Kapitel 84

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Aufmerksam bewegte sich mein Blick durch den Saal, auf der Suche nach irgendeinem anderen Weg. Nach draußen führte auf den ersten Blick die große Tür an der Fensterfront. Aber das konnte doch nicht der einzige Weg sein. Hinter dem Tresen gab es rechts und links noch zwei geöffnete Türen, die in jeweils einen unbekannten Gang führten. Allerdings konnte ich nicht riskieren, auf gut Glück einen dieser Gänge zu wählen. Wenn wir entdeckt werden würden, säßen wir schon so gut wie in der Falle, da ich mich hier nicht auskannte und nicht wusste, ob es überhaupt einen zweiten Ausgang gab, geschweige denn, wie ich dort überhaupt hin gelangte.

„Varya", sagte ich mit gesenkter Stimme, während meine Augen ruhelos über meine Umgebung schweiften, „Gibt es hier einen anderen Ausgang?" Wenn es jemand wusste, dann sie. Schließlich musste sie sich hier auskennen, da sie hier gearbeitet hatte und auch ihr Vater hier arbeitete. Sicherlich hatte er ihr seine Arbeitsstelle einmal gezeigt. Kaum merklich nickte Varya, doch ihre Miene ließ darauf schließen, dass wir es lieber auf dem offiziellen Weg versuchen sollten. „Zu weit.", murmelte sie. „Die Chance, erwischt zu werden, wäre höher."

Skeptisch zieht Lucius eine Augenbraue hoch. „Ach, noch höher, als wenn wir einfach an diesen Sicherheitsleuten vorbei durch den Hauptausgang gehen?", fragte er sarkastisch. Genervt rammte ich ihm leicht meinen Ellenbogen in seine Seite, woraufhin er zusammenzuckte. Ihm war anzusehen, dass er nur zu gerne einen Kommentar dazu loswerden wollte, doch er besann sich eines Besseren und beließ es dabei.

„Wir sollten los.", merkte ich an. „Sonst fallen wir noch auf, so lange wie wir hier schon stehen, ohne uns zu bewegen." Niemand hatte Einwände. Ich holte noch einmal tief Luft, um wieder etwas ruhiger zu werden, dann trat ich als Erste aus dem Fahrstuhl. Varya und Lucius folgten mir, wobei Lucius mir nicht von der Seite wich. Es war, als würde er mir den Rücken freihalten wollen. Aufmerksam behielt er die Menschen, vor allem die Sicherheitskräfte, im Blick. Bis jetzt schien niemand uns auch nur eine Sekunde zu beachten. Dennoch zweifelte ich daran, dass wir ohne Probleme hier raus kamen. Immerhin war das hier das Gebäude der Regierung. Und was hatten hier zwei Jugendliche und die verschollene Tochter eines Politikers zu suchen? Das war verdächtig. Zudem war ich in eine Mantel vermummt, der mein Gesicht, wie auch den Rest von mir versteckte. Irgendjemand musste auf uns aufmerksam werden. Varya schien die Einzige von uns zu sein, die sich, zumindest äußerlich, keinerlei Sorgen machte. Sie spazierte durch den Saal, als täte sie das täglich. Allerdings konnte ich mir vorstellen, dass sie eigentlich unheimlich nervös war. Schließlich hatte sie endlich ihren Willen zurück und war Clausen nun entkommen. Und jetzt machte sie sich auf den Weg zurück in die Freiheit. Im Gegensatz zu mir konnte sie ein normales Leben beginnen, sobald sie diese Tür durchquerte. Wenn sie es nicht zuließ, würde niemand merke, dass sie kein Mensch war. Ihr standen alle Möglichkeiten offen.

Das Hallen unserer Schritte ging unter den vielen anderen Geräuschen unter. Widerstrebend ließ ich meinen Blick am Boden. Ich durfte nicht riskieren, dass jemand mein Gesicht sah. Für den Moment musste Lucius meine Augen ersetzen und doppelt so aufmerksam sein. Eine wild vor sich hin diskutierende Frau im Hosenanzug ließ so haarscharf an mir vorbei, dass ich ihren Arm an meinem spüren konnte. Ein Mann im Anzug wich mir noch gerade rechtzeitig aus, um den Zusammenstoß zu vermeiden. Er nuschelte eine abwesende „Entschuldigung", ehe er auch schon weiter hastete. Für meinen Geschmack war das alles viel zu knapp. Nur einer von ihnen musste genervt stehen bleiben und mir fälschlicherweise eine Standpauke halten und schon würden sie misstrauisch werden. Und was, wenn mich wirklich ein Mensch umrennen sollte? Jeder hier würde erkennen, was ich war.

Varyas Schritte wurden merklich schneller, je näher wir dem Ausgang kamen. Doch anders als sie, blieben Lucius und ich weiterhin wachsam. Stetig hielt mein Bruder die Sicherheitskräfte im Auge.

Freya Winter - MutantDär berättelser lever. Upptäck nu