Kapitel 33

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Kapitel 33

Wenn etwas passiert, von dem man hoffte, es wäre nie passiert, hoffte man nach dem Aufwachen, es wäre nur ein Albtraum gewesen, bis man ins kalte Wasser geschmissen wurde und mit Schrecken feststellte, dass es keineswegs ein Albtraum gewesen war. Genau so ging es mir als ich am nächsten Tag wieder aufwachte. Ich hatte gehofft, dass alles wieder normal sein würde, doch diese Hoffnungen wurden bereits wenige Minuten später wieder zu Nichte gemacht. Und zwar genau dann, als Aldric mein Zimmer betrat um nachzuschauen, ob ich schon wach war.

„Meine Güte, ist das kalt hier!", sagte er und ihm schien ein Schauer über den Rücken zu laufen. „Hast du die Klimaanlage noch niedriger eingestellt?"

Seufzend ließ ich mich zurück in mein Bett fallen. „Nein." Audra hatte ihm wohl noch nichts davon erzählt. Also lag es nun wohl an mir.

„Nein?", fragte Aldric und schien sich zu wundern. Ich schüttelte meinen Kopf und verließ mein Bett. „Irgendetwas ist passiert.", sagte ich und wusste nicht, wie ich es formulieren sollte.

„Und was?", fragte Aldric langsam, der versuchte zu verstehen.

„Ich weiß es nicht genau.", sagte ich. „Ich weiß nur, dass meine Körpertemperatur anscheinend noch kälter geworden ist, dass sogar Liam es war ausmacht und dadurch ganze Räume mit kalt werden." So. Jetzt war es raus. Aldric starrte mich fassungslos an. „Bist du etwa krank?" Krank? Ich war nicht mehr krank gewesen, seit ich kein Mensch mehr war. Also konnte ich wohl ausschließen, krank zu sein. Oder? Also schüttelte ich meinen Kopf. „Ich bin nicht krank. Das kann gar nicht sein."

„Vielleicht.", meinte Aldric und dachte nach. „Aber es könnte doch sein."

Vielleicht. Aber es war eher unwahrscheinlich. Wenn ich seit der Grundschule nicht mehr krank gewesen war, weshalb sollte ich es dann jetzt plötzlich sein? Das machte keinen Sinn. „Ist Liam in der Küche?", fragte ich.

Aldric zog überrascht seine Augenbrauen zusammen. Auf seiner Stirn bildeten sich feine Falten. „Hat er dir nichts gesagt?"

Alarmiert durchbohrten ihn meine Augen und ich kniff sie zu gefährlichen Schlitzen zusammen. „Wo ist er?" Wenn er jetzt irgendetwas Dummes anstellte. Normalerweise sagten wir einander alles. Und normalerweise wartete er auch, bis ich wach war, wenn er irgendwo hinwollte. Außerdem gab es nicht viele Möglichkeiten, wo er hingegangen sein konnte.

„Wo ist er?", wiederholte ich mit Nachdruck. Aldric schluckte. Er hatte wohl nicht erwartet, dass ich so reagieren würde. „Aldric!" Aldric zuckte vor der Schärfe meiner Stimme zusammen. Nun gut, es lag vermutlich nicht nur an der Schärfe in meiner Stimme. Vielleicht lag es auch daran, dass sich über alles in meinem Zimmer langsam eine hauchdünne Frostschicht bildete und Aldrics Atem gefror. Aber das war eher Nebensache. Was, wenn Liam in Gefahr war? Er konnte doch nicht einfach weggehen!

Aldric schien sich nun wieder gefasst zu haben und packte mich mit beiden Händen fest an den Schultern. „Jetzt beruhige dich, Freya!" Er sah mir fest in die Augen. „Liam hatte meine Sachen und eine Sonnenbrille an, als er aus der Haustür gestürmt ist und irgendetwas davon gerufen hätte, dass er dir helfen müsse."

Ich schluckte. Verdammt. Er war zu Brenda gegangen. Aber was sollte er bei ihr wollen? Weswegen sollte er wegen mir zu ihr gehen? Was hatte er sich dabei gedacht? Was war seine Idee gewesen, als er sich auf den Weg zu ihr gemacht hatte?

Ich bemerkte nicht einmal, wie Aldric mich wieder losließ und seine Hände aneinander rieb, damit diese wieder warm wurden.

Liam war also alleine in das Nest der Jäger gegangen. Und ich konnte ihm dieses mal nicht folgen. Ich konnte ihn nicht beschützen, ihm nicht helfen, sollte er in Schwierigkeiten geraten. Meine Gegenwart würden er, wie auch alle anderen bemerken. Es war schließlich mehr als merkwürdig, wenn es im Sommer auf einmal kalt wurde. Liam würde dann sofort wissen, dass ich in der Nähe war.

