Kapitel 32

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Kapitel 32

Ich glaubte, ich sah Liam ein wenig verschreckt an, denn sofort wurde seine Miene weicher und er wollte beruhigend meine Hand drücken, doch zog seine Hand noch rechtzeitig zurück, sodass sie meine nicht berührte. Schweigend saßen wir einander gegenüber. Wieso machte ihm auf einmal meine Kälte etwas aus? Hatte sich etwas verändert? Hatte ich mich verändert? Ich bemerkte meine Verzweiflung auf Grund dieser Gedanken. Was, wenn jetzt jeder Einzelne auf dieser verdammten, verdorbenen Welt vor meiner Kälte zurück schrak? Es war mir egal, wenn Menschen meine Kälte etwas ausmachte. Menschen interessierten mich nicht. Audra umarmte mich zwar mal, aber sie konnte vor mir nicht verbergen, wie sehr sie damit kämpfte, mich nicht loszulassen und zurück zu weichen, damit ihr wieder warm wurde. Doch Liam? Von Anfang an war es Liam gewesen, der mir in irgendeiner Art und Weise Halt gegeben hatte. Und er hatte nie ein Problem damit gehabt mich zu umarmen, mir durch die Haare zu wuscheln, oder einfach meine Hand zu nehmen und mich hinter sich her zu ziehen. Jeder andere hätte mich schon losgelassen, doch er nicht. Ich bemerkte die Panik, die in mir aufstieg. War ich etwa noch kälter geworden? So kalt, dass es nicht einmal Liam aushielt? Was war passiert? Was hatte sich verändert? Auch wenn ich es nicht gerne zugab. Ich brauchte diese Berührungen. Diese kleinen Gesten der Zuneigung. Damals hatte es Lucius getan, bis vor kurzer Zeit war es noch Liam gewesen. Jeder Mensch brauchte so etwas. Und auch wenn ich kein Mensch mehr war, brauchte ich es noch. Vor allem jetzt, da ich zu einem Mutant geworden war. Berührungen waren auch eine Art Trost. Und den konnten Liam und ich gebrauchen. Da Liam eigentlich wie ich war, hatte Audra auch Schwierigkeiten dabei ihn zu umarmen. Seine Körpertemperatur brachte sie zum Schwitzen und Hitze war nicht immer angenehm.

Könnte mich überhaupt noch jemand berühren, wenn nicht einmal Liam es konnte? Würden dann alle auf Abstand gehen?

„Hey.", sagte Liam. „Freya." Ich reagierte nicht. „Freya!", rief er und ich zuckte zusammen. „Entschuldigung.", sagte Liam. „Ich wollte dich nicht erschrecken." Er versuchte ein Lächeln, doch es wollte ihm nicht gelingen. So langsam schien er zu verstehen, was es bedeutete, wenn ich tatsächlich kälter wurde und nicht einmal er mehr damit klar kam. Er schluckte und sah ein wenig verloren aus. „Das ist doch kein Problem, Freya. Ich glaube, das wird wieder.", versuchte er sich, wie auch mir einzureden. Ohne Erfolg.

„Aber wieso? Wieso passiert so etwas?", fragte ich leicht verzweifelt. Ich hasste es. Ich hasste es jetzt schon. Und mal ehrlich? Weshalb meine Körpertemperatur jetzt noch weiter sinken und dann wieder „normal" werden? Es machte keinen Sinn. Und das wusste Liam auch. Auf einmal streckte er seine Hand nach mir aus und legte seine Hand auf meinen Arm. Hoffnungsvoll musterte ich sein Gesicht, doch die Hoffnung verschwand, als ich sah, dass er sein Gesicht verzog. Als Liam bemerkte, dass ich ihn ansah, versuchte er sich nichts anmerken zu lassen und lächelte. Doch es war bereits zu spät. Ich hatte es gesehen. „Siehst du? Alles gut.", sagte Liam und lächelte mich an, als er seine Hand wieder zurück zog.

Doch ich lächelte nicht. „Lüge mich nicht an, Liam. Ich weiß, dass du meine Kälte spürst.", sagte ich und meine Stimme klang düster. Liams Lächeln verschwand von seinen Lippen und er ließ den Kopf hängen, wagte es nicht, mich anzusehen.

