Kapitel 29

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Kapitel 29

Liam löste sich aus Audras klammernder Umarmung, ging auf mich zu und schloss mich zum Abschied in seine Arme. Seine Hitze umhüllte mich wohlig, doch wie immer machte sie mir nichts aus.

„Dir wird niemand etwas tun.", flüsterte ich. Er wusste nicht, dass es ein Versprechen war.

Ich spürte Liams Lächeln obwohl ich es nicht sah. „Bestimmt." Seine Stimme war leise. Dann ließ er mich los und verschwand.

Ich bemerkte Audras prüfenden Blick auf mir. Ihre Augen schienen sich in meine Seele zu bohren, doch ich hielt ihrem Blick ruhig stand. Audra wusste, dass sie mich nicht von meinem Vorhaben abbringen konnte und ihr war es sowieso lieber, wenn ich Liam heimlich folgte.

Sie senkte seufzend ihren Kopf, doch als sie ihn wieder hob, lag ein leises Lächeln auf ihren Lippen. „Nun geh schon!"

Grinsend sprang ich auf, rief noch schnell „Danke, Audra!" und verschwand aus der Küche. Ihr leises Lachen über meinen Abgang verfolgte mich bis in den Flur.

Ich konnte vernehmen, wie Aldric oben mit Liam sprach, doch ich hörte nicht hin und huschte still in mein Zimmer. Meine Hand ergriff die Klammer, mit der ich mir schnell mein silbernes Haar hochsteckte, das ich anschließend unter einer Mütze versteckte. Ich rümpfte meine Nase. Eine Mütze im Sommer. Es widerstrebte mir allein schon vor die Tür zu gehen. Doch sollte etwas schiefgehen, wollte ich Liam nicht verlieren. Und solange ich da war, würde ich das nicht zulassen. Selbst wenn es für mich bedeutete, im Sommer mit einer Mütze wie eine Katze hinterher zu schleichen.

Unten hörte ich die Haustür zuschlagen. Liam hatte sich fertig gemacht. Leise verschwand nun auch ich aus dem Haus, bewegte mich im Schatten mit einigen Metern Abstand zu Liam. Er trug wie das letzte mal die teuren Sachen von Aldric, lief mit leicht angehobenem Kinn, seine Schritte waren fest und verrieten nichts von seinem inneren Kampf und der Unsicherheit, die ich ihm bereits angesehen hatte. Er spielte gut.

Nun bog er zwischen zwei Villen ab, geradewegs in den Wald. Ich huschte hinterher, ersehnte den Schatten der Bäume. Die Hitze brannte auf meiner kalten Haut. Es war ein Wunder, dass sie sich nicht erhitzte oder dass ich schmolz wie Eis in der Sonne.

Kaum befand ich mich bei den Bäume, kletterte ich elegant hinauf, als wäre ich eine Katze. Meine aufmerksamen Augen erblickten Liam durch die Blätter der Bäume hindurch. Seine Schritte waren bestimmt, hatten aber nichts hektisches an sich. Wusste er vielleicht, wo sich das Lager der Jäger befand? Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass Brenda irgendetwas genaueres gesagt hatte. Aber was fragte ich mich auch? Liam würde sie finden. Die Antwort lag in seinen, wie auch meinen Instinkten. Doch wie wollte er das den Jägern erklären? Ihm würde schon etwas einfallen. Er wusste wie gefährlich das war, was er tat und würde es garantiert nicht darauf anlegen, dass die Jäger die Wahrheit über ihn herausfanden.

Die Rinde unter meinen Händen war rau und durch das dichte Blätterdach fanden trotzdem ein paar vereinzelte Sonnenstrahlen ihren Weg auf den schattigen Waldboden. Insgesamt war es im Wald viel angenehmer, obwohl es dennoch warm war. Aber egal wo ich mich befinden würde, ein Raum mit Minustemperaturen würde immer das beste bleiben.

Der Wald war still. Nichts deutete auf die Anwesenheit von Menschen. Kein Müll, nichts. Aber Jäger waren gut darin, keine Spuren zu hinterlassen. Deshalb hatte die Regierung auch solche Schwierigkeiten sie zu finden.

Liam folgte weiterhin dem Weg, bis er auf eine kleine Lichtung gelangte und wie es der Zufall so wollte, befand sich dort Brenda. Und sie wollte eine Jägerin sein? Weshalb hielt sie sich auf der Lichtung auf und nicht verborgen hinter den Bäumen?

