Kapitel 92.2

1.7K 185 6
                                    

Lächelnd löste sich Enya wieder von mir und trat einen Schritt zurück, um Lucius und mich noch einmal anzusehen.

„Solltet ihr jemals Hilfe brauchen, wisst ihr, wo ihr uns finden könnt.", sagte Samuel. „Immerhin müssen wir zusammenhalten." Er schenkte uns ein leichtes Lächeln.

„Danke, dass wir bei euch bleiben konnten.", erwiderte ich.

„Das war selbstverständlich.", entgegnete Samuel. „Wo wären wir, wenn nicht einmal wir Mutanten uns gegenseitig helfen würden?" Ein Grinsen zupfte an seinen Mundwinkeln. Dieses verschwand jedoch, als er sich an Bill wandte. „Sollte ich bemerken, dass du uns doch nur schaden willst, wird dir auch eine Flucht nicht mehr helfen können." Weiter führte er das nicht aus. Seine Drohung war klar genug. Und seine ernste Stimme unterstrich die Bedeutung seiner Worte. Ich konnte Bill schlucken sehen. Es war offensichtlich, dass der große Mutant ihn einschüchterte. Mit Samuel war nicht zu spaßen. So sanftmütig er sein konnte, so gefährlich war er auch.

„Eine Flucht wird nicht nötig sein.", meinte Bill. Allerdings war ihm sein Unwohlsein anzusehen. „Ich kann mich nur wiederholen: Ich bin nicht hier, um euch zu schaden. Und ich hoffe, dass du das auch eines Tages begreifst." Bedrückt lächelte Bill Samuel zu. „Leider kann ich dir dein Misstrauen nicht verübeln." Seufzend wandte ersich an meinen Bruder und mich. „Seid ihr bereit?"

„Bringen wir es hinter uns.", sagte Lucius, woraufhin Bill die Beifahrertür seines kleinen hellblauen Autos öffnete. Kurz hantierte er am Beifahrersitz, der sich dann auf einmal lockerte. Unbeeindruckt schob er den Sitz so weit zu Seite, dass ich den leicht erhöhten Boden des Kofferraums erblickte. Mit ein paar geübten Handgriffen hatte er auch schon einen Teil des Bodens entfernt. Und zum Vorschein kam der Hohlraum, von dem Bill gesprochen hatte. Mein Gesicht verdunkelte sich, als ich erkannte, wie eng es dort war. Aber eigentlich hatte ich es nicht anders erwartet. Dennoch behagte es mir überhaupt nicht, mich in diese dunkle, enge Spalte zu quetschen. Nur blieb mir keine andere Wahl.

»Alles gut?", fragte Lucius mich so leise, dass nur ich ihn hörte. Ihm war mein Unbehagen wohl nicht entgangen.

»Natürlich.", antwortete ich und schritt an ihm vorbei, auf den Wagen zu. Hoffentlich würde die Fahrt nicht allzu lange dauern. Und hoffentlich würden wir nicht entdeckt werden. Sonst hatte ich ein weitaus größeres Problem als dieses enge Versteck.

„Am besten bewegst du dich dort drin so wenig wie möglich. Dann stößt du dich vielleicht nicht so oft.", sagte Bill. „Außerdem befindest du dich recht nahe am Motor. Dementsprechend kann es etwas warm und laut werden." Resigniert nickte ich. Das würde noch etwas werden.

„Sonst noch irgendetwas, das ich beachten sollte?", fragte ich.

Kurz überlegte Bill. „Wenn wir kontrolliert werden, solltest du dich so still wie möglich verhalten. Ich weiß nicht, ob man dich hören könnte. Und ich weiß nicht, wie lange du dort drin ausharren musst. Mittags ist recht viel los und ich kann mir vorstellen, dass es einen dementsprechend langen Stau bei der Kontrolle gibt. Du musst einfach geduldig sein und ruhig bleiben.", informierte er mich. „Aber keine Sorge. Das wird schon alles glatt gehen." Zuversichtlich lächelte er und bedeutete mir mit einer einfachen Geste, einzusteigen.

„Wie warm wird es dort?", wollte mein Bruder wissen. Vermutlich dachte er daran zurück, wie sehr mir die Hitze zu schaffen gemacht hatte, als bei Audra und Aldric das Haus gebrannt hatte und die Jäger uns im Wald fanden.

„Es lässt sich aushalten.", meinte Bill. „Aber wie warm genau es dort ist, kann ich dir nicht sagen." Lucius war mit dieser Antwort sichtlich unzufrieden. Er setzte an, etwas zu sagen, doch ich schüttelte meinen Kopf.

Freya Winter - MutantWhere stories live. Discover now