„Wann ist er losgegangen?", wollte ich wissen.

„Hm." Aldric überlegte. „Ich glaube vor etwa einer Stunde."

Meine Augen weiteten sich. „Was?! So lange schon?!" Fluchend lief ich zu meinem Kleiderschrank und warf einige Sachen hinaus.

Aldric seufzte. „Freya, beruhige dich! Ihm wird schon nichts passiert sein!" Ohne auf ihn zu achten, rannte ich in das Badezimmer und zog mich in Lichtgeschwindigkeit um. „Freya, das bringt doch nichts!", hörte ich Aldric aus dem Nebenzimmer rufen. „Du kannst ihm sowieso nicht hinterher!"

„Sag mir nicht, was ich kann und was nicht!", zischte ich. Ja, mir war bewusst, dass er recht hatte. Auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte. Ich wollte so gerne so viel mehr dürfen, als mir erlaubt war. Aber wie ich bereits einmal sagte; das hier war nur ein weiteres Gefängnis. Es war schön, aber es änderte nichts daran, dass das hier eigentlich nur ein Gefängnis war. Wie sehr ich die Menschen hasste. Sie konnten einfach nicht akzeptieren, dass auch wir Rechte hatten, die sie uns verwehrten. Audra und Aldric ausgeschlossen. Doch auch sie konnten uns nicht frei herumlaufen lassen. So gerne sie es auch würden.

Unten hörte ich plötzlich die Tür aufgehen. „Bin wieder da!", ertönte Liams Stimme. Sofort erhellte sich meine Miene und ich riss die Tür auf. Aldric lachte mich aus, als ich herausstürmte und die Treppen hinunter raste.

„Langsam, Freya!", rief Aldric mir lachend hinterher. „Nicht, dass du mir hinfällst!" Ja, ja. Würde ich schon nicht. Der Flur verwandelte sich unter meinen Füßen in eine Eisfläche und ich glitt elegant, aber schnell über den Boden. Liam, der hinter sich gerade die Tür schloss drehte sich erstaunt zu mir um. Als er bemerkte, dass ich nicht stoppte, weiteten sich entsetzt seine Augen und er versuchte noch schnell auszuweichen, doch da hatte er keinen Erfolg. Ich raste in ihn hinein. Liam stützte sich noch an der Tür ab, um nicht hinzufallen und sein Arm schlang sich um mich, um mich vor dem Sturz zu bewahren. „Warum so stürmisch, Frey?", fragte er grinsend. Wütend funkelte ich ihn an. „Was sollte das? Wieso bist du einfach gegangen ohne etwas zu sagen?"

Liams Grinsen erlosch und seine Miene war nun ernst. Er ließ mich los und stellte mich wieder auf meine beiden Füße vor sich hin. „Ich wollte dir helfen."

Ich verschränkte meine Arme vor meiner Brust. „Und wieso gehst du dafür zu den Jägern?"

Liam seufzte und rieb sich die Schläfe. „Sei doch erst einmal still und hör mir zu, Frey!", sagte er anklagend. „Dann wirst du es auch schneller wissen, als wenn du mir erst einmal Vorwürfe machst. Warte doch erst einmal, bis ich es dir erzählt habe und dann kannst du meinetwegen sagen, was auch immer du sagen willst."

Betreten senkte ich meinen Blick. Er hatte ja recht. Trotzdem änderte das nichts daran, dass er auch jetzt nicht mehr hätte hier sein können. Ich atmete einmal tief ein und aus. „Okay.", sagte ich ruhig.

„Gut.", auf Liams Lippen erschien ein kleines Lächeln. „Weißt du noch das kleine Gerät, das deine Sinne unterdrückt hat?" Ich nickte. Natürlich wusste ich das noch. Das würde ich auch nicht so schnell wieder vergessen. Ich hasste es, hilflos zu sein. Und in dem Moment bin ich es gewesen. Ich habe Brenda nicht gemerkt, bis es bereits zu spät gewesen war. „Wir wissen auch, dass die Jäger weitaus mehr Geräte haben müssen, um gegen Mutanten anzukommen." Wieder nickte ich. Es gab viele von uns. Und jeder Einzelne war anders. Liams Miene wurde nun ernst und er sah mir in die Augen. „Was würdest du sagen, wenn ich dir erzähle, dass es ein Gerät gibt, das deine Fähigkeiten verrückt spielen lässt?"

Freya Winter - MutantWo Geschichten leben. Entdecke jetzt