Kapitel 26

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Kapitel 26

Das Gras unter meinen Füßen fühlte sich weich an und eine sanfte Brise wehte mir entgegen. Es wäre perfekt, wenn da nicht diese Wärme wäre. Es war wieder einer dieser Tage. Dieser blöden warmen Tage, der ein Vorbote der nächsten Tage sein würde, wo die Temperaturen wieder in die Höhe steigen würden.

Und wenn ich mir mal die Tiere ansah, deren DNA und was-wusste-ich-was-noch gespritzt worden war, sollte ich eigentlich keine Probleme mit warmen Temperaturen haben. Doch falsch gedacht. Vermutlich lag es daran, dass ich mutiert war, während es geschneit hatte und kalt gewesen war. Das hatte sich vermutlich darauf ausgewirkt. Anscheinend mehr, als das, was man mir gespritzt hatte und das, was an mir verändert worden war. Und irgendwie war das merkwürdig. Warum hatte sich die Umgebung in der ich mich befand während ich tot gewesen war, mehr darauf ausgewirkt, als das, was man mir gespritzt hatte zu dem Zeitpunkt, an dem ich noch am Leben gewesen war? Wo blieb da der Sinn? Irgendetwas war verdammt schief gelaufen, das wusste ich. Doch zum ersten mal stellte ich mir die Frage, weshalb war ich noch am Leben?

Ich blickte in den klaren blauen Himmel, der keine einzige Wolke aufwies. Der lau warme Wind wehte mir entgegen. Weshalb lebte ich noch? Ich war gestorben. Ich war damals tatsächlich gestorben.

Ich bemerkte, wie Liam seine Stirn runzelte. „Was ist los, Freya?" Natürlich bemerkte er, dass mich etwas beschäftigte. Er bemerkte es immer. Ich brauchte nicht einmal etwas zu sagen und er wurde sofort aufmerksam. Ob es an seiner Mutation lag oder nicht konnte ich nicht sagen.

Seine Augen lagen wachsam auf mir. Ich wandte meine Augen nicht vom blauen Himmel ab. In meinen Ohren hörte ich noch das schrille Piepen des Gerätes, das meinen Herzschlag gemessen – oder eher nicht gemessen hatte. Das war glaubte ich das letzte, was ich damals wahr genommen hatte, ehe ich im Schnee aufwachte. Ich müsste tot sein. Weshalb also war ich noch hier?

Nun nahm ich meine Augen vom Himmel und wandte mich Liam zu. „Ist es schon einmal vorgekommen, dass gestorbene Menschen oder Mutanten - was-auch-immer – nach dem sie tot waren wieder aufgestanden sind und weiter gelebt haben?", fragte ich ihn. „Also ich meine, wenn sie richtig tot waren?"

Liam sah mich lange an. Ein trauriges Lächeln lag auf seinen Lippen. „Du sprichst von dem Moment, als sie deine Leiche raus geschoben haben."

Ich nickte. Liam atmete einmal tief ein, ehe er mich wieder ansah. Fest sahen seine Augen in meine. „Nein. Nein, es ist noch nicht vorgekommen. Bei manchen ja, aber diese konnte man noch zurück holen. Allerdings waren das nur Menschen. Du bist anders, Freya. Und dich hätte niemand mehr zurück holen können."

Diese Antwort hatte ich ehrlich gesagt erwartet. Dennoch hätte ich mir eine andere Antwort erhofft. Und somit bestätigte Liam mir noch einmal, wie abnormal mein Fall war.

„Wieso lebe ich, Liam?" Ich schätzte, dass meine Augen meine Verzweiflung wieder spiegelten und eigentlich hasste ich es Schwäche zu zeigen, doch bei Liam war es okay. Er verstand mich. Andere taten das nicht. Nun gut, es gab auch nicht viele anderen.

„Wieso bin ich wieder aufgestanden?"

Liam rieb sich seine Schläfe und seufzte. „Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht, aber ich bin froh darüber, dass du wieder aufgestanden bist." Er strich mir beruhigend über die Schulter. „Ich glaube, niemand kann sich erklären, wieso du noch am Leben bist. Und ich weiß, dass du dir dein Leben so nicht gewünscht hast, aber wir haben es besser erwischt, als viele anderen. Außerdem können wir noch etwas tun." In seinen Augen blitzte ein merkwürdiger Funke auf. Ein Funke der Entschlossenheit. Und so etwas konnte gefährlich werden. Nicht für mich, aber für die Menschen und alle, die sich gegen Liam stellen würden. „Wir können kämpfen, Freya.", verkündete er feierlich. „Wir werden für unsere Rechte und unser Leben kämpfen. Und am Ende werden wir als die Sieger das Feld verlassen!" Er schien wirklich von dem überzeugt zu sein, was er sagte. Und seine Entschlossenheit gefiel mir. Liam brachte neue Hoffnungen auf und ich würde ihm helfen diese zu verwirklichen, denn auch ich war ebenso wie er nicht dazu bereit mein Leben in Gefangenschaft zu verbringen. Denn eigentlich war unser Leben nichts anderes. Das Grundstück von Audra und Aldric war unser Gefängnis und wir konnten nirgendwo hin. Wir hatten Glück gehabt, bei ihnen gelandet zu sein. Dennoch reichte mir das nicht. Ich wollte mein altes Leben wieder zurück, auch wenn das wohl vollkommen unmöglich sein würde. Dennoch konnte ich versuchen einen Teil davon zurück zu bekommen. Denn vollkommen wollte ich es nicht aufgeben. Auch wenn ich meine Familie wohl nie wieder sehen würde.

„Du bist doch dabei, oder?" Liam sah zu mir und seine Augen sahen mich erwartungsvoll an, ehe er zu grinsen anfing. „Was frage ich da? Natürlich bist du dabei!"

Nun schlich sich auch auf meine Lippen ein Grinsen. „Du kennst mich gut!" Ich wuschelte durch sein tiefschwarzes Haar. Tiefschwarz, wie meines auch einst gewesen war. Wieder einmal durchfuhr mich ein schmerzlicher Stich an die Erinnerung an mein früheres Selbst. Das jedoch zeigte mir nur wieder, dass es wohl niemals komplett wie früher sein würde. Die Menschen, die ich damals gekannt hatte, hatte ich verloren und ich würde nie wieder in ihre Gesichter sehen können. Wie auch immer diese jetzt aussehen mochte. Ich wusste nicht einmal, ob ich meinen Zwillingsbruder wieder erkennen würde. Und das, war eine der Dinge, die mich zutiefst erschütterten. Ich hatte mein altes Leben verloren und es würde nie wieder zurück kommen. Und wenn wir siegten, würde ich ein weiteres neues Leben haben, das vielleicht Ähnlichkeiten mit meinem alten Leben hatte, doch in diesem Leben würden andere Personen eine Rolle spielen. Vielleicht würde meine Familie irgendwann erfahren, dass ich noch am Leben war. Aber niemals würden sie mehr erfahren. Denn das würde ich nicht zulassen. Niemals. Ich würde sie mit meinem jetzigen Ich nur verschrecken oder auf Ablehnung treffen. Es war erschütternd daran zu denken. Ich sollte an die positiven Dinge denken. Ich könnte ein wenig leben wie damals, Rechte haben, meinetwegen sogar in einen Einkaufsladen gehen, ich könnte Achterbahn fahren und was wusste ich schon was ich noch tun könnte. Doch dafür musste ich erst einmal diesen unbekannten Krieg gewinnen.

Freya Winter - MutantWhere stories live. Discover now