Kapitel 82

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„Verschwinde.", entschied ich erbarmungslos. „Und komm nicht wieder. Ich will dich nie wieder sehen." Meine Worte trafen Lucius wie ein Schlag. Bestürzt sah er mich an.

„Freya, bitte -", flehte er, doch ich schüttelte eisern meinen Kopf. Ich hatte genug. Es wäre besser gewesen, wir hätten einander nie wiedergesehen. Dann hätte ich in guter Erinnerung an meinen Zwilling denken können. Nun würde ich immer hieran denken, wenn ich mich an Lucius erinnerte. Uns verband nichts mehr.

„Das kannst du nicht wollen!", rief Lucius entsetzt.

„Das kann ich sehr wohl.", erwiderte ich. „Und jetzt geh." Doch Lucius schüttelte entschlossen seinen Kopf. „Nein!", sagte er energisch. „Ich werde nicht gehen, denn wenn ich dich jetzt zurücklasse, sehe ich dich nie wieder!"

Ich lächelte unbeirrt. „Genau das ist der Sinn."

Wild entschlossen ballte Lucius seine Hände zu Fäusten und sah mich finster an. „Das kannst du vergessen. Ich habe Mist gebaut. Okay?Gewaltigen Mist. Und ich weiß nicht, ob das überhaupt zu verzeihen ist. Aber ich werde nicht einfach so aufgeben und zulassen, dass du ein weiteres mal aus meinem Leben verschwindest!"

„Leider liegt das nicht an dir, das zu entscheiden.", erwiderte ich eisig.

Tatsächlich erschien ein Lächeln auf Lucius' Lippen. Zwar war es ein grimmigesLächeln, aber immerhin war es eines. „Stimmt. Wenn du gehst, dann gehst du. Doch du kannst nicht verhindern, dass ich hinterher komme."

Schweigend betrachtete ich Lucius. Einerseits erweckten diese Worte eine erfreute Wärme in mir, andererseits konnte ich ihm einfach nicht vergeben und war unglaublich wütend auf ihn. „Ich bin schneller als du.", meinte ich konsequent. „Du holst mich niemals ein. Und hast du mich erst einmal aus deinen Augen verloren, hast du das für immer."

Frustriert, aber nicht gewillt aufzugeben, atmete Lucius tief ein und aus. „Ich will ja nicht sagen, dass du eine Dramaqueen bist – vor allem nachdem was passiert ist -, aber du bist eine Dramaqueen."

Wütend knurrte ich. „Ach, bin ich das?" Und selbst wenn, hatte ich nicht die Berechtigung dazu? So wie ich das auffasste, war meine Entscheidung alles andere als eine Überreaktion.

„Ja, Freya. Bist du. Und es tut mir alles unendlich leid. Aber wie du schon sagtest: Die Vergangenheit kann ich nicht ändern.", sagte Lucius. „Was ich aber ändern kann, ist das Hier und Jetzt. Bitte gib mir eine Chance. Nur eine. Mehr verlange ich nicht." Noch ehe ich irgendetwas dazu sagen konnte, erschienen Varya und Clausen im Raum. Beide waren, obwohl es mitten in der Nacht war, vollständig angezogen. Als Clausens Blick auf mich fiel, lächelte er erfreut.„Ah! Freya! Wie schön, du bist wach." Und an Lucius gewandt sagte er: „Lass uns bitte kurz allein. Okay?" Der Doktor lächelte freundlich. Verächtlich erwiderte Lucius Clausens Blick. Ich sah ihm an, dass er nicht gehen wollte. Aber als Varya einen Schritt auf ihn zutrat, verließ Lucius widerwillig den Raum. Knapp wirkte Clausen Varya zu, die uns daraufhin ebenfalls allein ließ. Der Doktor machte das Licht an. Dann kam er auf mich zu. Von oben bis unten betrachtete er mich mit einem zufriedenen Lächeln. „Wie ich sehe hat mein Serum gewirkt.", merkte er an. „Somit ist der erste Schritt getan."

„Ich wusste, dass Sie etwas Anderes vor hatten als das, was sie Lucius versprochen hatten.", sagte ich. „Auch er wird bemerken, dass Sie niemals vor hatten, Mutanten wieder zu Menschen zu machen."

