Kapitel 7

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Eine Weile lang sahen er und ich uns einfach nur an. Obwohl ich jetzt wusste, dass ich mich nicht vor ihm zu fürchten brauchte, konnte ich meinen Blick einfach nicht von seinen rot glühenden Augen lösen. Doch mich beschäftigte noch weitaus wichtigeres.

„Wird es wehtun?" Eine eigentlich unnötige Frage. Was brachte es, es zu wissen? Es würde sowieso nichts daran ändern. Doch für ein Kind von acht Jahren war diese Frage schier lebensnotwendig. Ich hatte Angst. Solch eine unbändige Angst, wie ich sie noch nie zuvor in meinem Leben verspürt hatte. Und der Gedanke an Schmerzen verstärkte sie nur noch.

Liam lächelte gequält. „Das kommt ganz darauf an."

„Und auf was?" Seine Antwort sorgte nicht dafür, mich zu beruhigen.

„Wie stark du bist." Sein intensiver Blick schien mich zu durchbohren, zu röntgen. Doch dann wandte er seinen Blick wieder seufzend von mir ab. „Sie glauben, du bist stark." Er sah einfach weiter die Decke an, ohne auch nur noch einmal zu mir zu sehen. „Sie glauben, du könntest etwas Besonderes werden, nachdem sie mit dir fertig sind." Nun lachte er bitter auf. „Das dachten sie bei mir auch."

Ich runzelte die Stirn. „Ist es denn nicht so?", wollte ich vorsichtig wissen.

Er schüttelte den Kopf. „Nein. Sie sagen zwar, ich sei zu etwas Besonderem geworden, doch in Wahrheit haben sie mich zu einem Monster gemacht." Er wandte seinen Blick wieder zu mir. „Ich bin nur noch ein Monster. Nichts weiter." Ich vernahm die bittere Traurigkeit, die in Liams Stimme mitklang.

„Du bist kein Monster.", sagte ich leise. Dass ich ihn vorher für ein Ungeheuer gehalten hatte, verschwieg ich.

Er schnaubte bloß. „Das weißt du doch gar nicht.", sagte er bitter. Es war nicht zu übersehen, wie sehr er das verabscheute, was sie aus ihm gemacht hatten. Am liebsten würde ich ihn in den Arm nehmen, um ihn zu trösten. So, wie ich es immer mit meinem Bruder gemacht hatte. Doch das ging nicht. Wir waren beide eingesperrt in engen Röhren. Würde ich mich wehren können? Würde ich etwas gegen sie ausrichten können? Ich wusste zwar nicht genau, was Liam mit „Monster" meinte, aber ich wusste, sie würden uns irgendwie verändern. Schlangen DNA. Das hatte einer der Wissenschaftler erwähnt. Mein Sachkundelehrer hatte dieses Wort nur einmal kurz erwähnt. Gene. DNA. Was aber genau das war, wusste ich nicht. Das war etwas für die höheren Schulklassen gewesen.

„Liam?"

„Hm?" Ich hatte ihn wohl aus seinen Gedanken gerissen.

„Wie verändern sie uns?"

Eine Weile blieb er still, sodass ich dachte, er würde mir nicht antworten. „Sie spritzen uns irgendeine Flüssigkeit mit etwas, das sie DNA nennen und diese verändert dich. Dann kommen noch ein paar ihrer Experimente und Tests. Von was habe ich keine Ahnung. Ich kann dir leider auch nicht erklären, was das alles heißt."

Er seufzte und ich sah, wie seine Hand sich an sein Kissen krallte. „Jedenfalls spritzen sie uns verschiedene Flüssigkeiten, auch welche, die sie selbst zusammengemischt haben. Auch kommt bei jedem noch 'eine geheime Zutat' dazu, die uns auch noch verändert und was-weiß-ich noch." Er schloss für einen Moment die Augen, seine Finger ließen sein Kissen los. „Danach beobachten sie dich eine Weile, bis sie meinen, dass du 'fertig' bist. Du kommst in eine Halle, wo sie dich austesten, als wärst du nur eines ihrer neuen Spielzeuge. Und wenn du nicht so funktionierst, wie sie es wollen, entsorgen sie dich. Wie ein kaputtes Spielzeug."

Liam wirkte frustriert. „Das haben sie auch mit 54 gemacht. Ihren Namen hat sie mir nicht gesagt, als wir noch in einem Raum waren. Von ihr haben sie gesagt, sie würde auch etwas 'Besonderes' werden. Sie hofften, sie würde wie ich werden. Ihre Haut wurde unnatürlich heiß und es sah tatsächlich so aus, als würde sie wie ich werden. Doch als sie 54 dann testen wollten, hat 54 nicht funktioniert. 'Sie ist defekt', haben sie gesagt und kurz darauf sah ich, wie ihre Leiche auf einem Rollbett weggebracht wurde. Das haben sie mit mehreren gemacht. So weit ich gehört habe mit 26, 12 und 8. Aber ich glaube, es waren noch viel mehr."

Freya Winter - MutantWhere stories live. Discover now