Kapitel 43

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Kapitel 43

Merkwürdigerweise war ich vollkommen ruhig. Ich wusste, ich könnte mit ihnen fertig werden. Doch die Konsequenzen, wenn ich das wirklich tun würde, waren das eigentliche Problem. Ein weiteres Knacken. Sie schnitten sich ihren Weg von der anderen Seite der Hecke zum Garten frei. Sie würden gleich hier sein. Aber ich war bereit. Ich würde das tun, was ich tun musste. „Was, wenn wir unterlegen sind? Auf dem blöden Papier stand ja nicht gerade viel, was nützlich ist." Das war die zweite Jungenstimme. „Unterschätze uns nicht, okay?", meinte der Anführer. „Wir sind besser als die anderen." Stille. „Nun gut. Mit einer Ausnahme." Ich konnte mir gut vorstellen, dass er jetzt zu Brenda sah. Diese sagte immer noch keinen Ton, was vermutlich auch besser war, wenn sie nicht noch mehr Ärger haben wollte. „Immerhin haben wir einen Grund, um gegen diesen widerlichen Abschaum von Mutanten zu kämpfen. Und ich werde erst aufhören, bis jeder einzelne von ihnen beseitigt ist!", sagte der Anführer mit einem Hass in der Stimme, der selbst mich zusammenzucken ließ. Niemand sagte etwas. Die Jäger schwiegen. Und ich? Ich saß, als sei ich die Ruhe selbst, am Teich und wartete. Wartete darauf, dass sie endlich kamen. Damit sie bekamen, was sie verdienten. Weitere Äste wurden durchgeschnitten. „Es wäre einfacher gewesen, hätten wir einfach die Haustür genommen.", beschwerte sich das andere Mädchen. „Was hätten die Hausbesitzer schon groß tun können? Wir wären einfach rein marschiert!"

„Sei still!", zischte der dritte Junge ihr zu. „Oder willst du, dass man uns bemerkt?" Auf diese Aussage hin musste ich mir ein gehässiges Lachen verkneifen. Denn dafür war es bereits zu spät. Ich hatte sie bemerkt. Es war auch nicht schwer gewesen, so viel wie sie redeten. Und sie bemühten sich auch nicht wirklich leise zu sein. Vermutlich erwarteten sie nicht, dass sich ihr Ziel im Garten befand, statt im Haus. „Ich hab's gleich.", sagte der zweite Junge, der anscheinend dabei war, die Hecke zu zerschneiden, damit die Jäger einen Durchgang hatten. „Beeil dich!", kam es von dem Mädchen.

„Und was ist, wenn sie uns bemerken?", fragte Brenda zögerlich. Jemand schnaubte. „Du hast doch nur Angst, dass dein Liebster dich dabei entdeckt, wie wir seinen Mutanten töten, gib es zu! Nur das macht dir Sorgen! Dass er dich nicht mehr mögen wird!", spuckte der dritte Junge verächtlich aus, woraufhin Brenda auch wieder ganz still war. „Haltet verdammt noch mal eure Klappe! Streiten könnt ihr später! Wir haben jetzt etwas Wichtigeres vor!", sagte der Anführer wütend. „Und Brenda, ich erwarte von dir, dass du dich so verhältst wie immer!" Wieder schweig Brenda. Die Jäger schienen im Moment wohl alle nicht so gut auf sie zu sprechen. „Ich hab's!", kam es da von dem zweiten Jungen. „Da sitzt jemand.", bemerkte der dritte Junge. „Ist das 93?"

„Sieht jedenfalls nicht so aus, als sei es ein Mensch.", fügte der zweite Junge hinzu. „Brenda?" Sie warteten auf Brendas Aussage.

„Lasst sie doch erst einmal durch, damit sie etwas sehen kann!", befahl der Anführer. Ich hörte, wie sie sich alle durch die Hecke quetschten und mich musterten. „Und?"