Clausen lachte. „Oh, dein Bruder wird bald kein Problem mehr sein. Keine Sorge. Und tatsächlich habe ich vor, Mutanten wieder zu Menschen zumachen." Sein Lächeln nahm einen bösen Ausdruck an. „Nur ist das nicht mein einziges Ziel." Ich hatte ein ganz und gar ungutes Gefühl. Clausen ging an meiner Zelle vorbei und kehrte mir den Rücken zu, während er begann, einige der Utensilien, die auf dem Tisch lagen, zusammenzusuchen. „Ist es nicht außerordentlich unfair, dass nur zufällig ausgewählte Kinder die Ehre hatten, unglaubliche Fähigkeiten zu erhalten? Und diese wissen dieses Geschenk nicht einmal zu schätzen." Abwertend warf er mir einen Blick zu, doch grinste bald schon wieder. „Weißt du, die Welt lebt vom Fortschritt. Was meinst du, weshalb die Neandertaler ausgestorben sind? Sie waren nicht fortschrittlich genug. Sie hatten keine Chance zu überleben.", erzählte Clausen. „Viele Menschen erkennen das nicht, aber eure Mutationen sind der neue Fortschritt. Wer es nicht schafft, sich anzupassen, wird sterben."

Die Erkenntnis schlug wie ein Blitz in mir ein. „Sie wollen alle Menschen zu Mutanten machen.", stellte ich fest.

Amüsiert schüttelte Clausen seinen Kopf. „Du lieber Himmel, nein!", sagte er. „Nur die, die es Wert sind, die neue Welt zu erleben! Die, die dem Fortschritt im Weg stehen, werden keine Chance bekommen, die Macht zu erhalten, diesen wieder zu zerstören. Außerdem habe ich nicht vor, irgendwelchen Verbrechern dabei zu helfen, an eine gefährliche Macht zu gelangen."

Stirnrunzelnd betrachtete ich Doktor Clausen. „Aber wieso brauchen Sie dann trotzdem ein Serum, das die Mutation rückgängig macht?", wollte ich wissen.

Nun drehte sich Clausen endlich wieder zu mir um. „Oh, das ist ganz einfach: Wie glaubst du, verdiene ich mein Geld, Liebes? Ich arbeite immer noch für die Regierung, Kind. Vergiss das nicht. Und die Regierung hat mir aufgetragen, ein Serum herzustellen, das alle Mutanten wieder zu Menschen macht.", sagte Clausen. „Außerdem leben dort draußen gefährliche Mutanten, die gegen uns arbeiten, wie auch welche, die dieses Geschenk einfach nicht verdienen. Diese werden unschädlich gemacht, in dem sie wieder menschlich werden."

Fassungslos starrte ich den Doktor an. Das konnte er nicht tun! „Die Regierung weiß also nichts von Ihren geheimen Forschungen von einem Serum, mit dem Sie die Menschen zu Mutanten machen wollen."

„Natürlich nicht!", lachte Clausen. „Die Regierung ist gegen die Mutationen. Sie begreift nicht, dass dies zum Fortschritt gehört! Irgendwann wird jeder begreifen, dass die Mutationen uns weiterbringen. Aber bis dahin muss ich im Geheimen forschen."

„Wenn Ihre Forschungen so geheim sind, weshalb ist Varya hier?", wollte ich skeptisch wissen. „Ich glaube kaum, dass Sie ihr vollständig vertrauen. Es braucht nur wenige Worte, um Sie auffliegen zu lassen." Jedoch bliebt Clausen ruhig. Gemächlich räumte er einige Ampullen zurück in ein Regal. „Das stimmt. Aber auf eines kann ich vertrauen: Und zwar auf mich. Ich habe Varya geschaffen und wie ich sie geschaffen habe, habe ich ihr ihren Willen genommen. - Das ist übrigens der zweite Schritt, der auf den ersten folgt. Du kommst schon bald an die Reihe, keine Sorge." Er schenkte mir ein Lächeln, ehe er auf die Tür zuging. „Entschuldige mich bitte. Ich muss mich noch um einige wichtige Dinge kümmern."

Entsetzt sah ich dem Doktor hinterher. Er wollte meinen freien Willen! Den würde er nicht bekommen! Zwar hatte er mich hier eingesperrt, aber meinen Willen würde ich ihm nicht geben. Aber wie hatte er überhaupt vor, ihn mir zu nehmen? Wie hatte er ihn überhaupt Varya genommen?

Wie auf Kommando kam Varya wieder herein und ließ sich auf den Stuhl sinken, der bereits ihr Stammplatz war. Sie zog eine Zeitung hervor und begann zu lesen. Mir blieb keine andere Wahl mehr. Ich musste es jetzt versuchen. Jetzt oder nie. Eine andere Chance blieb mir vermutlich nicht mehr.

Freya Winter - MutantTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang