Kapitel 76

2.7K 293 19
                                    

Verbittert betrachtete ich den metallenen Maulkorb und legte ihn mir widerwillig an. Der Metallverschluss schnappte sofort zu. Kalt und glatt drückte das Metall sich an meine Haut. Wahrscheinlich würde ich, da es so fest saß, später Kopfschmerzen bekommen. Aber eine andere Wahl blieb mir nicht. Sonst würde Lucius leiden. Und das konnte ich nicht zulassen.

„Jetzt die Handschellen.", sagte Clausen. Sein Grinsen war breiter denn je. Die Vorfreude war ihm anzusehen. Er lebte für seinen Job. Doch genauso gut hätte er zu Ambrosia gehören können, anstatt für die Regierung zu arbeiten. Er hatte das selbe irre Funkeln in seinen Augen. In ihm steckte der selbe Wahnsinn. Und das beunruhige mich zutiefst. Das hier war höchstwahrscheinlich eine geheime Abteilung der Regierung, eine geheime Forschungsinstitution. Wer überwachte sie? Wer passte auf, dass hier nicht an etwas Anderem gearbeitet wurde? Von irgendwem musste das hier doch kontrolliert werden. Mir blieb nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass es hier einen Unterschied zu den Ambrosia Experimenten gab. Aber allein an der Tatsache, dass Clausen Folter als Druckmittel benutzte, ließ meine Hoffnungen im Erboden versinken.

Und dann war da noch Varya Melnikova. Irgendwas stimmte mit ihr nicht. Allein dieser emotionslose, leere Blick ließ in mir alle Alarmsirenen aufheulen. Außerdem hatte sie bisher noch nicht gesprochen. Auch die Anweisungen des Doktors führte sie, ohne ein Wort zu sagen, aus. Nichts schien sie zu beeindrucken und nichts stellte sie in Frage. Sie wirkte wie eine Marionette. Wie ein Roboter, der dazu programmiert war, Befehle auszuführen. Sie wirkte wie eine seelenlose Hülle. Ein Werkzeug.

Würde die Regierung so etwas befürworten? Beinahe hätte ich freudlos aufgelacht. Die Regierung war nicht viel besser als Ambrosa. Sie glaubte vielleicht, sie sei besser und hätte eine Moral, aber so war es nicht. Mutanten wurden als Soldaten gewissenlos in den Tod geschickt und als Sklaven wie der letzte Dreck behandelt. Und dafür war die Regierung zuständig. Anstatt uns Mutanten zu akzeptieren und sie wie die Menschen zu behandeln, die wir einmal waren, behandelten sie uns wie niederwertige Kreaturen.

Und somit schürten die Menschen Hass. Auf beiden Seiten. Und ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie ein Krieg zwischen diesen beiden Lebensformen vonstatten gehen würde. Nachdem ich nun auch noch die Handschellen angelegt hatte und meine Spiegelung in dem Glas erblickte, kam ich mir vor wie ein tollwütiges Tier. Vor allem diese Art Maulkorb trug zu diesem Gedanken bei. Und wahrscheinlich sahen mich die Menschen genau so, wie ich mich gerade in meinem Spiegelbild sah.

„Wunderbar." Doktor Clausen lächelte erfreut. „Dann können wir ja loslegen." O ja, das glaubte ich auch. Sobald ich hier rauskam, würde ich seinen schmalen Hals zerdrücken. Auch wenn ich meine Giftzähne vielleicht nicht nutzen konnte und dieses Metall eventuell meine kalten Fähigkeiten absorbierte, hatte ich noch immer meine Stärke und Schnelligkeit zur Verfügung.

Clausen besah sich erneut seine Uhr. Sein Zeigefinger schwebte über einer der Tasten. Doch noch drückte er nicht. Alles in mir war bereit. Sobald er mein Gefängnis öffnen würde ...

„Varya, kommst du bitte?" Noch immer lächelte Clausen breit. Mit ausdrucksloser Miene ging Varya auf Clausen zu. Schweigend sah sie ihn an, wobei sie nicht einmal blinzelte. Irgendwie war sie mir unheimlich.

„Wenn ich die Zelle gleich öffne, achtest du darauf, dass sie ohne Komplikationen auf den Stuhl geschnallt wird.", meinte Clausen. Dabei trug er noch immer sein Lächeln zur Schau. Still bewegte Varya sich zu meiner Zelle, wobei sie sich genau gegenüber von mir hinstellte. Wie sollte Varya mich bitteschön davon abhalten, den Doktor anzugreifen? Das wäre ihr nur möglich, wenn sie ein Mutant wäre. Und ein kräftiger noch dazu. Aber so wie Varya sich benahm, war das gut möglich. Was für Experimenten war sie zum Opfer gefallen? Und weshalb sollte Clausen einen Mutanten als Assistentin einstellen?

Freya Winter - MutantWo Geschichten leben. Entdecke jetzt