Kapitel 100.4

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Sobald wir alle auf unseren Plätzen saßen, startete er den Motor, der knatternd antwortete. Mit einem Ruck setzte sich das Fahrzeug in Bewegung. Leider deutlich langsamer, als ich gehofft hatte. Dennoch würde ich mich nicht beschweren. Das Fahrzeug bot uns Schutz vor fremden Blicken. Und es brachte uns schneller voran, als wenn wir einfach weiter gelaufen wären.

»Also, John -«,begann Steve, doch wurde unterbrochen.

»Kieran.«, korrigierte Kieran, woraufhin Steve mit einem leisen Lachen reagierte.

»Gut. Kieran.«, sagte er. »Also, wo soll es denn hin gehen?« Bevor dieser allerdings antworten konnte, erhob ich meine Stimme.

»London.«, kam es entschlossen von mir. Das war der einzige Ort, an dem ich mir vorstellen konnte, unterzutauchen.

»Bist du sicher?«, wollte Audra besorgt wissen. »Du bist doch gerade erst aus London herausgeschmuggelt worden. Kontrollieren sie nicht noch immer die Ein- und Ausgänge der Stadt?«

»Ich weiß es nicht.«, meinte ich mit gesenkter Stimme. »Aber ich kenne dort ein paar Leute, die uns aufnehmen würden. Oder fällt dir ein anderer Ort ein?« Darauf wusste Audra nichts zu sagen.

»Trotzdem gefällt mir das nicht.«, murmelte sie. »In meinen Augen ist London gerade die Stadt, die wir meiden sollten.« Das blöde war, dass ich ihr da nicht einmal widersprechen konnte. Doch ich kannte keine Alternative.

»Wir haben Zeit.«, warf Steve nun ein. »Überlegt euch in aller Ruhe, wo es hin gehen soll. Ich fahre euch. Schließlich müssen wir zusammen halten, nicht wahr?« Ihm war anzusehen, dass er an seine Tochter dachte. Plötzlich änderte sich seine Miene. »Ach, habt ihr das schon gesehen?« Mit einer Hand und ohne den Blick von der Straße zu nehmen, zog er ein schmales Gerät aus seiner Hosentasche. Schnell entsperrte er es mit einem einzigen Wischen über das Glas, tippte kurz darauf herum und reichte es Kieran, da dieser ihm am nächsten saß.

Misstrauisch nahm er es entgegen. Einige Sekunden verharrten seine dunklen Augen auf der dünnen Scheibe, ehe er mit dem Zeigefinger einmal darüber wischte. »Fantastisch, nicht wahr?«, fragte Steve breit grinsend. »Momentan verbreiten sich diese Flugblätter wie ein Lauffeuer im Internet.« Flugblätter? Augenblicklich wurde ich hellhörig. Kieran, der anscheinend genug gesehen hatte, reichte mir das Gerät nach hinten.

Sofort sprang mir eine vertraute Zeichnung ins Auge. Sanyas Skizze. Zwei Kinder, bei denen es sich um ein und dieselbe Person handelte. Einmal jedoch als Mensch und einmal als Mutant. Auch die Worte über den beiden Kindern waren mir vertraut: »Erinnert euch! Wir sind keine Fremden!«

Ein leichtes Lächeln legte sich auf meine Lippen. War ihr Plan etwa aufgegangen? So schnell? Es war noch nicht allzu lange her, da hatten wir begonnen, ein paar der Flugblätter an zufällige Adressen im ganzen Land zu verschicken. Aber wie Samuel und Enya gehofft hatten, hatten einige von ihnen die richtigen Leute erreicht, die diese im Internet geteilt hatten. Mit klopfendem Herzen öffnete ich die Kommentare und unter dem abfotografiertem Flugblatt.

Der erste, der mir allerdings ins Auge stach, ließ meine aufkeimende Hoffnung schnell ersticken. »Unsinn! Seid ihr alle blind?«, »Das sind Tiere! Menschen waren das vorher ganz sicher nicht!« und »Niemals! Schaut euch die Biester doch nur mal an!«. Öfters sprangen mir auch die Worte »Missgeburten!« und »Abscheulichkeiten« entgegen.

Abgesehen von den Beleidigungen und Ablehnung Sanyas Botschaft gegenüber entdeckte ich auch viele positive Kommentare. Zu meiner Überraschung überwogen diese die negativen Äußerungen.

»Also, auf irgendeine Weise sind die Mutanten ja schon menschlich. Und so plötzlich, wie sie vor einigen Jahren aufgetaucht sind, kann es wohl kaum mit rechten Dingen zugegangen sein. Erinnert sich noch jemand außer mir an die vielen ungeklärten Vermisstenfälle?« Ich scrollte weiter. Vorsichtig wagte die Hoffnung in mir, erneut aufzuglimmen.

Freya Winter - MutantWhere stories live. Discover now