„Es tut mir leid.", sagte er leise. „Ich wollte dich nur aufmuntern. Und es hätte doch sein können, dass ich mir nur eingebildet habe, dass mir deine Kälte etwas ausmacht."

Ich seufzte. Er hat es nur gut gemeint. „Aber du hast es dir nicht nur eingebildet. Du hast es selbst überprüft."

Liam nickte und hob nun wieder seinen Kopf und sah mir in mein Gesicht. „Aber wieso? Wieso ist das auf einmal so? So plötzlich?" Wir beide hatten darauf keine Antwort. Und ich wusste nicht, ob wir darauf jemals eine Antwort bekommen würden. In diesem Moment kam Audra herein und blieb verwirrt stehen. Liam und ich sahen sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Ist etwas passiert?", fragte Liam sie. Audra schüttelte den Kopf und ging ohne ein Wort zu sagen zu dem kleinen Display, das in jedem einzelnem Raum hing, um dort die Raumtemperatur einzustellen. „Wieso ist es denn so kalt hier?", murmelte sie leise vor sich hin und besah sich das Display. „Merkwürdig.", meinte sie, als sie die dort angegebene Zahl sah. „Hier steht 15 Grad, dabei kommt es mir so viel kälter vor." Sie lachte und drehte sich zu uns um. „Ich glaubte, unsere Klimaanlage ist kaputt! Aber dir Freya, sollte das gefallen!" Sie lächelte mich breit an, doch ihr Lächeln erstarb, als sie mein Gesicht sah. Audra hatte meine Vermutung bestätigt. Es war nicht nur so, dass Liam auf einmal meine Temperatur etwas ausmachte. Es war nun so, dass nicht nur ich kalt war, sondern auch noch den ganzen Raum erkalten ließ. Normalerweise war es so, dass Liam meine Kälte nur bemerkte, wenn ich meine Kräfte einsetzte. Und auch nur dann wurde ein Raum kalt. Wenn ich es wollte. Aber momentan setzte ich meine Kräfte nicht ein. Oder etwa doch? Unwillkürlich? Nein. Bestimmt nicht. Das würde ich doch merken! Liam schielte vorsichtig zu mir. Er schien den selben Gedanken wie ich zu haben.

„Ist irgendetwas los?", fragte Audra. „Ihr wirkt so unglücklich und nachdenklich." Sie kam auf uns zu und setzte sich zu uns auf das Sofa. Sie lächelte uns an und legte mir ihre Hand auf die Schulter. Doch kaum tat sie das, wich ihr Lächeln einer überraschten Miene und sie sah mich an. „Freya, dein Körper ist heute kälter als sonst!", sagte sie besorgt. „Ist es auch wegen dir so kalt hier?" Sie nahm ihre Hand von meiner Schulter. „Geht es dir nicht gut?"

„Mir geht es gut, Audra. Es ist nur so, dass ..." Ich verstummte. Ja, wie sollte ich ihr das denn jetzt erklären? Liam schien das zu bemerken und übernahm für mich. „Es ist so, dass sie heute so kalt ist.", sagte er und sah Audra eindringlich an. Diese schien zu verstehen, was er damit sagen wollte und ihre Augen weiteten sich. „Dir ist es doch egal, ob sie kalt ist. Dir macht es doch nichts aus.", sagte sie.

Liam nickte. „Normalerweise.", sagte er.

Audras Augen wurden dem Anschein nach immer größer. „Du bemerkst es?"

Liam nickte. Mitfühlend sah Audra zwischen Liam und mir hin und her. „Wie ist das denn passiert?"

„Wenn wir das nur wüssten.", brummte ich. Meine Laune sank abgrundtief. Was, wenn das so bleiben würde? Ich wollte nicht, dass Audra und Aldric mit Winterklamotten herumliefen, wenn sie sich in dem selbem Raum befanden, wie ich. Das würde doch nicht lange gut gehen. Und wie sollte das dann erst im Winter ablaufen?

Freya Winter - MutantWhere stories live. Discover now