„Ja.", kam es leise von Brenda. „Das ist 93." Sie kamen näher. Ich bemerkte die Kälte, die von dem Messer ausging, das mir am nächsten war. „Steh auf.", befahl mir der Anführer mit einer kalten Stimme. „Und halt die Hände so, dass wir sie sehen können!" Ich erhob mich langsam und hob auch gleichzeitig ein wenig meine Hände.

„Dreh dich zu uns um. Aber langsam!", befahl der Anführer. „Mach eine falsche Bewegung und ich schwöre dir, du bist tot." Langsam und mit leicht erhobenen Händen drehte ich mich zu den Jägern um. Ich erblickte sechs Personen. Vier Jungen und zwei Mädchen. Das fremde Mädchen war ungefähr so groß wie ich. Ihre dunklen Augen schienen mich förmlich zu durchbohren und auf ihren Lippen lag ein gehässiges Grinsen. Ihr Haar war lang, wellig und dunkel. Sie hatte hohe Wangenknochen und ihre Züge schienen wie gemeißelt. Somit hatte sie enorme Ähnlichkeiten mit einem der Jungen, den ich auf Grund des Klangs seiner Stimme als den dritten Jungen identifizieren konnte, da er Brenda irgendetwas zuflüsterte. Er war recht groß, war etwas älter als ich und stand zwischen Brenda und dem anderen Mädchen. Diese wiederum stand neben einem anderen Jungen, der ebenfalls Ähnlichkeiten mit dem Mädchen und dem Jungen aufwies. Allerdings war seine Haut ein wenig heller und seine Züge sanfter. Er schien mir noch einmal etwas älter zu sein, als der Junge, der ihm ein wenig ähnlich sah. Daneben stand ein weiterer Junge, der etwas murmelte von „Verdammt, ich habe mein Messer vergessen." Anhand seiner Stimme identifizierte ich ihn als den zweiten Jungen. Er hatte blaue Augen und dunkelbraunes Haar. Dann blieb nur noch der Anführer übrig, der mir gegenüber stand. Er presste mir sein Messer an meine Kehle, noch ehe ich ausweichen konnte. Und genau das konnte ich nicht. Es sei denn, ich wollte in den Teich fallen. Der Anführer war einige Zentimeter größer als ich und blickte aus ungewöhnlich grünen Augen auf mich hinab. Sein Haar war schwarz und seine Haut blass. „Sagst du auch nur einen Ton, schlitze ich dir die Kehle auf!", drohte er mir und um seine Drohung noch einmal zu verdeutlichen, presste er mir sein Messer ein wenig fester an die Kehle. Ich hätte es verhindern können. Ich hätte verhindern können, dass es mir leicht die Haut aufschnitt und mir ein wenig Blut über den Hals rann, das einen starken Kontrast zu meiner hellen Haut bildete. Doch ich konnte es nicht. Ich war dazu nicht in der Lage. Das einzige, wozu ich in der Lage war, war den Anführer anzustarren, der verächtlich auf mich hinab sah. Meine Augen hatten sich geweitet und mein Mund sich leicht geöffnet. Doch ich brachte keinen Ton heraus.Und selbst wenn ich es gewollt hätte, hätte es nichts gebracht. Ich war entsetzt. Mehr als entsetzt. Ich war geschockt. Mein Herz klopfte nicht mehr bloß, es raste. Und ich wusste überhaupt nicht, was ich tun sollte. Zum aller ersten mal kam ich mir komplett unfähig vor. Überflüssig. Nutzlos. Hätte man mich jetzt vor eine gesamte Horde von feindlichen Jägern gestellt, ich hätte nichts getan. Ich wäre noch nicht einmal weggerannt. Verzweiflung machte sich in mir breit. Ich wollte im Boden versinken. Und nie wieder auftauchen. Ich wollte auf der Stelle verschwinden, damit man mich nie wieder zu Gesicht bekam. Ich wollte rennen und nie wieder stehen bleiben. Ich wollte fort von hier. Fort von ihm. Fort vor ihm uns seinen verdammt bekannten Augen, die ich das letzte mal gesehen hatte, als ich selbst vor vielen Jahren in den Spiegel gesehen hatte.

Freya Winter - MutantWhere stories live. Discover now