Kapitel 110

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Ein beängstigendes Grinsen zog an Lucius' Mundwinkeln, verzerrte sein Gesicht zu einer fremden Maske. Als hätte er nur auf das Signal gewartet, schritt er gemächlich auf mich zu. Da war keine Angst zu erkennen. Nur das Gefühl reiner Überlegenheit.

»Lucius, stopp.«, sagte ich und konnte nicht verhindern, dass meiner Stimme ein verzweifelter Ton mitschwang. Ich wollte nicht gegen ihn kämpfen. Und ich glaubte, dass er das eigentlich auch nicht wollte. Miss Magpie kontrollierte ihn. So musste es sein.

Doch er lachte nur verächtlich auf. »Wieso sollte ich?«, fragte er und bedachte mich mit einem höhnischen Blick. »Fürchtest du dich etwa?«

»Das bist nicht du.«, versuchte ich es weiter. Äußerlich blieb ich ruhig, behielt mich unter Kontrolle. Doch in meinem Inneren riss die Verzweiflung die Herrschaft an sich. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Konnte ich überhaupt etwas tun?

»Ach, und du weißt das besser als ich?« Seine Augen, glühend wie blutrote Kohlen, lagen unaufhörlich auf mir. Er blieb nicht stehen, ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Und je näher er kam, desto fester hielt mich die Verzweiflung in ihrem Griff. Drückte zu, nahm mir die Luft zum Atmen. Meine Gedanken rasten wild umher, auf der Suche nach einer Lösung. Ich musste irgendwie zu ihm durchdringen. Aber wie?

Als mein Bruder nur noch wenige Meter von mir entfernt war, spannte sich mein ganzer Körper an und bereitete sich auf einen Angriff vor. Doch urplötzlich versank Lucius im Schatten und war verschwunden. Schockiert weiteten sich meine Augen. Er war wortwörtlich im Schatten versunken! Nach und nach hatte der Schatten Lucius' Körper aufgenommen. Er war einfach in den Boden gesunken. So etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen! Mein Herzschlag beschleunigte sich. Was konnte ich tun?

»Pass auf!«, rief Samuel, als mein Bruder ohne Vorwarnung aus dem Nichts hinter Brenda aufgetaucht war. Doch es war bereits zu spät. Die Jägerin konnte nicht einmal mehr schreien, als ihr auch schon das Blut aus der Kehle sprudelte und sie gurgelnd zu Boden ging. Lediglich die Panik in ihren Augen sprach für sich.

»Brenda!«, schrie James voller Schrecken. Fassungslos starrte er auf die reglose Brenda, deren Augen blicklos in den Himmel gerichtet waren, während der rote Saft noch immer gleichmäßig seine Hülle verließ. Ungläubig hob er seinen Blick, sah seinen besten Freund mit solch leeren Augen an, dass es schon unheimlich war.

»Lucius, wieso?«, hauchte er. James sah aus, als wäre er plötzlich um Jahre gealtert. Brenda war eine von ihnen gewesen.

Lucius zeigte keinerlei Reue. Gleichgültig blickte er auf die Leiche seiner Jägerin. »Ihr seid ein paar Leute zu viel, nicht wahr?«, sagte er kühl. »Nur Freya ist meine Gegnerin.«

»Aber sie gehört zu uns!«, rief James. »Sie ist – war - eine Jägerin! Genau wie du und ich!«

»Sehe ich für dich etwa wie ein Jäger aus?« Mein Bruder grinste dieses gruselige Grinsen. Es war nicht zu übersehen, dass er womöglich nicht einmal mehr Lucius war. Trotzdem schien James das nicht akzeptieren zu wollen. Ihn interessierte es nicht, dass mein Bruder jetzt ein Mutant war.

»Sehe ich für dich aus, als würde ich noch Mutanten jagen?«, konterte er. »Das tun wir alle nicht mehr und trotzdem sind wir die Jäger. Wir sind ein Team, Lucius!« Mein Zwilling schenkte dem keine Beachtung. Stattdessen wandte er sich Jo zu, die kein Wort mehr gesagt hatte, seit sie ihn gesehen hatte. Noch immer lagen ihre Augen wie erstarrt auf ihm.

Sie hatten keine Chance. Das hier war meine Sache. Lucius wollte nur mich. Die anderen waren ihm egal. Aber so lange sie hier blieben, wären sie unweigerlich in Gefahr. »Geht.«, befahl ich.

»Was?« Irritiert sah James mich an. »Ich lasse dich doch nicht allein!«

»Sie hat recht.«, stimmte Jo mir leise zu. Ihre Stimme klang ganz belegt. Ohne auf seine Proteste zu achten, packte sie ihn am Handgelenk und zog ihn mit sich. Laut schimpfend versuchte James sich aus ihrem Griff zu befreien, doch sie ließ nicht locker.

Freya Winter - MutantDove le storie prendono vita. Scoprilo ora