Brenda hörte die Schritte, die sich ihr näherten, sprang auf drehte sich schwungvoll in Liams Richtung. Ihre Augen blitzten kämpferisch auf, während in ihrer Hand ein Messer lag. Liam war schlau genug, nicht zu nahe an sie heran zu treten. Nun konnte er aber sein Grinsen über Brendas Aktion nicht verbergen und versuchte es auch nicht erst. Lässig vergrub er seine Hände in den Hosentaschen, während er sie musterte. Als Brenda dann realisierte, wer da vor ihr stand, entspannte sie sich sichtlich und packte das Messer weg. „Ach du bist es." Sie lächelte. „Ich habe nicht erwartet, dich hier zu sehen."

Liam zuckte seine Schultern. „Ich dachte mir, dass ich dich irgendwo im Wald finden würde."

Kam es mir nur so vor, oder fingen Brendas Augen an freudig aufzuleuchten? Liam hatte es ihr vom ersten Augenblick an vollkommen angetan. Sie war ihm vollkommen verfallen. Egal welchen kleinen Fehler Liam machen könnte, Brenda würde es nicht bemerken. Zu sehr war sie von Liam fasziniert.

„Du hast nach mir gesucht?" Brenda ging lächelnd auf Liam zu.

Liam setzte sein charmantestes Lächeln auf. „Aber natürlich."

Mir entging nicht, dass sich Brendas Wangen leicht erhitzten und ihr die Röte leicht ins Gesicht stieg. Ich versuchte mein höhnisches Lachen zu unterdrücken. Sie war naiv. Sie kannte ihn nicht. Sie hatte keine Ahnung, wen und was sie vor sich hatte. Doch nun tauchte eine Frage in mir auf. Eine Frage, die mich von innen zerriss. Wenn Brenda erfahren würde, was Liam war, würde sie mit dem Jagen aufhören? Wäre es ihr dann egal, was Liam war? Immerhin schien sie Liam ziemlich zu mögen. Und wenn Brenda in der Lage wäre, Liam zu akzeptieren, würde meine Fam- NEIN! Ich durfte an nichts denken, was mir nur falsche Hoffnungen machen würde. Und am Ende wäre ich es, die zutiefst enttäuscht wäre. Brenda war eine Jägerin. Und aus ihrer Sicht tötete sie Mutanten aus einem guten Grund. Liam wäre nichts weiteres mehr für sie. Sie würde ihn töten. Sie würde nicht aufhören Mutanten zu jagen, nur weil sie Liam gut fand. Ebenso würden andere Menschen, auch wenn sie keine Jäger waren, ihre Meinung über Mutanten nicht ändern. Es brachte nichts, zu hoffen und zu fragen, „Was wäre wenn ...?".

Brenda ergriff Liams Hand und sah ihn überrascht an. Ich spannte mich an. Ich hatte vollkommen vergessen, dass seine Körpertemperatur sie misstrauisch machen konnte! Und Liam schien es ebenfalls vergessen zu haben.

„Du bist ja total heiß!", stellte Brenda verwundert fest.

Liam setzte schnell ein selbstbewusstes Grinsen auf, noch ehe Brenda sein Entsetzen sehen konnte. „Ich bin gejoggt."

Zweifelnd sah sie ihn an. „Sicher? Ich glaube eher, du hast Fieber." Für diese „Feststellung" hätte ich ihr eine scheuern können! Wie schwer von Begriff war sie eigentlich? Oder hatte diese rosarote Brille sie blind werden lassen gegenüber dem Offensichtlichen? Selbst Fieber wäre noch zu kalt für Liam!

Liam winkte ab. Offensichtlich war er ziemlich erleichtert über Brendas Naivität. Er hatte Glück gehabt. „Mir geht es gut, ehrlich." Er brachte sie mit seinem charmanten Lächeln zum Schmelzen und Brenda wurde weich. „Okay. Ich war nur besorgt."

Ich schluckte mein Knurren wütend herunter. Besorgt! Das wäre sie nicht mehr, wenn sie wüsste, dass ein Mutant vor ihr stand! Und damit meinte ich nicht, dass sie dann wissen würde, dass das normal bei ihm war. Es würde sie ganz einfach nicht interessieren, da sie sich nur darauf konzentrieren würde, ihr Messer in seinem Fleisch zu vergraben! Menschen waren zum Kotzen. So war es nun einmal in einer Welt wie dieser. Immer wieder konnte ich meinen Ärger hinunter schlucken, durfte ihn nicht offen aussprechen, wenn ich nicht sterben wollte. Das würde sich alles noch ändern!

Freya Winter - MutantWhere stories live. Discover now