mann hinter der Kamera. Ihre Lippen spalteten sich, doch kein Wort kam heraus. Auf einmal ging ein Ruck durch die Maschine, woraufhin die Reporterin und einige der anderen Insassen, die ich nicht sehen konnte, erschrocken aufschrien. Doch anders als sie es vermutlich erwartet hatten, stürzten sie nicht ab. Stattdessen bewegte sich der Helikopter langsam in Richtung Boden. Es dauerte nicht allzu lang, da taumelte das Fernsehteam aus der Maschine und ließ sich auf dem Eis der Themse auf die Knie fallen. Bevor die Aufnahme endete, konnte ich noch das verblüffte Gesicht der Reporterin ausmachen, die sogleich nach oben zur Brücke sah. Dann wurde zurück ins Studio geschaltet.

Freya Winter - MutantWo Geschichten leben. Entdecke jetzt