Kapitel 55

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Kapitel 55

Die Jäger, wie auch Liam und Kieran starrten das Gebäude an. „Es ist vereist.", stellte James fest. „Wir haben doch Sommer!" Alle Blicke lagen auf dem eisigen Gebäude. „Da hast du ganze Arbeit geleistet, Freya.", bemerkte Kieran bewundernd. Sofort lagen alle Blicke auf mir. „Das warst du?!", keuchte Lucius mit weit aufgerissenen Augen. „Vor fünf Jahren.", bestätigte ich, während ich noch immer auf die Ruine starrte. Wie konnte das möglich sein? Es müsste bereits lange geschmolzen sein! Langsam stiegen die ersten aus und James und Mikéle halfen uns beim Abschnallen. Vorsichtig trat ich auf die Ruine zu, wobei ich Liam und Mikéle wegen unserer Ketten mit mir zog. Kälte ging von dem Gebäude aus. Es wunderte mich, dass sich Pflanzen an dem vereisten Ruinen angesiedelt hatten. Vorsichtig legte ich meine gefesselten Hände auf die vereiste Wand. Überrascht stellte ich fest, dass das Eis tatsächlich noch so fest und kalt war, wie damals. Dabei war es Sommer. Und schon fünf Jahre her. Ich trat einen Schritt zurück und schaute die Wand hinauf. „Wie ist das nur möglich?", flüsterte ich. Liam, der so weit weg wie möglich stand, zuckte mit seinen Schultern. „Keine Ahnung, aber es ist verdammt kalt!"

„Lasst uns rein gehen.", sagte Lucius, der noch ziemlich verstört die vereiste Ruine betrachtete. Wir folgten ihm nach innen. Erinnerungen kamen in mir auf, als ich die Ruine betrat. Es sah alles so verlassen aus. Doch alles war noch gut zu erkennen. Die kaputten Röhren, die Maschinen, die langen Kabel, die zerstörten Monitore.

„Freya, hier!", rief Liam auf einmal aus und deutete aufgeregt auf zwei Röhren. Ich kam auf ihn zu. Schwermütig starrte Liam auf die Röhren. Auf verwitterten Schildern standen Zahlen und Buchstaben. Auf der einen stand „LS45". Auf der daneben „FW93". Ein Klos bildete sich in meinem Hals. Die Wissenschaftler hatten diese Röhre also niemals mehr jemand anderem gegeben. Wie klein sie doch nun schienen. Wie hatten wir jemals dort hinein passen können? Meine Hand bewegte sich von ganz allein auf die Röhre zu und ich legte sie dort auf das leicht zersplitterte Glas. Ich spürte wie ich zitterte und sich eine kalte Träne aus meinem Augenwinkel löste. Schnell wischte ich sie fort, als ich Lucius bemerkte, der nun hinter uns stand, um zu sehen, was wir da anstarrten. Dass er überhaupt so nah an mich heran trat wunderte mich. „FW93.", las Lucius leise vor. „LS45." Seine Augen huschten zu Liam und mir. Schweigend sah er mich an, ehe er sich umdrehte und zu James ging, der eine der Maschinen musterte. Lucius wusste genau wofür FW93 gestanden hatte. Freya Winter 93. Ich wandte mich von der Röhre ab. Die Jäger waren alle damit beschäftigt, die Halle zu erkunden. „Glaubst du, die Mülltonnen sind noch immer draußen?", fragte ich Liam leise. Sofort sah er mitfühlend zu mir. „Ja.", sagte er. Er wusste genau, dass ich an meinen Tod dachte, als ich auf einmal lebend wieder bei den Mülltonne draußen aufgewacht war. Ich sah mich um. Lose Kabel hingen von der Decke und auch hier war wie draußen alles eingefroren. „AH!", hörte ich auf einmal einen Schrei. Sofort rannten Liam und ich los und zogen Kieran hinter uns her. Er hatte keine Wahl, immerhin hing er mit uns zusammen an der Kette. Auch die Jäger hatten sich in Bewegung gesetzt und nun standen wir bei Brenda, die auf einen vereisten Körper hinab starrte. Sein Kittel wies ihn als einen der Wissenschaftler auf. Ihn musste ich wohl vor fünf Jahren mit vereist haben, als mein Eis das Gebäude überzog. Seither lag er wohl hier, dennoch sah er für eine Leiche noch ziemlich gut aus. Der Verwesungsprozess war nicht weit fortgeschritten. Hieß das, dass die Leichen im Keller auch noch immer dort herum lagen? Die, die ich mit Eis durchbohrt hatte? Ich biss mir auf die Lippe. Na super. Das alles würde Lucius jetzt zu sehen bekommen. Alle sahen zu mir. Ich zuckte bloß mit meinen Schultern. Die Jäger zerstreuten sich wieder. „Hey!", rief Jo auf einmal. „Ich habe etwas gefunden! Hier scheint es einen Keller zu geben!" Ich unterdrückte ein Stöhnen. Nein, bitte nicht! Sofort gingen die Jäger auf Jo zu und uns blieb keine andere Wahl, als ihnen zu folgen. Jo stand in dem alten Büro, wo es diese Tür gab, die zu meinem Gefängnis in den Keller geführt hatte. Sie stand noch immer offen. Als sei ich gerade eben erst dort ausgebrochen. Jo stieg die Treppen hinab und alle folgten ihr. „Ach du scheiße!", rief Jo plötzlich auf und ich konnte sehen, dass sie stehen geblieben war. Vor ihr hingen sieben vereiste Menschen, die von aus dem Boden ragenden Eisdolchen aufgespießt worden waren. Ihre Waffen lagen mit einer Eisschicht überzogen auf dem Boden. Alle Jäger wichen einen entsetzten Schritt zurück. Sie alle wagten es nicht sich zu mir umzudrehen. Kieran starrte entgeistert auf die Szene, die sich ihm bot. „Das hast du gemacht?" Ich nickte knapp. Kieran stieß ein Pfeifen aus. „Eine ganz schöne Leistung.", sagte Kieran grinsend. „Ich wette das war der Tag, an dem du ausgebrochen bist und alle befreit hast!" Erneut nickte ich ohne irgendeinen Ton zu sagen. „Die Panik der Wissenschaftler war bestimmt herrlich!", meinte Kieran, der mich grinsend ansah. „Das hatten sie verdient!"

