Kapitel 75.2

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Meine Sinne waren geschärft. Definitiv würde ich mich nicht von ihm untersuchen lassen. Sobald er meine Zelle öffnen würde, konnte ich meine Fähigkeiten wieder einsetzen. Und dann würde ich Lucius und mich hier raus bringen.

Allerdings schien Doktor Clausen keinerlei Befürchtungen zu haben, dass ich mich befreien könnte. Das ließ mich skeptisch werden. Wieso hielt er sich für so unfehlbar? Mittlerweile stand er genau vor meiner Zelle. Als hätte er alle Zeit der Welt, griff er erst einmal nach der grauen Tasche, die auf dem Boden vor meiner Zelle lag und kramte ruhig darin herum. „Ah, hier ist es ja." Erfreut zog er schwere Handschellen und irgendein Gebilde aus Metall heraus, das ich nicht benennen konnte. Danach wandte er sich an seine Hightech-Uhr, die um sein Handgelenk lag und auf der einige Knöpfe zu sehen waren. Er drückte den kleinen blauen Knopf. Plötzlich öffnete sich, auf meiner Halshöhe, ein Spalt in der Glaswand. Durch diesen reichte mir Clausen die Handschellen und das Metallgebilde. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, griff ich danach. „Und jetzt lege dir das bitte an.", wies Clausen mich mit einem breiten Lächeln an.

„Das tu ich ganz sicher nicht.", widersprach ich. Ich war nicht seine Sklavin. Und das würde ich auch niemals sein.

Das Lächeln des Doktors verrutschte nicht. Er war die Gelassenheit selbst. „Du willst uns doch sicher beiden Unannehmlichkeiten ersparen, Freya.", sagte Clausen und lachte, als wäre ich bloß ein rebellisches Kleinkind. „Denn, wenn du nicht hören willst, musst du mit den Konsequenzen leben." So langsam machte es mich leicht aggressiv, dass er noch immer lächelte. Clausen war krank. Genauso wie all die anderen Wissenschaftler, denen ich begegnet war. Vermutlich hielt er sich für unglaublich intelligent und relevant.

„Nun, bitte." Clausen deutete mit einem geduldigen Kopfnicken auf die Handschellen und das Metallgebilde in meinen Händen. „Denk daran, je besser du kooperierst, desto schneller sind wir für heute fertig."

Desinteressiert zuckte ich mit meinen Schulter und ließ die Handschellen und das Metallgebilde einfach fallen. Provozierend erwiderte ich Doktor Clausens Blick. Jedoch ließ dieser sich äußerlich nichts anmerken. Dennoch bemerkte ich, dass er innerlich brodelte. Sein schmieriges Lächeln klebte nach wie vor auf seinem Gesicht.

„Du bleibst also stur.", bemerkte Clausen und seufzte. Seine Mundwinkel hoben sich noch ein Stück. Sein Zeigefinger wanderte zu einem weiteren Knopf auf seiner Uhr. Dieses mal war es der weiße. „Dich bringe ich noch dazu, freiwillig mit mir zu arbeiten." Er drückte den weißen Knopf. Meine Muskeln spannten sich an. Was auch immer geschehen sollte, es geschah nicht. Misstrauisch zog ich meine Augenbrauen zusammen. An Clausens Ausdruck erkannte ich, dass er sich nicht wunderte, dass nichts geschah. Als liefe alles nach Plan.

Und plötzlich erwischte es mich mit voller Kraft. Überrascht weiteten sich meine Augen. Ein unglaublicher Schmerz durchzuckte immer und immer wieder meinen Körper. Mal in den Beinen, mal im Kopf, mal der gesamte Oberkörper. Genauso abrupt wie der Schmerz kam, klang er auch wieder ab. Nur, um dann an einer anderen Stelle doppelt so schmerzhaft wiederzukehren. Somit war es unmöglich, mich darauf vorzubereiten.

Es war, als würde ich immer wieder aufs neue von einem Blitz getroffen werden. Mal stärker, mal schwächer. Diese Schmerzen waren höllisch. Als würde man mich verbrennen.

Doch ich schrie nicht. Diese Genugtuung würde ich Clausen nicht geben. Außerdem hatte ich durchaus schon Schlimmeres erlebt. Da konnte ich auch das hier aushalten. Denn eines hatte ich damals in den Ambrosia-Laboren gelernt: Egal, was man mir antat: Irgendwann hörte es auf. Immer. Und sei es nur, weil meine Peiniger gelangweilt waren, oder ihre Geduld ein Ende fand. Man hatte schon mehrmals versucht, mich zu brechen. Ich konnte widerstehen. Ich widerstand jedes mal.

