Kapitel 65

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Kapitel 65

„Was ist los, Frey?", fragte Liam, der mich besorgt ansah. Ich winkte ab. „Nichts.", meinte ich. „Lass uns lieber darüber sprechen wie wir Audra aus dem Gefängnis holen wollen. Wir wissen nämlich nicht einmal in welcher Zelle sie gefangen wird und in welchem Stockwerk." Liams Stirn kräuselte sich nachdenklich. „Daran habe ich überhaupt nicht gedacht.", gab er zu.

„Tolle Aussichten.", sagte Kieran sarkastisch. „Wir spazieren also einfach da rein, klopfen an jeder Zelle und fragen: Hallo? Ist hier drin vielleicht Mrs Harris?" Genervt schüttelte Liam seinen Kopf. „Kannst du vielleicht einmal ruhig sein? Ich denke nach."

„Ach, lenke ich dich etwa ab?", fragte Kieran grinsend, wofür er von mir einen Stoß in die Rippen kassierte. „Wir haben keine Zeit für Späße.", sagte ich. „Wir müssen endlich einen Plan machen, wie wir das anstellen wollen." Plötzlich setzte sich James zu uns. „Ihr werdet jemanden brauchen, der keinen Verdacht weckt.", sagte er. „Ich könnte sagen, dass ich gerne – Wie heißt sie? Audra Harris? - besuchen würde." Liams Gesicht erhellte sich. „Das ist gut! Dann führen sie sie zu dir in den Besucherraum und wir könnten sie dann da heraus holen!", schlussfolgerte er. James nickte. „Genau. So braucht ihr nicht an jede Zelle zu klopfen." Er grinste und Kieran schüttelte seinen Kopf, konnte aber sein Grinsen nicht verbergen. Konnte das funktionieren? Wenn James vorgab Audra besuchen zu wollen? Sie würde in einen separaten Raum geführt werden. Kieran, Liam und ich mussten uns nur dort einschleichen. Doch wir würden Audra direkt vor den Augen der Wärter dabei helfen auszubrechen. So oder so war es ein Risiko. Ein Risiko, das ich eingehen würde. Auf einmal richteten sich James Augen auf irgendetwas geradeaus bei den Büschen. „Ach du Scheiße!", entfuhr es ihm. Sofort lagen die Blicke aller Jäger auf der Stelle, die James anstarrte. Ich hob meinen Kopf und erstarrte.

„Lucius, was soll das?", fragte Brenda mit gerunzelter Stirn. Ja, genau. Was sollte das? Ich konnte ihn nur anstarren. Was hatte er sich denn dabei gedacht? Wie war er überhaupt auf so etwas gekommen? Ich wusste nicht ob ich es gut finden sollte oder nicht. Lucius stand ein wenig einsam vor dem Gebüsch, aus dem er gerade gekommen war und sein Blick suchte verzweifelt den meinen. Ich presste meine Lippen fest aufeinander. Weshalb hatte er das nur gemacht? Das war nicht er. „Ach, deswegen wolltest du also noch irgendwohin.", bemerkte Levi mit hochgezogenen Augenbrauen.

James stand der Mund offen. „Luc, genial!" Ich glaube, James war der einzige der Jäger, der das „genial" fand. Doch während ich meinen Bruder so anstarrte, so wurde mir langsam klar, dass ich mich tatsächlich nicht geirrt hatte. Irgendetwas war geschehen. Irgendetwas, das in Lucius' Kopf endlich klick gemacht hatte.

Lucius' eigentlich tiefschwarzes Haar war weiß. Schneeweiß. Und seine eigentlich grünen Augen waren blau. Die Jäger sahen nun von Lucius zu mir. Und von mir wieder zu Lucius. Hin und her. Auch wenn es nicht zu Lucius passte, so musste ich doch ein kleines Lächeln unterdrückte. Seine Augen visierten verzweifelt meine an. Er hoffte auf irgendeine Reaktion. Wortlos stand ich auf. Nervös folgten Lucius' Augen jeder meiner Bewegungen. Mit zielstrebigen Schritten ging ich auf ihn zu. Er wurde immer nervöser, da ich noch immer nichts gesagt hatte. Ohne einen Ton zu sagen umschlossen meine Finger sein Handgelenk und ich zog ihn hinter mir her. Mir entging nicht, dass Lucius unter meiner Berührung zusammen zuckte und kurz erzitterte. Ich versuchte es zu ignorieren. Stumm ließ mein Bruder sich von mir mitziehen. Schnell erreichten wir den See.

