Kapitel 47

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Kapitel 47

„Okay. Aber versprich mir, dass du dich nicht einfach so wieder in Gefahr begibst.", willigte Liam ein. Ich zog eine Augenbraue hoch. „Du weißt schon, dass willst, dass ich etwas verspreche, dass keiner von uns halten kann?"

Liam grinste. „Du weißt, wie ich das meine." Dann kamen auch schon Audra und Aldric. Audra flog beinahe auf mich zu. „Ich habe mir Sorgen gemacht, Freya! Erschrick mich bitte nie wieder so!", tadelte sie.

„Ach komm, Audra. Du verstehst genauso gut wie ich, weshalb sie gegangen ist. Sie braucht Ruhe!", setzte sich Aldric für mich ein und seufzte. „Das mit ihrem Bruder ist nichts, was man so leicht vergessen kann."

„Ich weiß, Aldric!", rief Audra und fuchtelte mit ihren Händen in der Luft herum. „Aber du verstehst auch, weshalb ich mir Sorgen mache!"

Aldric massierte seine Stirn. „Können wir das bitte woanders besprechen, als im Flur?", fragte er und ging ohne auf irgendeine Antwort zu warten ins Wohnzimmer. Audra warf mir noch einen entschuldigenden Blick zu, ehe sie ihrem Mann folgte. Ich tippte Liam an der Schulter an. Er sah fragend zu mir. „Lucius war da.", flüsterte ich, damit das bloß Audra und Aldric nicht mitbekamen. Audra würde ausrasten, wüsste sie es. Liam wusste das. Deswegen zog er mich auch mit nach oben in mein Zimmer. Kaum öffnete er die Tür, strömte uns die Kälte entgegen. Liam verzog kurz sein Gesicht, doch machte nicht kehrt. Wir setzten uns auf mein Sofa. „Wie meinst du das mit 'Lucius war da'?", kam Liam sogleich zur Sache. Ich zuckte mit meinen Schultern und strich über die Lehne des Sofas. „Er hat, laut Kieran, das Haus beobachtet und die Jäger weggeschickt, als sie zu ihm wollten. Als ich dann kam, ist er mir gefolgt. Aber nicht, um mit mir zu reden. Denn er ist die ganze Zeit im Wald geblieben.", berichtete ich Liam. Nachdenklich beugte sich Liam leicht vor. „Ich glaube ... Nun ja. Lucius hat dich ewig nicht gesehen. Er wusste vielleicht nicht einmal, dass du noch am Leben bist.", sagte Liam langsam. „Und dann sieht er dich wieder. Ich glaube, es ist dann ganz natürlich, dass er wissen will, wer du bist. Ich meine nicht deinen Namen oder so. Sondern was für eine Person du bist und wie du lebst."

„Hm hm.", machte ich in Gedanken versunken. So wie Liam das sagte, klang es ganz einleuchtend, dass Lucius mich beobachtete. Aber soweit ich es gesehen hatte, quälte es meinen Bruder bloß, mich zu sehen. Und auch das war einleuchtend. Er war ein Jäger. Und das machte mich fertig. Liam sah mich vorsichtig an. „Ich finde, ihr solltet euch einmal aussprechen.", sagte er und ich konnte ihn nur anstarren. Das war eine schlechte Idee. Eine ganz schlechte. So würden Lucius und ich uns nur noch mehr quälen. Außerdem, ich konnte auch nicht einfach in den Wald spazieren und die Jäger aufsuchen. Es waren immer noch JÄGER! Und ich ein MUTANT. Das war nicht so einfach. Und wie stellte Liam sich das vor? Dass ich dort hin ging und sagte: „Hey, Lucius, ich bin ,wie du bemerkt hast, eine Mutantin. Komm damit klar."? Nein. Definitiv nicht. Ich schüttelte meinen Kopf. „So einfach ist das nicht, Liam."

„Das weißt du doch gar nicht, Schneeflocke.", sagte er traurig lächelnd. „Ich denke, du quälst dich nur mehr mit deiner Unwissenheit, als unbedingt nötig. Du brauchst Gewissheit. Erst dann bist du zufrieden. So lange du das nicht hast, wirst du dich quälen." Vielleicht. Doch ich würde mich nicht dazu überwinden können, zu ihm zu gehen. Geschweige denn mit ihm zu reden.

„Ich würde auch mitkommen.", sagte Liam. „Du glaubst doch nicht etwa, dass ich dich mit den Jägern alleine lasse? Vor allem nicht mit diesen Jägern. Natürlich würde ich mich ein wenig zurückziehen, wenn du mit deinem Bruder redest. Immerhin will ich nicht stören." Er lächelte mich an. „Aber glaub mir. Es ist wirklich besser, wenn du versuchst mit ihm zu reden."

Ich sprang auch. „Ich kann nicht, okay? Es geht einfach nicht!", rief ich und blickte verzweifelt zu Liam. „Das ist nicht so einfach, wie es klingt! Ich kann das nicht!" Verstand er das denn nicht? Verstand er nicht, dass ich nicht konnte? Dass es mich zerriss? Und es mich komplett zerreißen würden, wenn Lucius mir ins Gesicht sagen würde, dass er mich hasste? Dass er mich abscheulich fände? Dass ich nicht seine Schwester war? Was, wenn er so dachte?

Freya Winter - MutantWhere stories live. Discover now