Mein Gesicht war schmerzverzerrt, doch ich hatte meine Gesichtsmuskeln schon bald wieder recht gut unter Kontrolle. Hasserfüllt lagen meineAugen auf dem Doktor, dessen Stirn sich langsam zu runzeln begann.

Meine Hände waren zu Fäusten geballt. Jeder einzelner meiner Muskeln war angespannt. Aber Clausen würde von mir kein Zucken sehen. Kein Zucken, kein Zittern, kein Schreien, kein Flehen.

Ich wagte es nicht, meinen Kopf zu Lucius zu drehen. Würde ich das tun, würde ich eventuell meine Kontrolle verlieren. Angestrengt versuchte ich meinen Atemrhythmus anzupassen. Niemals würde ich klein beigeben. Das war nicht einmal eine Option, die zur Auswahl stand.

Doktor Clausens Gesicht verdunkelte sich merklich. Sein Lächeln war verschwunden. „Schön.", presste er verärgert hervor. Und wieder: „Schön." Erneut drückte er auf den weißen Knopf. Schlagartig hörten die Schmerzen auf. Doch ich wagte es nicht, mich zu entspannen. Es sollte mich nicht noch einmal unvorbereitet treffen. Und wer wusste schon, was der Doktor noch auf Lager hatte.

„Ich muss wohl andere Seiten aufziehen.", stellte Clausen fest. Sein Lächeln kehrte zurück. „Gleich werden wir sehen, ob du nicht doch lieber gehorchen möchtest. - Außerdem habe ich nur ich davon Vorteile: Es geht alles sehr viel schneller und auch schmerzfreier. Und du hilfst bei sehr wichtigen Forschungen mit. Ein echter Bonus."

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, drückte Clausen einen gelben Knopf. Augenblicklich fing Lucius an vor Schmerzen zu schreien. Keuchend sank er zu Boden. Er wehrte sich. Wollte keine Schwäche zeigen. Lucius wollte sich nicht anmerken lassen, dass er Schmerzen erlitt. Verbissen kämpfte er dagegen an. Zitternd richtete er sich langsam auf. Jedoch sackte er immer wieder zusammen. Allerdings wollte mein Bruder nicht aufgeben. Er wollte nicht Clausens Marionette sein.

„Ein Wort von dir und ich lasse es aufhören.", richtete Clausen die Worte an mich. „Andernfalls ..." Sein Lächeln wurde eine Spur breiter.

Ein leises, zorniges Zischen entfuhr mir. Dieser widerliche Bastard!

Während Lucius trotz seiner Schmerzen den Kopf schüttelte, lächelte Clausen mich bloß an. „Ein Wort ...", erinnerte er mich. Am liebsten wollte ich in langsam, aber auch nur ganz langsam an meinem Gift verenden sehen. Irgendwann würde sie da sein. Meine Chance. Und dann würde Clausen definitiv nicht mehr lächeln. Er würde sich nie wieder überlegen fühlen. Nie wieder. Dafür würde ich höchstpersönlich sorgen.

Trotz Lucius' Kopfschütteln, konnte ich mich nicht mehr zurückhalten.„Stopp.", sagte ich. „Das reicht."

„Na also!", lächelte Doktor Clausen. „Wieso nicht gleich so?" Er drückte noch einmal auf den braunen Knopf und Lucius sank erschöpft zu Boden. Er atmete schwer.

„Und nun ..." Auffordernd sah Clausen zu den am Boden liegenden Handschellen und dem Metallgebilde. Meine Lippen waren bloß noch eine schmale Linie. Widerwillig nahm ich die Handschellen. Doch sogleich schüttelte Clausen seinen Kopf. „Nein. Erst das andere."

„Aha.",machte ich trocken. „Und was soll das darstellen?" Das Metallgebilde hatte ich aufgehoben und betrachtete es skeptisch. Es war eine Art großer, dicker Ring, der sich auf der hinteren Seite mit Hilfe eines Codes öffnen ließ. Momentan war er offen. Es sah so aus, als könnte man ihn um irgendetwas legen und dann schließen. Auf der Vorderseite deckte das Metall viel mehr Fläche ab.

Doktor Clausen lächelte stolz. „Das Meisterwerk soll verhindern, dass du mich beißt, wenn ich dich aus der Zelle hole und mich nicht vergiftest. Es ist nicht nur vor deinen Kräften geschützt, sondern auch noch undurchdringbar. Außerdem kannst du es nicht mehr absetzen, es sei denn, ich gebe den Code ein. - Den kenne selbstverständlich nur ich."

Ich verzog mein Gesicht. Clausen wollte mir eine Art Maulkorb verpassen. Das gefiel mir überhaupt nicht. Alles in mir widerstrebte, das Teil anzulegen. Eines Tages würde Clausen dafür büßen.

Freya Winter - MutantWhere stories live. Discover now