Kapitel 104

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»So.«, sagte Jack und ließ die Kamera sinken. »Das war's dann.« Zeitgleich war ich erleichtert, aber auch besorgt. Hoffentlich hatte ich mich nicht falsch entschieden.

Mrs Campbell schien mir die Sorge anzusehen, doch falsch zu deuten. »Das wird schon.«, wollte sie mich aufmuntern. »Das hast du wirklich gut gemacht. Ich bin mir sicher, dass, wenn die Leute erst deine Seite der Geschichte hören und sehen, wie menschlich du dich verhältst, für euch sprechen werden.«

»Wir wissen nun schon seit so vielen Jahren von euch Mutanten.«, sagte Jack. »Und trotzdem habe ich bisher noch mit keinem einzigen gesprochen. Es überrascht mich selbst, wie sehr du uns ähnelst.« Als er meinen skeptischen Blick sah, schaute er verlegen weg. »Nun ja, abgesehen von deinen Schlangenschuppen, den Augen und deinen Fähigkeiten natürlich.« Er schenkte mir ein Lächeln, ehe er schlagartig erbleichte und sich nicht mehr zu rühren wagte. Als hätte man ihn in seiner Bewegung eingefroren.

»Jack?«, fragte Lily irritiert. Doch er antwortete nicht. Alarmiert drehte ich mich um und blickte in die Richtung, in die Jack zuvor gesehen hatte. Sofort sah ich auch, was Jack so erschrocken hatte. Vermutlich rechnete er mit einem Angriff oder dergleichen. Einige Meter von uns entfernt war Kieran – für Jack jedenfalls – wie aus dem Nichts aufgetaucht. Anscheinend sah er den Sinn dahinter, sich zu verstecken, nicht mehr.

Erstaunt blinzelte Mrs Campbell. »Ein Mutant.«, stellte sie überrascht fest.

»Ergehört zu mir.«, sagte ich, um klarzustellen, dass den dreien von Kieran keine Gefahr drohte.

Kopfschüttelnd lachte die Journalistin auf. »Du bist nicht allein gekommen.«, bemerkte sie.

»Natürlich nicht.«, erwiderte ich ohne jedes Gefühl von Scham. Als Mutant konnte man nie vorsichtig genug sein. Es wäre naiv gewesen, allein herzukommen. Das musste auch sie einsehen. Ich war ja schon überrascht genug, dass sie selbst allein und unbewaffnet erschienen war.

Stillschweigend kam Kieran auf uns zu und ich konnte nur zu gut beobachten, wie Jack und Lily sich anspannten. Offenbar behagte ihnen der Gedanke nicht, dass Kieran uns bereits die ganze Zeit über ungesehen beobachtet hatte. Und er konnte natürlich ohne gesehen zu werden überall auftauchen. Aber vielleicht war es nicht nur das. Wenn man ihn zum ersten Mal sah, wirkte er schon bedrohlich.

»Hallo, ich bin Octavia Campbell.«, stellte die Journalistin sich vor. »Aber ich denke, das weißt du bereits.«

»Kieran Roth.«, sagte Kieran knapp. Anders als ich hatte er keinerlei Bedenken, seinen vollen Namen zu nennen. Gab es überhaupt Familie, die er schützen wollte oder konnte? Ehrlich gesagt bezweifelte ich das. Schließlich war er viel zu jung gewesen, um sich überhaupt an die Gesichter seiner Eltern zu erinnern.

Aufgrund Kierans distanzierter Haltung runzelte Mrs Campbell kurz die Stirn, schien aber nicht weiter darüber nachzudenken, sondern sein Verhalten einfach der Tatsache zuzuschreiben, dass er berechtigterweise misstrauisch und vorsichtig war. Was natürlich auch zutraf.

»Hätte ich früher gewusst, dass du hier bist, hätte ich auch gerne mit dir vor der Kamera gesprochen. Aber wenn du magst, können wir das nachholen.«, bot sie an. »Ich würde gerne mehr erfahren. Und mit je mehr Mutanten ich sprechen kann, desto besser.« Sie war so euphorisch, dass sie nicht einmal bemerkte, wie ihr Team nervös einen Schritt zurück trat. Wie konnte es sein, dass Kieran solch eine Wirkung auf sie hatte? Bei unserem ersten Aufeinandertreffen hatte ich es nicht so empfunden. Und Mrs Campbell schien auch nichts davon mitzubekommen.

»Nein.«, sagte Kieran kurz und entschieden. Eine Erklärung seiner Entscheidung schien er nicht als nötig zu empfinden. Enttäuscht nickte Mrs Campbell, doch sie akzeptierte das.

Freya Winter - MutantWo Geschichten leben. Entdecke jetzt