Kapitel 8

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Schnee. Kälte. Weiß. Flocken fielen vom Himmel. Weiße Flocken, die sich beinahe tröstlich an meine Haut schmiegten. Sie schmolzen nicht. Sie fühlten sich an, wie ein Teil von mir. Wie ein Teil von mir, von dem ich selbst nichts wusste. Ich atmete. Tief ein. Tief aus. Es war, als wäre meine Lunge blockiert gewesen. Doch jetzt funktionierte sie wieder. Gierig sog ich die Luft ein, doch musste feststellen, dass ich gar nicht mehr so viel davon benötigte, wie zuvor.

Ich überlegte. Was war zuvor? Ich versuchte mich zu erinnern. Man hatte mich in diesen Raum gebracht. Dann war da das Betäubungsmittel, bei dem ich das Bewusstsein behalten hatte. Und da fiel es mir wieder ein SD1. Diese grüne Substanz.

Der Schnee legte sich wie eine weiße Decke über mich. Ich genoss die Kälte. Sie fühlte sich richtig an. Sie war ein Teil von mir. Ich fühlte mich anders. Anders als zuvor. Stärker, mächtiger. Es war anders. Alles fühlte sich anders an. Ich selbst fühlte mich kälter.

Erst jetzt begann ich meine Umgebung genauer zu betrachten. Über mir war der graue Himmel zu sehen. Wie Puderzucker fiel der Schnee auf die Erde hinab. Es schneite nur leicht und dennoch war alles von einer nicht gerade niedrigen Schneeschicht bedeckt. Ich befand mich irgendwo drin. Aber über mir hatte das Dach ein Loch. Verwirrt setzte ich mich auf. Ich hatte auf einer harten Liege gelegen. Ich hätte Angst haben sollen. Doch alles in mir war wie betäubt. Rechts neben mir befanden sich ein paar große Müllcontainer direkt an der Wand. Mein Blick schweifte nach links und mir eröffnete sich eine gigantische Lagerhalle voller Röhren. Dicht an dicht standen sie beieinander und in ihnen konnte ich menschliche Körper erkennen. Keiner von ihnen rührte sich. Doch da ich ohnehin mehr mit mir selbst beschäftigt war, schenkte ich dem kaum Beachtung. Ich musste hier raus.

Ich begriff nicht, wo ich mich befand. Begriff nicht, dass das Leichen waren, die ich gesehen hatte. Kinderleichen. Und ich begriff auch nicht, dass ich hier her gebracht worden war, weil sie mich für tot gehalten hatten. Weil ich auch wirklich tot gewesen war. Weshalb der Tod mich wieder aus seinen Fängen entlassen hatte, würde mir für immer ein Rätzel bleiben.

Leicht benommen rappelte ich mich auf, bemerkte die Hintertür. Sollte ich? Ich streckte meine Hand aus und erschrak. Ich machte einen Satz zurück, starrte fassungslos meine Hand an. Das war doch nicht mehr normal! Meine Haut war weiß. Aber nicht mein normales Hautfarben-weiß, sondern richtig weiß! Abnormal weiß! Das war keineswegs normal! Vor allem, da ich mir gerade auch noch eingebildet hatte, weiße Schuppen zu erkennen. Schlangenschuppen. Ungläubig schüttelte ich mich. Dann musterte ich meine andere Hand. Ebenfalls abnormal weiß. Ich zog meine Ärmel hoch. Genauso. Zog an meinen Hosenbeinen. Genau dasselbe. Mein Herz pochte. Was war hier los? Lag das alles etwa an SD1?

Vielleicht lag es am Betäubungsmittel, das noch immer wirkte, dass ich nicht komplett durchdrehte oder dass ich zitternd zusammenbrach, weil mich meine Beine nicht mehr tragen wollten. Im Nachhinein betrachtet hatte ich meine Veränderungen und das, was mit mir geschehen war, viel zu ruhig aufgenommen.

Ich versuchte mich wieder zu beruhigen und schloss meine Augen. Als ich sie wieder öffnete, streckte ich meine weiße Hand nach der Tür aus. Mit einem kräftigen Ruck riss ich sie auf. Mit einem Mal befand ich mich wieder in der großen Halle mit den vielen Maschinen und den Röhren. Während ich da so den Gang entlang schritt, bemerkte ich die Blicke von den gefangenen Kindern in den Röhren auf mir. Sie starrten mich an, als sei ich nicht von dieser Welt. Oder nicht normal. Ich bemerkte nicht, dass sich am Boden eine Eisschicht bildete, wo meine Füße den Boden berührten. Ich lief einfach weiter die Gänge entlang. Auf meinem Weg begegnete ich keinem Wissenschaftler oder Sucher. Sie alle schienen in irgendeinem anderen Raum beschäftigt zu sein. Schnell schritt ich weiter und blieb vor dem Raum von Liam und mir stehen.

Nach wie vor lag er in seiner Röhre und starrte an die Decke. Er wirkte über irgendetwas ziemlich traurig. Etwas schien ihn fertig zu machen. Vorsichtig öffnete ich die Tür. Sofort fiel Liams glühender blutroter Blick auf mich. Er starrte mich an, schien mich aber nicht zu erkennen. Wieso das denn nicht? Er müsste mich doch erkennen, auch wenn meine Haut weiß wie frisch gefallener Schnee war!

Freya Winter - MutantWhere stories live. Discover now