Kapitel 37

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Kapitel 37

Liam zog sich immer höher und höher. Er schien überhaupt keine Probleme zu haben hinauf zu kommen. Er rutschte nicht einmal an den glatten Stäben des Zaunes ab. Als er ganz oben angekommen war, schwang er sich auf die andere Seite und ließ sich fallen. Elegant kam er am Boden wieder auf. Durch die Stäbe hindurch sah er mich an. „Na los, Frey. Jetzt bist du dran." Er grinste mich an und wartete. Ich seufzte und meine Finger umschlossen das Metall, dass sich in den Händen eines Menschen wohl kühl anfühlen musste. Ohne noch einmal über die möglichen Folgen unseres Einbruchs nachzudenken, stemmte ich mich hoch und es fiel mir nicht einmal schwer, Halt zu Finden. Schnell und flink wie eine Katze kletterte ich hoch und schwang mich auf die andere Seite des Zaunes, als ich oben angekommen war. Ich ließ mich fallen und spürte, wie ich genauso elegant wie Liam neben ihm wieder aufkam.

„Gut.", sagte Liam wandte sich dem Haus zu. „Jetzt kommen wir zum schwierigerem Teil." Ich tat es ihm gleich. Die erste Hürde war überwunden.

„Bereit?", fragte Liam.

„Natürlich.", antwortete ich sarkastisch. Er lachte leise, als er meine Antwort hörte und lief über den Rasen. Er ignorierte den gepflasterten Weg und stand dann vor der Haustür. Fragend drehte er sich zu mir um. „Haustür oder Fenster?", fragte er mich ahnungslos. Ich näherte mich dem Haus und meine Augen suchten es gründlich ab. Vor jedem der Fenster befanden sich geschlossene Rollläden. „Haustür.", sagte ich und schob Liam beiseite. „Lass mich mal machen." Liam trat einen Schritt beiseite und sah mir zu, wie ich mich vor dem Türschloss hin hockte. Ich legte meine Hand auf das Schloss und spürte die Kälte, die sofort noch präsenter wurde, als sie es ohnehin schon war. Die Kälte sammelte sich an einem Punkt in meiner Handfläche und drückte sich in das Schloss, wo sie kurz darauf zu einem festen Gegenstand wurde. Ich zog ihn heraus und richtete mich wieder auf. Liam sah mich anerkennend an. „Ein Schlüssel!", bemerkte er begeistert, während er das Eis in meiner Hand betrachtete. Lächelnd nickte ich. Ich steckte den Schlüssel aus Eis wieder in das Schloss. Er passte wie angegossen. Es würde keine Spuren eines Einbruches geben. Später würde das Eis geschmolzen sein und somit auch das Beweisstück. Ich drehte das Eis im Schloss herum und es ertönte ein leises Klicken. Die Haustür öffnete sich. Ich zog das Eis wieder heraus und ließ es ins Gras fallen. „Nach dir.", sagte ich grinsend und hielt Liam die Tür auf. Auch er grinste, verbeugte sich gespielt vor mir und sagte: „Dankeschön." Ich verdrehte grinsend meine Augen und trat nach ihm ein. Die Tür schloss ich hinter uns. Wir befanden uns in einem großen Flur. Die Wände waren weiß und es gab hier bloß ein kleines Schränkchen. Nirgendwo waren Fotos oder Dekorationen zu sehen. Es war vollkommen unpersönlich. Auch im nächsten Zimmer, das sich als ein Musikzimmer erwies war nirgendwo auch nur der Hauch von persönlichen Dingen zu sehen. Auch hier waren die Wände weiß und es gab nicht einmal einen Teppich. Hier standen nur ein Klavier und eine kleine Orgel. Im Dunkeln sah es ein wenig unheimlich aus. Es wirkte bereits jetzt schon wie ein verlassenes Haus, obwohl die Besitzer hier drin lebten und ihr Haus nicht einmal verließen. Liam runzelte seine Stirn. „Die Severos wirken ja sehr sympathisch ...", murmelte er leise vor sich hin. Wir verließen das Zimmer wieder und Liam öffnete vorsichtig die nächste Tür. Ich hoffte, dass es nicht die Tür des Schlafzimmers unserer Nachbarn war, denn wir hatten überhaupt keine Ahnung, wo sich das befand. Und es wäre ziemlich schlecht, würden wir in ihr Schlafzimmer herein platzen. Langsam öffnete Liam die Tür, die dabei leise quietschte. Ich verzog mein Gesicht und hoffte, dass die Severos einen tiefen Schlaf hatten. Liam gefiel das auch nicht, denn ich konnte sehen, wie er abfällig seine Nase rümpfte. Der nächste Raum entpuppte sich als die Gästetoilette und Liam schloss die Tür wieder, die genau wie zuvor grässlich quietschte.