„Setz dich.", sagte ich und kniete mich selber vor das Ufer. Lucius tat was ich ihm sagte. Peinlich berührt mied er meinen Blick. Seine Hände in seinem Schoß waren zu Fäusten geballt. „Ich ... Ich wollte dir doch nur ... -", wollte Lucius die Situation erklären, doch ich legte ihm meine kalte Hand auf dem Mund, was ihn verstummen, aber auch kurz zittern ließ. Sofort zog ich meine Hand zurück. „Ich verstehe.", sagte ich leise. Das tat ich wirklich. Lucius wollte mir durch die gefärbten weißen Haare und die blauen Kontaktlinsen zeigen, dass er zu mir stand. Es machte mich glücklich. Aber Lucius hatte nun einmal keine merkwürdigen Haare und Augen. Das passte nicht. Wenn ich Glück hatte, war Lucius noch immer nicht sehr aufmerksam was Dinge aus dem Supermarkt anging und hatte vielleicht bloß gesehen, dass er durch das Färbemittel weiße Haare bekommen würde und hatte aus Versehen nicht bemerkt, dass die Farbe beim ersten Waschen wieder verschwand.

„Nimm bitte die Kontaktlinsen raus.", bat ich. Lucius war bloß noch ein Häufchen Elend. In sich zusammengesunken saß er neben mir am Seeufer und mied es noch immer mich anzusehen. Dennoch tat er das, um was ich ihn gebeten hatte. Wahrscheinlich dachte er, dass seine Aktion vollkommen nach hinten losgegangen war. Allerdings wusste ich auch nicht wie ich es ihm erklären sollte, weswegen ich wollte, dass er das rückgängig machte. Ich konnte es nicht. Wortlos schob Lucius die blauen Linsen in seine Hosentasche und ich wandte mich dem Wasser zu. „Beuge dich hier rüber.", murmelte ich und als er das tat, fing ich an ihm die weiße Farbe aus dem Haar zu waschen. Ich hatte recht gehabt. Es ließ sich ganz einfach raus waschen. Das Wasser vor uns färbte sich weiß. Doch es würde nicht schädlich sein. Die Farbe würde später von ganz allein selbst verschwinden. Schließlich saß Lucius mit nassen, tropfenden, schwarzen Haaren vor mir. „Wieso ... Wieso gefiel es dir nicht?", stellte Lucius schließlich die Frage, die ihm auf der Zunge brannte. Ich seufzte. „Das warst nicht du, Lucius.", sagte ich. „Du bist nicht mutiert und du solltest froh darüber sein. Außerdem ..." Ich verstummte und sah zu Boden. Außerdem wollte ich etwas sehen, das sich nicht verändert hatte. Ich wollte Lucius als Lucius sehen. Auch, wenn er das für mich gemacht hatte. Hinzu kam, dass ich mein altes Selbst vermisste und Lucius dem am nächsten kam. Er war Lucius und das würde er bleiben. Wahrscheinlich war das egoistisch von mir. Doch ich konnte nicht anders.

Lucius schwieg. Dachte über das nach was ich gesagt hatte. Stumm starrten wir auf das ruhige Wasser. „Ich wollte dir nur zeigen, dass ich nun weiß wer du bist. Und dass es mir leidtut.", murmelte Lucius und brach somit das Schweigen. „Ich weiß.", sagte ich leise. Wieder schwiegen wir. Ich überlegte ob ich ihn umarmen sollte. Doch ich wusste nicht, ob ihm das nicht unangenehm sein würde. Hinzu kam noch meine Kälte. Allerdings nahm Lucius mir die Entscheidung ab. Er schlang seine Arme um mich und presste mich an sich. Stumm umarmte er mich und das, obwohl er wegen meiner Kälte zitterte. Immerhin war er anders als Audra und Aldric nicht daran gewöhnt und selbst die hatten dabei noch ein paar Probleme. Ich wusste nicht ob er das nur tat, um mir etwas zu beweisen, oder weil er es wirklich wollte. Dennoch erwiderte ich langsam seine Umarmung und ich bemerkte, dass Lucius lächelte. „Es tut mir leid.", murmelte er immer und immer wieder. „Es tut mir so leid."

Freya Winter - MutantWhere stories live. Discover now