„War ja klar, dass dir das gefällt, Kieran.", sagte Liam. Sofort sah Kieran Liam böse an. „Du lügst, wenn du sagst, dass es dir nicht gefällt!", zischte Kieran. Liam hob abwehrend seine Hände. „Ich habe überhaupt nichts dazu gesagt!", verteidigte er sich. „Hört auf zu streiten.", sagte ich genervt. Sofort waren die beiden still. Ich stieß die Jäger beiseite und lief an den Toten vorbei. Liam und Kieran wurden an ihren Ketten mitgeschleift. Mit zügigen Schritten lief ich auf die Tür zu, die zu meinem Gefängnis geführt hatte. Auch sie stand noch immer offen. Aber wer sollte sie auch geschlossen haben? Es war ja niemand mehr hier gewesen. Vor der Türschwelle blieb ich stehen. Dann, langsam, trat ich ein. Auch dieser Raum war vereist. Die Überwachungskameras hingen noch immer hier. Kieran sah sich neugierig um. „Bist du hier gewesen?" Dann fiel sein Blick auf die Röhre. Seine Gesichtszüge entglitten ihm. „Ach du Scheiße!", murmelte er, während er meine Röhre anstarrte. „Sag mir nicht, du musstest Jahre lang stehen!" Ich sagte daraufhin nichts. Ich hatte nicht einmal gelegen oder wirklich gesessen. Hatte vier Jahre nur gestanden. Liam sah genauso geschockt aus wie Kieran. Ich bemerkte die Anwesenheit der Jäger hinter uns, die sich langsam in den Raum trauten. Sie hatten jedes Wort mitbekommen. Ich wollte hier raus. Hier konnte ich nicht bleiben. Hier kamen unschöne Erinnerungen auf. Es war für mich leichter oben zu bleiben als hier. Auch wenn ich es besser fände, überhaupt nirgendwo in diesem verfluchten Gebäude zu sein.

Freya Winter - MutantWhere stories live. Discover now