Wir liefen an der Treppe vorbei. Wenn wir Glück hatten befand sich das Wohnzimmer hier unten und wir müssten nicht hoch laufen. Der letzte Raum auf der rechten Seite des Flures war eine große Küche mit einem großen Fenstern, durch das ich in den Garten sehen konnte. Doch auch der Garten machte mir die Severos nicht sympathischer. Der Garten war eigentlich nur eine große Wiese, auf der sich die ein oder anderen merkwürdigen Skulpturen versammelten. Von Skulpturen von übergroßen Gartenzwergen bis hin zu Skulpturen von Zentauren war alles dabei. Irgendwie kam es mir so vor, als würde ich hinaus auf einen Friedhof schauen und als seien die Skulpturen die Grabsteine. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken und ich wandte meinen Blick ab. Liam starrte genau wie ich zuvor in den Garten und ich konnte sehen, wie unwohl er sich fühlte. „Komm.", sagte ich leise. „Verschwinden wir." Er nickte nur und schluckte. Ich glaubte, dass er so langsam verstand, was auf uns zukommen würde, würden wir erwischt werden. Wir verließen die Küche. Nun blieb nur noch die Tür auf der linken Seite des Flures. Würde sich dahinter nicht das Wohnzimmer befinden, müssten wie das Erdgeschoss verlassen und nach oben gehen. Meine Finger umfassten die Türklinke und ich drückte sie langsam nach unten. Dabei drückte ich die Tür vorsichtig auf. Zu unserem Glück machte sie dieses mal kein einziges Geräusch. Ich erkannte einen großen Raum, der für seine Größe relativ leer war. Links gab es ein Sofa, vor dem ein Tisch stand und links an der Wand gegenüber von dem Sofa stand ein schmales Schränkchen, auf dem ein großer Fernseher zu sehen war. Gegenüber von Liam und mir befand sich eine große Glastür, die hinaus in den Garten führte. Rechts von uns stand ein langer Tisch mit vielen Stühlen. Doch auch hier befand sich nichts Persönliches der Besitzer. Außerdem fragte ich mich, wofür die Severos so einen großen Tisch mit so vielen Stühlen brauchten. Immerhin waren sie die einzigen, die hier lebten. Abgesehen von ihrem Mutanten natürlich, der garantiert nicht mit an diesem Tisch sitzen durfte.

„Irgendwo hier muss sich das Gerät befinden.", flüsterte Liam mir zu. „Und viele Versteckmöglichkeiten gibt es hier nicht." Ich nickte. Die gab es hier wirklich nicht. „Und denk dran.", fügte er noch hinzu. „Es muss irgendetwas Kleines sein."

„Ich weiß.", flüsterte ich zurück und wir trennten uns. Liam lief nach rechts, ich nach links. Ich achtete auf jedes Geräusch. Viele Verstecke gab es hier nicht, aber vielleicht war eine der Bodendielen locker. Außerdem könnte jederzeit Mr oder Mrs Severo aufwachen und hier runter kommen. Ich stand nun vor dem kleinen Schränkchen und öffnete wahllos eine der schmalen Schubladen, doch ich fand nichts, was in irgendeiner Art und Weise ein Gerät von den Jägern sein konnte. Plötzlich bemerkte ich, wie ein Umriss an der Wand auf einmal eine andere Farbe annahm und eine misstrauische, kühle Stimme erklang. „Wer seid ihr und was wollt ihr hier?"

Freya Winter - MutantWhere stories live. Discover now